Danke, ihr Lieben Hier kommt ein bissl ein auf die Tränendrüsen-Drücker *hust*Nach ein paar Minuten kam sie zurück, setzte sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett. Sie wirkte sehr ernst, hing ihren Gedanken nach.
„Was wollte er denn?“ fragte ich vorsichtig.
Sie seufzte leise, in ihrer Stirn hatte sich eine kleine Falte gebildet. „Er meint, dass dir vielleicht ein Psychologe helfen könnte, das alles zu verarbeiten.“
„Ein Seelendoktor? Ich bin doch nicht verrückt“, widersprach ich sofort. Es ging mir sogar ziemlich gut, fand ich.
„Natürlich nicht, aber du hast einen schweren Verlust gemacht. Deine Tochter ist tot… mehr als das, du kannst nie wieder ein Kind bekommen!“
„Meine Tochter?“ Erstaunt sah ich sie an, die gesamte Tragweite ihrer Aussage begriff ich noch nicht. Sie nickte leicht. Ich hatte ein Mädchen zur Welt gebracht, mein kleines Mädchen! Meine Tochter konnte unmöglich tot sein, ich weigerte mich schlicht, das zu akzeptieren. Als der Arzt später noch einmal nach mir sah, fragte ich ihn verzweifelt nach dem Verbleib meines Kindes. Seine nüchterne Antwort erkannte ich nicht an, ich wollte zu meinem Mädchen!
Sie wich die ganze Zeit über kaum von meiner Seite, nachdem sie es geschafft hatte, den Abend mit ihrer Zweitbesetzung zu tauschen. Ihre Versuche mich zu trösten und mich dazu zu bewegen etwas zu essen blieben erfolglos, ich ignorierte den längst kalten Milchreis auf meinem Nachtkästchen. Irgendwann fiel ich in einen unruhigen Schlaf, als ich erwachte, war es vor dem Fenster schon dunkel. Sie war immer noch bei mir, und als ihre jadegrünen Augen mich erfassten, ergriff mich eine jähe Sehnsucht, Hunger nach ihrer Nähe. Gierig presste ich meine Lippen auf ihre.
Ein Räuspern ließ uns den Kuss unterbrechen. Jene Schwester, die sie bei der Geburt meiner Tochter nicht zu mir gelassen hatte, stand mit dem Abendessen auf einem Tablett in der Tür. Sie mochte um die fünfzig sein, ihr grau meliertes Haar hatte sie zu einem strengen Knoten gebunden.
„Die Besuchszeit ist bereits zu Ende, gehen Sie jetzt. Ihre… Freundin braucht Ruhe“, sagte sie unwirsch.
„Am meisten braucht sie den Menschen, den sie liebt, in ihrer Nähe“, konterte sie kühl, ohne sich vom Fleck zu rühren.
Die Miene der Schwester offenbarte deutlich, dass ihr dieser Gedanke zutiefst widerstrebte. Missbilligend fiel ihr Blick auf den Teller mit dem Milchreis, den ich nach wie vor nicht angerührt hatte, stellte stattdessen das mitgebrachte Schinkenbrot auf das Nachtkästchen. Ich hatte nicht vor mit dieser Mahlzeit anders zu verfahren, als mit der letzten.
„Sie müssen etwas essen, damit Sie zu Kräften kommen“, wies sie mich an, ehe sie sich wieder ihr zuwandte. „Sie können morgen wieder zu ihr. Verlassen Sie nun das Zimmer.“
„Und wenn nicht?“ In ihren Augen blitzte es kampflustig.
Die Schwester schnaubte ärgerlich. „Wenn Sie nicht bereit sind, der Hausordnung zu folgen, sehe ich mich gezwungen Sie zum Wohl der Patientin entfernen zu lassen.“
„Schon gut, ich gehe“, wandte sie ein und küsste mich noch einmal liebevoll. „Bis morgen, Süße. Halt die Ohren steif.“
Diese Nacht fühlte ich mich so einsam in dem fremden Raum um mich herum, ich sehnte mich nach ihrer Gesellschaft, danach von ihr gehalten zu werden und ihrem gleichmäßigen Herzschlag zu lauschen. Ich träumte von meiner Tochter, sie war das schönste Geschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Doch als ich erwachte, fühlte ich mich so leer. Körperlich begann ich mich schnell wieder zu erholen, sodass ich nach ein paar Tagen das Krankenhaus endlich verlassen durfte.
Der erste Moment in meiner eigenen Wohnung war merkwürdig, aber dann war ich erleichtert zu Hause zu sein. Mein Blick fiel auf die Rassel, die auf dem Tisch lag. Ihr Weihnachtsgeschenk für mein Kind. Eiseskälte legte sich plötzlich auf mich, gleich eines dunklen Schattens. Wie mechanisch setzte ich mich in Bewegung, ging in mein Schlafzimmer.
Dort neben dem Bett stand die Wiege, die ich erst kürzlich zusammen mit ihr ausgesucht hatte. Sie war aus hellem Holz mit einer orangefarbenen Decke, auf der kleine Vögel abgebildet waren, ich hatte mich für Farben entschieden, die sowohl zu einem Mädchen, als auch einem Jungen passten. Auf dem Kissen hockte ein weißes Plüschkaninchen, das ich vorsichtig ergriff und an mich drückte. Meine Knie versagten mir den Dienst, unkontrolliert zitternd sank ich neben der Wiege auf den Boden, während endlich all die Tränen meine Wangen hinab strömten, die ich bisher nicht hatte weinen können. Meine Tochter würde mich niemals anlächeln. Nie!