Beitragvon Amadé » 25.11.2007, 17:49:30
-Prolog-
~Schlaf Kindlein, schlaf~
Die Mutter war zu arm, um sich einen Arzt leisten zu können und für die Amme war nicht genug Zeit gewesen. Der Mann verrichte auf dem Feld sein täglich Werk, denn wer in der Zeit des 20 Jh. nicht willig war, der konnte sich nicht einmal das Brot leisten, dass die Familie zum überleben brauchte. Die junge Frau, keine 25 Sommer jung, war ganz alleine zu Hause, als die Wehen einsetzten. Sich vor Schmerzen krümmend, schenkte sie vor wenigen Stunden einem Kind das Licht der Welt und kämpfte nun im Schein der Kerze, die flackernde Schatten an die Wand warf, selber gegen das Ende an.
»Oh bitte! Nicht, nicht mein einziges Kind!« flehte die Mutter, vom Fieberwahn geschüttelt und bleich wie das Laken, in dem sie lag. Die Frau war schwach, erschöpft von der kräftezehrenden Geburt und dem Ableben vermutlich näher, als dem Leben, denn sie hatte viel Blut verloren.
Dabei erblickte die Mutter etwas, dass wohl nur Menschen sahen, die kurz davor waren, die Welt der Lebenden zu verlassen und in eine Andere überzutreten, und was die Frau zu tiefst erschreckte: Ein junger, ihr vollkommen fremder Mann stand an ihrem Bett und hielt ein kleines Bündel in einer Decke auf dem Arm. Sanft wiegte er es hin und her. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, denn es blieb gesenkt und reagierte nicht auf die flehenden Worte der Mutter. Blondes Haar fiel auf seine Schultern und glänzte unnatürlich in den Schatten, die im Zimmer mit dem Licht der Kerzen kämpften. Ein Unwissender hätte es als harmlos empfunden. Ein Besucher oder vielleicht ein Verwandter der sich dem Kind annahm, weil seine Mutter dafür zu schwach war, doch etwas an ihm war nicht menschlich.
An dem Fremden, hing eine merkwürdige Aura und vermutlich bildete sie es sich auch nur ein, aber die Schatten, die im Zimmer tanzten, schienen sich vor ihm zu verneigen und ihn wie einen Strahlenkranz einzuhüllen. Sodass die Mutter jede Kontur, die doch eigentlich im Dunkeln lag, erkennen konnte, bis auf sein Gesicht, das blieb verborgen im Nichts der Leere. Einem furchtbaren Geheimnis gleich.
Zittrig steckte die Frau die Hand aus, um das Kleine in ihrem Arm über das blut- und schleimverschmierte Gesicht zu streichen und drückte den leblosen Körper des Neugeborenen schützend an sich, der nicht mehr war, als eine Hülle. Dabei murmelte sie immer und immer wieder: »Nicht! Nicht mein einziges Kind!«. Es war ein Instinkt, der jede Mutter wohl irgendwie zu Eigen war, denn sie wusste, WER dort stand und WAS ER in den Amen hielt und es machte ihr Angst! Unsagbare Angst, die der Mutter die Kehle zuschnürte, die Luft nahm und die Tränen über ihre bleichen Wange laufen ließ.
Das Kind in ihrem Arm hatte nur kurze Zeit geschrieen. Schließlich, als ER im Zimmer erschienen war, wurde das Schreien zu einem leisen Wimmern. ER war einfach da gewesen, als ob ER aus dem Nichts herausgetreten wäre. Kälte ging von ihm aus, die der Mutter durch Mark und Bein fuhr und sie erstarren ließ. ER hatte einfach die Hand nach ihr ausgestreckt, ohne sie zu berühren und fast augenblicklich verstummte das Winseln, das an einen Hund erinnerte. Zurück blieben nur eine kalte Stille und das Bild des Mannes, der dort vor ihr stand. Nicht ein Wort sagte ER. Stumm, wie ein Bildnis aus Stein stand ER vor der jungen Mutter und sah nur auf das kleine Bündel hinunter, das in seinem Arm aus dem Nichts erschienen war. Eine schwarze Decke, die einem nachtschwarzen Himmel, übersäht mit Sternen glich hüllte das Kleine ein.
»Nimm mir nicht mein Kind!« flehte die junge Frau, »Bitte!«. Sie schrie das Wort und schluchzte kläglich auf. Ihre Lippen zittern und mit vor weinen belegter Stimme flehte sie: »Nimm mich, aber lass mein Kleines leben! Ich bitte dich! Tu es nicht! NEIN!« Das letzte Wort hatte sie panisch gerufen, denn ER wandte sich ab, um mit seiner kleinen Last wieder dahin zurück zukehren, wo ER her gekommen war. »Ich gebe dir mein Leben!« wiederholte die Mutter von Angst gelähmt und mit zitternder Stimme. »Alles was du verlangst, werde ich dir geben! Hörst du! Lass mir mein Kind! Ich bitte dich. Lass es hier! Wir haben uns doch so auf unser Kleines gefreut! BITTE tu es nicht! Ich flehe dich an!«
ER hielt inne und es schien, als müsse ER überlegen und abwägen: Das Leben der Mutter gegen das eines Kindes! Wirkte ER gar amüsiert über ihr Angebot? Doch dann schüttelte ER den Kopf.
»Deine Zeit ist noch nicht gekommen!« war seine knappe, kalte und ruhige Antwort und erneut wandte ER sich zum gehen. Es schien, als verschmelze ER einfach mit dem Schatten im Zimmer. Die Konturen wurden immer unscheinbarer, bis nichts mehr von ihm zu erkennen war, außer den dunklen Flecken im Raum. Schwärze, die so unendlich tief, kalt und leer wirkte- Schweigen lag in der Stube und hüllte sie ein wie eine Decke.
ER war fort und ER hatte der Mutter ihr Kind genommen.
Ein schmerzerfüllter Laut zerriss die Stille des Zimmers. Die Frau lag in ihrem Bett, presste das leblose Etwas an sich und wälzte sich wie in einem schlechten Traum hin und her.
Als ihr Mann am späten Nachmittag nach Hause kam, fand er seine Frau im zerwühlten Bett sitzend vor. Ein irrer Glanz lag in ihren dunkelbraunen Augen, das Gesicht vom vielen Weinen verquollen, das Haar hing ihr ins Gesicht und noch immer presste sie das Kind an sich. Wiegte es in den Armen, als wolle sie es zum Schlafen bringen und sang mit rauer, belegter Stimme:
»Schlaf Kindlein, schlaf. Der Tod nimmt dich mit im Schlaf. Die Mutter hat nur zugeschaut, schrie sehr laut und weinte viel. Schlaf Kindlein, schlaf.
Schlaf Kindlein, schlaf. Die Dunkelheit, die beißt dich nicht, doch wenn mein Kind nicht schlafen will, dann kommt der Tod und greift es sich, schlaf Kindlein schlaf!
Schlaf Kindlein, schlaf. Dein Leben war kurz und knapp, so sei ganz lieb und schlaf die Nacht. Der Tod, er hält die Wacht. Schlaf Kindlein, schlaf.
Schlaf Kindlein, schlaf! Niemand bringt dich mir zurück und einsam bleib ich ganz allein, bis ich komm zu dir! Schlaf Kindlein, schlaf!«.
ER hatte ihr das Kind genommen und den Wahnsinn gebracht!
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