armandine hat geschrieben:Jetzt muss ich mal ein bisschen Kritik anbringen: Ich arbeite in der Branche, und von dem Gehalt einer Elisabeth-Erstbesetzung kann man locker zwei Personen durchfüttern, das würde sich selbst bei einer noch nicht so bekannten Darstellerin nicht unter 3000 Euro bewegen, eher noch - je nach Verhandlungsgeschick - deutlich darüber. Und ich meine netto.
Ups, das wusste ich nicht... Ich dachte, wenn man nicht superberühmt ist, ist man in dieser Branche stets unterbezahlt. Danke, dass du das korrigierst!
Mit diesem Teil geht es weiter, inklusive Zeitsprung - die Proben sind tatsächlich zu lang geraten, ich habe da irgendwie was durcheinander geworfen...
Februar im neuen JahrIch war frisch erkältet, und heute stand die erste Pressekonferenz an. Das war ja klar. Nervös zupfte ich an meinem Ärmelsaum herum. Julian, Elias und Karl waren mit von der Partie. Es war eigentlich keine große Sache: die Produzenten würden ein wenig über die Produktion und den Probenstand plaudern, wir würden versuchen müssen, Fragen zu beantworten ohne unsere Schweigepflichten zu verletzen und dann das unvermeidliche
Ich gehör nur mir singen. Dank einem halben Röhrchen Anginetten Voice war ich zwar noch gut bei Stimme, trotzdem ziemlich aufgeregt. Ich hatte den Song noch nie live gesungen, wenn es darauf ankam, und das Video würde natürlich zu Werbezwecken genutzt werden.
Stell dich nicht so an, Anouk. Du hast Love never dies glasklar geschafft, als du noch Schülerin warst. Da wirst du nun wohl auch diesen lappigen Song hinkriegen! Die Interviews waren einfach und die Fragen größtenteils einfallslos und leicht: Sind Sie schon aufgeregt? Wie stehen Sie Ihrer neuen Aufgabe gegenüber? Werden Sie die ganze Spielzeit dabei bleiben? Auch der Song lief reibungslos, nur gegen Ende ging meine Nase zu, was dem Schlusston seine Intensität und Höhe nahm, aber ich war trotzdem zufrieden, und die Produzenten ebenfalls.
Der erste Meilenstein war geschafft. Ich fühlte mich sehr erleichtert, und das anstehende Treffen mit meiner Mutter, das mir zuvor so unrealistisch und in weiter Ferne erschienen war, machte mir nun Freude.
„Das hattest du auf der Konferenz an?“, war ihre erste Frage, als wir uns sahen.
„Natürlich nicht. Ich habe mich umgezogen“, antwortete ich belustigt. „Wenn du wissen willst, wie ich aussah, warte bis spätestens morgen – dann ist das Video sowieso draußen.“ Wir schlenderten los – wir waren verabredet zu einem Einkaufsbummel. Seit Weihnachten hatten wir uns nur sehr selten gesehen, und es sollte ein ausgiebiger Mutter-Tochter-Tag werden.
„Wie geht es mit den Proben voran?“, fragte sie.
„Och, ganz gut. In drei Wochen beziehen wir endlich das Theater, und dann dauert es nicht mehr lange bis zur Orchesterprobe und zum Fitting.“
Früher hätte sie mich sprachlos angesehen, aber jetzt waren ihr diese Begriffe sehr vertraut. „Bleibt es dabei, dass ich zur zweiten Preview komme?“
„Klar, alles schon abgeklärt. Und Premierenkarten darf ich mir auch bald sichern. Allerdings habe ich Linda versprochen, sie einzuladen, und Liam würde auch gern eine abgeben.“
„Kein Problem, ich zahle selber. Wie geht es Liam übrigens?“ Wir bogen in eine Boutique ab.
„Ganz gut, denke ich.“ Die Weihnachts-Tournee hatte ihm neue Möglichkeiten eröffnet – durch Unterhaltungen und Ratschläge untereinander hatte er einige wertvolle Auditiontermine von seinen Kollegen erfahren, und nach mehreren Absagen war er nun im Ensemble von
Jesus Christ Superstar in Bielefeld. Die Erleichterung war für uns beide sehr groß gewesen.
„Er ist immer noch nicht zufrieden, aber er hat einen Job.“ Ich schob einige Kleiderbügel hin und her, ohne mir etwas richtig anzusehen. Mir brannte plötzlich etwas auf der Zunge, von dem ich nicht wusste, ob ich es aussprechen sollte.
„Ach, jeder hat mal ein Tief. Liam wird noch mal ganz groß rauskommen“, sagte meine Mutter. Wir verließen den Laden wieder und gingen langsam weiter.
„Manchmal glaube ich, er würde lieber aus Deutschland rauskommen“, murmelte ich. Sie sah mich von der Seite an. „Was soll das heißen?“
Ich zögerte erst, aber dann erzählte ich ihr von dem Abend, der nun schon drei Monate zurücklag, und den ich mich nie getraut hatte anzusprechen.
Meine Mutter hörte mir aufmerksam zu.
„Meinst du, er fährt irgendwann zurück?“, fragte ich ängstlich.
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie. „Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Ihr seid nun schon so lange zusammen, und nie hat es auch nur den Ansatz eines Streites gegeben“ – hier musste ich mir ein Lachen verkneifen, „Ich glaube, Liam würde für dich für immer hier bleiben.“
„Ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, im Gegenzug nach England zu ziehen“, erwiderte ich ehrlich.
„Das ist doch auch verständlich. Liam nimmt solche Trennungen vielleicht einfach leichter. Warum besucht ihr seine Familie nicht mal gemeinsam?“
„Das versuchen wir ja ständig. Aber im Moment ist es ganz schön schwer, terminlich auf einen Nenner zu kommen.“
„Verstehe.“ Sie hakte sich bei mir unter. „Ich bin sicher, dass du dir da keine Sorgen machen musst, Liebling. Du wirst sehen, irgendwann wird sich auch hierfür eine Lösung finden. Ich verstehe nur nicht, warum du nicht mit Liam darüber gesprochen hast…“
Ich kam völlig erschöpft von der Probe nach Hause. Das Ensemble wurde langsam ungeduldig, die Probenzeit zog sich nun schon so lange hin, und die Termine häuften sich: nächste Woche Kostümanprobe und Make-up-Fitting, darauf die Woche die Reise nach Wien und Pressefotos. Danach offizielle Fotos für das Programmheft. Dann eine weitere Pressekonferenz, und dann Hauptproben und Previews. Der morgige Montag würde vermutlich der letzte freie Tag sein, den ich unbeschwert genießen konnte… Ich schloss meinen Briefkasten auf und nahm alle Briefe heraus. Auf dem Weg nach oben sah ich sie kurz durch – Versicherung, Werbung, Sparkasse und – eine handgeschriebene Adresse ohne Absender. Ich erkannte die Schrift trotzdem sofort. Stirnrunzelnd schloss ich auf und riss den Brief auf, kaum dass ich im Zimmer stand. Darin lag ein einzelner Zettel:
Morgen 18.30 Uhr im Victorian.
LiamIch musste lächeln, das erste Mal seit vielen Tagen. Ich hatte nicht gewusst, dass Liam herkommen wollte. – Natürlich nicht, es sollte eine Überraschung sein. Plötzlich aufgeregt machte ich mich bettfertig, und bevor ich mich schlafen legte, lehnte ich den Zettel gegen die Kaffeemaschine.
Den nächsten Tag verbrachte ich mit wundervollem Nichtstun. Ich fühlte mich schon seit einigen Wochen niedergeschlagen und erschöpft, wie ich es zuvor nie gefühlt hatte, und ließ alle Bücher über Elisabeth geschlossen. Am Abend, als ich im
Victorian ankam, erwartete Liam mich mit einem kleinen Strauss Mohnblumen, die ich so sehr mochte. Wir unterhielten uns über alles, was uns über den anderen entgangen war, über die Proben, über die Kollegen, einfach über alles, und es war ein unbeschwerter Abend, bis mir wie aus dem Nichts die englischen Ausschreibungen einfielen. Das verdarb mir die Laune.
„Du bist auf einmal so still.“ Liam sah mich über den Rand seines Weinglases an. Ich strich nervös über das Tischtuch.
„Ja“, antwortete ich zögernd, „es… gibt da etwas, was mich beschäftigt. Schon lange.“
Er stellte das Glas ab und sah mich gespannt an.
„Kurz vor deiner Tournee… da habe ich etwas gefunden. Durch Zufall… mehrere Auditions und Stellengesuche aus London. Und ich, na ja, ich habe mich gefragt, ob du nicht zurückwillst. Und ob ich dich daran hindere.“ Ein Blütenblatt fiel ab und sah wie ein Blutfleck auf dem Tischtuch aus, und ich musste kurz an
Tanz der Vampire denken.
„Ich habe mit dem Gedanken gespielt“, antwortete Liam, und ich war erleichtert, dass er so ehrlich war. „Ich denke, dass ich in London noch einmal andere Möglichkeiten habe… weitere Möglichkeiten. Ich komme aus England und habe dort meine frühere Gesangsausbildung bekommen… ich hätte also gute Chancen.“ Er schwieg kurz. „Aber… ich sehe, wie glücklich du im Moment bist und wie erfolgreich. Es wäre vermutlich eher schlecht, wenn ich jetzt gehe, oder?“
„Es wäre immer schlecht!“, sagte ich und biss mir auf die Zunge. „Tut mir leid. Ich wollte damit nicht sagen, dass du gar nicht gehen sollst. Ich… weiß nur nicht, ob ich mitkommen wollen würde.“
„Ich weiß.“ Er lächelte mich an, und es war ein ehrliches, aufmunterndes Lächeln. „Reicht es dir, wenn ich dir versichere, dass ich fürs erste hier bleibe, mir fleißig Engagements suche und dich deinem Erfolg überlasse? Und dir rechtzeitig bescheid gebe, wenn es mich wieder nach Hause zieht?“
Ich lächelte zurück und nahm seine Hand. „Ja. Das reicht mir vollkommen!“