Pretty WomanStage Theater an der Elbe, Hamburg
Sonntag, 27.10.2019, 19.00 UhrEin Hinweis vorneweg: Wer einen Vergleich des Musicals mit dem Film erwartet, ist hier falsch. Ich kenne den Film gar nicht!!!!
Ich mag keinen Kitsch, keine Schnulzen, keine Stücke, die zu vorhersehbar ablaufen, aber ich mag dieses Musical!!!! Und das liegt nicht nur an der grandiosen Cast. Also falls es da draußen irgendwo noch jemanden gibt, der dem Film auch nicht kennt und sich überlegt, das Musical anzuschauen: Hingehen!
Der einzige Kritikpunkt, der mir einfällt ist ausgerechnet die Zugabe mitsamt der stark beschränkten Vorhänge. Mir scheint, Zeit ist bei der Stage immer stärker knapp bemessen. Denn eine Runde Verbeugungen, dann die Zugabe und am Ende der Zugabe nochmal „Winke-winke“ und das war´s ist doch arg kurz. Nichtmals der Dirigent kommt noch auf die Bühne. Wenn dann, wie in meiner besuchten Vorstellung das Publikum kräftig weiter klatscht und trotzdem die Bühne ins Dunkle getaucht wird, ist das echt armselig. Warum darf man bitteschön den Darstellern (und allen anderen Beteiligten) nicht mehr die Anerkennung für deren Leistung bekunden???
Die Zugabe ist übrigens der 70er-Jahre-Song „Pretty Woman“, der außer dem zufällig gleichen Titel rein gar nichts mit dem Musical zu tun hat. Er sorgt nett für Stimmung, die aber nicht nötig war, weil der Saal sowieso schon stand und jubelte. Außerdem verdrängt er so ziemlich alles, was an restlichen Ohrwurm-Fetzen des Musicals übrig geblieben war. Schade.
Denn das sind nicht viele Lieder, die ins Ohr gehen und dort bleiben. Am ehesten bleiben noch Zeilen von „Du und ich“, „Rodeo Drive“, „Welcome to Hollywood“ und „Gewinner für immer“ im Ohr. Die Musik passt super zu den Szenen, ist angenehm zu hören und bietet von fetzigem Rock („Rodeo Drive“), eher traurigeren Balladen bis hin zu fetzigen Ensemblenummern eine große Bandbreite. Und die Lieder transportieren wirklich sehr gut die Geschichte. Es sind halt nur wenige Mitsing-Nummern dabei, aber das ist ja keine Pflicht für ein Musical.
Die Kulissen sind zweckmäßig, nett anzuschauen und stellen auf den Punkt die passenden Spielorte dar. Alles läuft wie am Schnürchen und fährt geräuschlos raus und rein. Angenehm ist, dass das Bühnenbild wirklich die Geschichte unterstützend wirkt und nicht selber die „große Sensation“ darstellt. (Das kam ja in genügend Stage-Produktionen schon vor.) Gute Einfälle sind trotzdem dabei. Der erste ganz große Lacher gilt dem „Lift“ im Hotel. Später dient die selbe Fläche auch noch als Ausstieg vom Swimmingpool. Leid tut mir der „Dirigent“ der Oper, der neben dem „echten“ Dirigent im Orchestergraben auftaucht. Denn sein Rückweg (siehe Monitore) sieht doch etwas unbequem aus. Er muss sich mit zur Seite gebeugtem Oberkörper seitlich gehend aus dem Graben wieder raus bewegen. Oha!
Auch die Kostüme passen gut in die Spielzeit der 80er-Jahre, ohne gleich altmodisch zu wirken. Manche Kleider sehen richtig schick aus und könnte man heute auch (noch) tragen.
Und noch ein nicht ganz so ernst gemeinter Hinweise wohl hauptsächlich für die Damenwelt: Bitte nicht so enttäuscht sein. Es gibt zwar Szenen, in denen Vivian und Edward sich näher kommen und er auch mal oben ohne zu sehen ist. Aber dank der reibungslosen Maschinerie samt passendem Lichtdesign werden beide ins Dunkle getaucht und von der Bühne gerollt, bevor man den Anblick so richtig genießen kann...
Die Besetzung:Zu der Besetzung lässt sich vorneweg sagen, dass alle absolut passend für ihre Rollen gecastet wurden. Da reiht sich eine Volltreffer-Besetzung an die nächste. Genau so überzeugend ist auch das gesamte Spiel der Cast. Der Jubel des Publikums am Ende war mehr als nachvollziehbar!
Vivian Ward: Patricia MeedenIch möchte hier eine Meinung aus dem Publikum zitieren, die ich nach der Vorstellung hörte: „Wenn es das Stück nicht gäbe, müsste man es für sie schreiben!“ Denn diese Aussage trifft es auf den Punkt. Ich persönlich fand es schade, dass sie in der Rolle immer nur kurz mal „anlachen“ darf. Wer ihre Lache kennt, wird verstehen, was ich meine. Wer nicht, der muss sie einfach mal kennen lernen. Die ist unbeschreiblich.
Edward Lewis: Mark SeibertDer nächste Volltreffer auf der Besetzungsliste und mit seiner ruhigen, eleganten Art der optimale Gegenpart zur flippigen Patricia. Absolut glaubwürdig, wie sich sein Edward mit der Zeit entwickelt und zunehmend menschlicher wird.
Kit De Luca: MaricelDie heimliche Herrscherin der Bühne. Naja, so heimlich rockt sie die Bühne dann doch nicht. Auf jeden Fall hat sie ihre Szenen fest im Griff. Top!
Happy Man / Mr. Thompson: Paul KribbeDer nächste, der absolut auf den Punkt gecastet wurde. Sowohl als lockererer Typ auf der Straße als auch als seriöser Hotelchef weiß er durchweg zu überzeugen. Netter Einfall der Regie: Ihn die Kostüme auf der halb beleuchteten Bühne wechseln zu lassen. Gehören beide Rollen zusammen? Anschauen und sich selber seinen Teil denken.
Philip Stuckey: Nigel CaseyErst der „Freund“ von Edward, dann doch der Gegenspieler nicht nur von Vivian. Mal seriös und elegant, mal der „üble Schurke“. Und alles überzeugend. Passt!
James Morse: Frank LogemannViele Szenen hat er nicht, um als Geschäftsmann zu überzeugen, der um seine Firma kämpft. Aber die nutzt er sehr gut! Klasse!
Giulio: Johnny GaleandroDer kleine Sidekick im Hotel, der regelmäßig Szenenapplaus erntete. Herrlich! Ich möchte hier gar nicht zu viel verraten, aber seine Auftritte waren stets der Brüller.
Violetta: Rachel Bahler
Alfredo: Marco Trespioli
Scarlett: Piek van der KaadenAuch zu den dreien kann ich nur schreiben, was oben steht: es passt alles! Ihre Rollen haben nicht die großen und/oder zahlreichen Auftritte, aber die Momente wissen sie zu nutzen. Und der Operngesang war echt klasse!
In weiteren Rollen:Annemarie Lauretta, Rachel Bahler, Marcella Adema, Piek van der Kaaden, Hanna Mall, Susie Porter, Becky Anderson, Sander van Wissen, Eiko Keller, Danilo Aiello, Marco Trespioli, Philipp Dietrich, Marco Heinrich, Johnny Galeandro, Peter Knauder.
Es ist ein sehr homogenes Ensemble mit schön synchron getanzten Choreografien. Erwähnen möchte ich noch Sander van Wissen als „Hollister“, dem klischeeschwulen Ladenmanager. Der zweite Brüller des Abends!
Fazit: Egal, ob man den Film kennt (und mag): alleine für diese brillante Cast lohnt sich der Besuch dieses Musicals!
Anmerkung: Das Programmheft kostet nur 5 Euro, beinhaltet aber null Fotos der Produktion, sondern nur die Mitwirkenden. Erschrekenderweise stehen mehr Namen im ersten Abschnitt (Producer hier, Producer dort, Verantwortlicher für dies und für jenes...) als Darsteller für alle Rollen (Kreativteam, Management, künstlerisches Team Seiten 9 bis 24 mit 36 Eintragungen, Cast Seiten 26 bis 35 mit 29 Namen)! Liebe Stage-Verantwortlichen: Liegt da nicht zufällig ein Mißverhältnis vor??? Jedenfalls kan ich so verstehen, warum die Kartenpreise so hoch sind: wenn man mehr Verwalter als Künstler finanzieren muss...