Je suis une femme

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Sisi Silberträne
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Beitragvon Sisi Silberträne » 15.02.2007, 21:04:42

Soooo, hier kommt Kap 6. An dieser Stelle wünsche ich euch diesmal lieber nicht viel Spaß, sondern eher interessantes Lesen... wie auch immer ^^


Kapitel 6


Der Mond stand hell am Himmel. Er war nicht mehr ganz voll, doch genug, um die Umgebung in fahles silbrigweißes Licht zu tauchen. So verlor ich meinen Weg nicht aus den Augen. Die Nacht war keineswegs still, die Grillen zirpten und manchmal schrie eine Eule. Ab und zu raschelte oder knackte es auch, wenn sich ein Tier im Unterholz bewegte. Ich hatte Angst. In der Dunkelheit war ich noch nie allein so weit draußen gewesen, schon gar nicht in den umliegenden Wäldern. Doch ein Zurück gab es jetzt nicht mehr, ich musste weiter gehen.
Nach Stunden, als es bereits zu dämmern begann, erreichte ich einen kleinen Bauernhof, der am Rande einer winzigen Ortschaft lag. Ich schlich mich in die Scheune und kletterte auf den Heuboden, wo ich mich im hintersten Winkel todmüde in eine Nische zwischen aufgestapelten Strohballen zwängte. Fast sofort fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

Die nächsten Tage ging es ähnlich weiter und jetzt, wo ich alles aufgegeben hatte, begann ich den Luxus eines weichen Bettes und einer warmen Mahlzeit zu schätzen. Aber viel schlimmer noch, als irgendwo im Stroh zu schlafen, oder von etwas gestohlenem Obst zu leben, war es ganz allein zu sein. Ich vermisste Mama und meine Brüder. Mit dem Gedanken, dass ich keine andere Wahl gehabt hatte, als von zu Hause fortzulaufen, versuchte ich mich darüber hinweg zu trösten. Doch in den einsamen Nächten hatte ich einfach zu viel Zeit, um meinen Gedanken nachzuhängen.
Mein Ziel war Lille, ich hoffte in der lauten hektischen Stadt meine Spuren gut genug verwischen zu können, dass mich Papa nie finden würde. Vielleicht sogar gelangte ich eines Tages nach Paris. Darüber hatte ich Geschichten gehört. Es war so anders als die kleinen ruhigen Dörfer auf dem Land, die ich kannte. Voller Leben und unglaublich interessant. Zumindest in meiner Vorstellung.

Während ich einer Straße folgte, die mich Lille näher bringen sollte, begann es plötzlich wie aus Kübeln zu gießen. Es war eigentlich ein warmer Frühlingstag, doch durch das schlechte Wetter kühlte es so ab, dass ich in dem durchnässten Gewand entsetzlich fror. Dummerweise war ich mitten im Nirgendwo. Die letzte Ortschaft, durch die ich gekommen war, lag schon viel zu weit zurück, als dass ich hätte umkehren können. Und wo die nächste war, wusste ich nicht.
Es schien als hätte der Himmel doch noch Einsehen mit mir. Ich bemerkte den Einspänner erst, als er neben mir hielt. Der Mann, der darin saß, lächelte mich an.
„Kann ich dich vielleicht ein Stück mitnehmen?“
Sein Tonfall war freundlich und ich kletterte dankbar auf den Wagen. Kaum hatte ich mich neben ihn gesetzt, trieb er auch schon sein Pferd zur Eile an. Nach ein paar Minuten hatte ich mich an das unregelmäßige Holpern gewöhnt und musterte den Mann neugierig von der Seite her. Er war nicht mehr ganz jung, hatte kantige Züge und dunkelbraunes Haar, das an einigen Stellen bereits lichter zu werden begann. Um den Hals trug er einen goldenen Anhänger in Form eines Kreuzes. Falls er meinen Blick bemerkte, zeigte er es nicht. Seine Augen waren die ganze Zeit über aufmerksam auf die Straße gerichtet.

Nach einiger Zeit erreichten wir endlich ein Dorf. Offenbar war es auch das Ziel des Mannes, denn vor einem der Häuser hielt er den Wagen an und half mir zuvorkommend beim Absteigen.
„Wenn du willst, kannst du bei mir warten, bis der Regen vorbei ist“, meinte er, während er die Tür aufschloss. „Ich muss nur rasch mein Pferd wegbringen.“
Ich nickte, doch bevor ich etwas sagen konnte, hatte er mich schon hinein geschoben und hinter mit zugeschlossen. Während ich auf ihn wartete, rührte ich mich nicht von der Stelle. Unter meinen Füßen bildete sich eine Wasserpfütze von meiner durchnässten Kleidung. Ein paar Minuten später kam er zurück.
„So, das wäre erledigt.“ Er machte sich gleich daran in der Stube ein Feuer im Kamin zu entzünden. Als er es geschafft hatte, bot er mir an, mich davor zu setzen. Er war so nett, und das obwohl er gar nicht wusste wer ich war.
„Vielen Dank für Eure Freundlichkeit, Monsieur...“ setzte ich an.
„Dominic. Und das ist gerne geschehen. Als ein Diener des Herrn ist es meine Pflicht, aber auch immer eine Freude, da zu helfen wo ich kann.“ Er lächelte mich an. „Hast du auch einen Namen?“
„Anne.“
„Das ist ein schöner Name. Erzähl, Anne, was hast du bei so einem Wetter ganz allein da draußen gemacht?“
Ich antwortete ihm nur, dass ich auf dem Weg nach Lille war. Woher ich kam und dass ich davon gelaufen war, behielt ich für mich. Zum Glück gab er es ob meines hartnäckigen Schweigens bald auf, mich weiter zu fragen.
Die Wärme des Feuers durchdrang meine durchnässte Kleidung nur quälend langsam. Ich blickte in die hell aufzüngelten Flammen, die mir die Gesichter Papas und Raymonds vorgaukelten. Hoffentlich war es ihnen nicht gelungen mir zu folgen. Die ganze Zeit über hatte ich eine irrationale Furcht in mir, dass Papa plötzlich vor mir auftauchen würde. Genau dann, wenn ich es am wenigsten erwartete.

„Du wirst noch krank, wenn du die nassen Sachen anbehältst.“
Die sanfte Stimme des Priesters ließ mich aufsehen. Er hielt mir lächelnd eine Decke hin. „Damit wird es besser.“
In diesem Moment gab mein Magen ein sehr undamenhaftes Grummeln von sich, und Monsieur Dominic lachte leise. „Meine Güte, da ist jemand halb verhungert. Ich sehe nach, was sich dagegen unternehmen lässt.“
Als er das Zimmer verlassen hatte, schälte ich mich rasch aus dem triefend nassen Kleid, hängte es neben dem Kamin auf und wickelte mich von oben bis unten in die Decke ein. Fast sofort wurde mir deutlich wärmer.
Wenig später kam Monsieur Dominic mit einem Teller zurück, auf dem sich etwas Brot, Käse und Weintrauben befanden. Nur sehr ungern verließ ich meinen Platz am Feuer, doch im Moment war der Hunger stärker. Der Priester sah mir eine Weile dabei zu, wie ich mich mit großem Appetit über das Essen hermachte. Schließlich ließ sein Blick mich inne halten, er sah mich irgendwie seltsam an. Da bemerkte ich, dass die Decke durch die ständigen Bewegungen, und weil ich ja nur noch eine Hand zum Festhalten hatte, meine Schultern hinab gerutscht war. Meine Unterwäsche war noch immer feucht und beinahe durchscheinend. Rot anlaufend zog ich die Decke rasch wieder zurecht und starrte äußerst verlegen in den Teller.

Erneut verließ Monsieur Dominic den Raum. Dieses Mal brachte er eine Flasche Rotwein und zwei Gläser mit. Nachdem er in beide etwas eingeschenkt hatte, reichte er mir eins davon weiter.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank, ich mag Wein nicht besonders.“ Die süßen Trauben waren mir immer viel lieber gewesen.
„Ach, probier ihn wenigstens. Zu dem Käse passt er ganz hervorragend.“
Schließlich gab ich nach und trank einen kleinen Schluck. Die rote Flüssigkeit schmeckte fruchtig. Monsieur Dominic ermunterte mich hartnäckig mehr davon zu trinken, sodass das Glas schließlich leer war. Und weil er nachschenkte auch bald ein zweites. Eine seltsame doch angenehme Wärme breitete sich in mir aus. Mit dem Essen war ich längst fertig, und als ich aufstand, um mich wieder vor den Kamin zu setzen, schwankte ich beim Gehen ein wenig.

Der Priester ergriff meinen Arm und brachte mich in ein kleines Zimmer, in dem es ein wackelig aussehendes Bett und eine schäbige Kommode mit einem winzigen staubigen Spiegel gab.
„Mit einem besseren Gästezimmer kann ich leider nicht dienen, aber zum Schlafen wird’s wohl genügen“, meinte er.
Als ich mich umdrehte, um mich bei ihm zu bedanken, trat ich auf einen Zipfel der Decke, stolperte, und wäre gefallen, hätte er mich nicht aufgefangen. Nur in Unterwäsche stand ich vor ihm, wollte mich peinlich berührt bücken, doch er ließ es nicht zu.
„Wie schön du bist...“
Sein Tonfall behagte mir nicht. Er schob sich näher an mich heran, ließ mich gleichzeitig zurück weichen, sodass ich schließlich die Wand im Rücken hatte. Durch den Wein fühlte ich mich schwerfällig und müde, meine Bewegungen waren langsam. Ich wusste gar nicht wie mir geschah, als er mir über die Wange strich und mich küsste. Erst als er sich an meiner Unterwäsche zu schaffen machte, überwand ich meine Starre. Ich versuchte ihn weg zu drücken, doch er hielt mich mit einer Hand fest, während die andere über meinen Körper tastete.
„Halt still, meine Hübsche. Ich will dir doch nicht weh tun.“
Weil ich mir anders nicht zu helfen wusste, biss ich ihm in die Lippe, als er mich erneut zu küssen versuchte, und trat ihm so fest ich konnte auf die Zehen. Das wirkte, mit einem Schmerzenslaut ließ er von mir ab und ich wollte an ihm vorbei aus dem Zimmer rennen. Doch er hatte sich zu schnell wieder gefasst, riss mich zurück und stieß mich heftig gegen die Wand. Meine vom Aufprall herrührende Benommenheit nutzte er, um mich zum Bett zu zerren.

Das ganze Gewicht seines Körpers drückte auf mich. Ich war gefangen, wehrlos, musste seine ekelhaften Berührungen erdulden. Es gelang ihm schließlich mir die Unterwäsche auszuziehen, sodass ich vollkommen nackt vor ihm lag. Seine Hände glitten ungeduldig über meine Haut, griffen nach meinen Brüsten, fassten mir zwischen die Beine. Ich wünschte in diesen Augenblick, ich wäre immer noch im strömenden Regen auf der Straße unterwegs gewesen.
Schließlich ließ er von mir ab, öffnete seine Hose. Vom Schwimmen im Fluss mit meinen Brüdern, als wir noch Kinder gewesen waren, wusste ich zwar, wie sich ein Junge von einem Mädchen unterschied, aber einen erwachsenen Mann hatte ich noch nie entblößt gesehen. Er schob sich zwischen meine Schenkel, und das nächste was ich spürte, war grauenvoller Schmerz, als seine harte Männlichkeit in mich stieß. Schläge wusste ich zu ertragen, aber das war anders. Ich schrie gequält auf, Tränen rannen meine Wangen hinab.
Zuletzt geändert von Sisi Silberträne am 12.05.2011, 21:54:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Kitti » 15.02.2007, 22:05:04

Erst mal: Schön, dass der neue Teil on ist! :D

Ein spannender Teil! Arme Anne! :cry: Aber gehört ja leider zum Verlauf von Miladys Geschichte.

Finde es klasse, wie du ihre Gefühle beschreibst. Man kann sich immer so gut in sie hineinversetzen... :D

Nur weiter so! :D
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Beitragvon Marie Antoinette » 23.02.2007, 19:40:02

Jetzt hab ich den Teil schon vor einer Weile gelesen aber noch gar nichts dazu geschrieben... :oops:

Weiß gar nicht, warum so wenig die Geschichte lesen, die ist doch richtig gut! Mir gefällt sie wie alle deine FFs. :D

Spaßig war der Teil tatsächlich nicht, Anne tut mir auch total leid.

:cry: :cry:

Bin schon gespannt wie es weitergeht!

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Beitragvon Sisi Silberträne » 15.03.2007, 18:45:47

Danke für eure Kommis :) hab mich dieses Mal ein bisschen beeilt!


Kapitel 7


Mit dumpf schmerzendem Unterleib kauerte ich zusammen gesunken in der am weitesten vom Bett entfernten Ecke des Raumes. Die Tür hatte er hinter sich abgesperrt. Ich war gefangen, war ihm ausgeliefert. Warum hatte er mir das angetan? Er war doch am Anfang so nett und hilfsbereit gewesen. Aber wahrscheinlich nur, damit ich ihm vertraute und er ein leichtes Spiel mit mir hatte. Ich fühlte mich so schmutzig und benutzt. Was gab ihm das Recht sich an mir zu vergehen, weil es ihm gerade passte? Nur die Tatsache, dass ich eine Frau, mehr noch ein Mädchen war?
Erst als es langsam hell wurde, fand ich genug Kraft, um mich auf die Beine zu rappeln. Der Boden knarrte unter meinen Schritten. Ich hielt in der Bewegung inne, als ich mit der Spitze meines Schuhs gegen etwas Hartes stieß. Vor mir, und direkt neben dem Bett lag eine Kette mit einem goldenen Kreuz als Anhänger. Es war seine, ich musste sie ihm vom Hals gerissen haben, als er mich vergewaltigte. Zögernd hob ich das Kreuz auf, es fühlte sich schwer und kühl in meiner Hand an. Es war mit Sicherheit echtes Gold und das machte es sehr wertvoll. Und Geld konnte ich gebrauchen, um mir etwas zu essen zu kaufen, und vielleicht, wenn es reichte, sogar ein neues Kleid.
Das erinnerte mich daran, dass ich im Moment nur die Unterwäsche zum Anziehen hatte. Mein Kleid hing immer noch im anderen Zimmer neben dem Kamin. Als ich das Schloss untersuchte, schwand meine Hoffnung vollends. Ich hatte keine Möglichkeit es zu öffnen. Resignierend ließ ich mich auf den Boden sinken. Alles was ich tun konnte, war zu warten, dass er die Tür wieder aufschloss. Und dann?

Es dauerte nicht sehr lange, bis ich eine Antwort erhielt. Ich hörte Stimmen, offenbar hatte er Besuch. Und dann wurde der Schlüssel im Schloss umgedreht. Meine blitzartige Überlegung, einfach loszurennen und versuchen ins Freie zu gelangen, verwarf ich wieder. Als ich sein Gesicht sah, kochten die Gefühle in mir auf, ich spürte eine unbändige Lust es ihm zu zerkratzen, für das was er mir angetan hatte.
„Guten Morgen, meine Hübsche. Ich hoffe du hast in dem alten Bett auch halbwegs schlafen können.“
Ich schwieg, funkelte ihn nur voller Hass an. Lieber hätte ich auf einem Nagelbrett übernachtet, als mich noch einmal in das Bett zu legen, in dem er mich fast unter seinem Gewicht erdrückt hätte.
„So still heute? Gestern Abend warst du gar nicht auf den Mund gefallen.“ Er sah seinen Begleiter an, einen klein gewachsenen, aber äußerst kräftig gebauten Mann mit ordentlich gebändigtem hellbraunem Haar. „Die ist ganz und gar nicht so unschuldig, wie sie wirkt, das kann ich dir sagen.“
Sein Blick fiel auf meine Hand, mit der ich das Kreuz fest umschlossen hielt. „Was hast du denn da? Zeig es mir.“
Er packte mich eisern, sodass ich nicht anders konnte, als meinen Fund loszulassen. Als er das Schmuckstück entdeckte, verzerrte sich sein Gesicht im Zorn. „Du kleines Biest hast mich verführt und jetzt bestiehlst du mich!“
In diesem Moment setzte in mir etwas aus. Ich schlug und trat um mich wie ein wildes Tier, im Versuch mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Als ich ihn mit voller Wucht am Schienbein traf, stieß er mich mit einem Schmerzenslaut von sich. Ich prallte heftig mit dem Kopf gegen die Kante der Tür, und es wurde mir schwarz vor Augen.

Zunächst wusste ich nicht wo ich mich befand, als ich wieder zu mir kam. Mein Kopf schmerzte. Der Boden des kleinen Raumes war mit Stroh ausgelegt, nur in einer Ecke lagen ein paar dreckige zerschlissene Decken. In die massive Holztür war ein vergittertes Fenster eingelassen, durch das ich draußen im Gang eine Reihe gleichartiger Zugänge erkennen konnte. Das war ein Gefängnis. Aber warum war ich hier? Ich hatte doch nichts verbrochen, nicht einmal die Kette geklaut. Zugegeben, ich hatte sie bereits in der Hand gehabt.
Es machte mich halb wahnsinnig in diesem beengenden Raum eingesperrt zu sein, und nicht zu wissen weshalb, oder für wie lange. Bald hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Ob Stunden oder Minuten vergingen spielte keine Rolle.
Die einzige Ablenkung von der Trostlosigkeit und Einsamkeit dieses Ortes bildete ein junger Bursche, der mir durch das vergitterte Fenster etwas Brot und Wasser gab. Im spärlichen Licht konnte ich erkennen, dass er etwa in meinem Alter sein mochte. Er wirkte tollpatschig, weil er gar so groß und schlaksig war.
„Danke“, sagte ich zu ihm und trank gierig ein paar Schlucke Wasser.
„Schon gut, ich mache ja nur meine Arbeit.“ Seine Augen suchten die meinen. „Du musst es dir gut einteilen.“
Mit einem kaum merklichen Nicken stellte ich den kleinen Krug beiseite. Mein Durst war noch lange nicht gestillt, aber er hatte recht.
„Warum bist du eigentlich hier? Stimmt es, was Monsieur Dominic sagt?“
Dieser Name ließ mich beinahe bittere Galle hochkommen. Ich konnte mir schon vorstellen was er über mich erzählte, schließlich hatte ich die an seinen Begleiter gerichteten Worte gehört. Wut zerrte wie eine reißende Bestie an meinen Eingeweiden. Auf den Priester, auf meinen Vater. Einfach auf alle Männer, die der Meinung waren mit Frauen tun zu können, wonach ihnen war.
„Glaubst du ihm denn?“ fragte ich meinerseits.
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hast du es getan?“
„Nein.“ Und ich sagte ihm, dass der ach so feine Mann Gottes in Wahrheit über mich hergefallen war. Ob er meiner Erlärung Glauben schenkte, wusste ich nicht. Da rief eine harsche Männerstimme seinen Namen und er musste gehen. Er hieß Paul.

Nach einer Ewigkeit des stetigen Stöhnens und Jammerns meiner Mitgefangenen hörte ich endlich wieder Schritte auf dem Gang. Jemand blieb vor der Tür zu meiner Zelle stehen. Ob es wieder der junge Bursche war? Mein Herz tat einen Sprung, als das schwere Schloss entfernt wurde. Würden sie mich einfach so gehen lassen?
Endlich sah ich den Himmel wieder, aber die Freiheit blieb mir verwehrt. Der finster aussehende Mann, der mich geholt hatte, brachte mich zu einem Platz, in dessen Mitte ein hölzerner Pfahl aufragte. Das andere Ende des Strickes, mit dem meine Hände gefesselt waren, band er fest an diesen.
Nach und nach versammelten sich immer mehr Menschen, stierten mich mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung an. Dann sah ich ihn. Er befand sich in Begleitung des Priesters. Sein Aussehen war edel, die Gestalt hoch gewachsen und in teure Stoffe gehüllt. Das Rot seiner Kleidung schimmerte im strahlenden Sonnenlicht wie Samt und Seide. Ein großes goldenes Kreuz hing um seinen Hals, protzige Ringe zierten seine Finger. Das fast bis zu den breiten Schultern reichende Haar war fein säuberlich gekämmt. In seinen kleinen stechenden Augen spiegelte sich ein überlegener Ausdruck wieder. Mit diesem Mann wollte ich auf keinen Fall etwas zu tun haben.

Er ließ seinen Blick zunächst über die Menge schweifen, die sich mittlerweile um den Platz herum versammelt hatte, ehe er mich ansah.
„Du wirst beschuldigt einen ehrbaren Mann Gottes aufs Schändlichste verführt und dann bestohlen zu haben.“ Seine Stimme war bedrohlich kühl. „Wie eine dreckige Straßenhure.“
„Jaah, Hure!“ schrie da einer der anwesenden Menschen.
Ich starrte den feinen Herrn ungläubig an. „Aber das ist nicht wahr, er ist…“
„Schweig!“
„Nein! Was Ihr mir vorw…“
Er schlug mir plötzlich ins Gesicht. „Ich sagte schweig!“
Hasserfüllt sah ich ihn an. Warum meinte jeder Mann, dem ich begegnete, mit mir umgehen zu können, wie es ihm beliebte? Eine sich mir von der Seite nähernde Gestalt erweckte meine Aufmerksamkeit. Es war wieder der Finsterling, der mich hierher gebracht hatte, und jetzt hielt er einen metallenen Stab in der Hand.
„Dieses Zeichen wird dich und alle, die du triffst, dein Lebtag nicht vergessen lassen, was du getan hast… was du bist“, verkündete der rot gekleidete Herr.
Der andere stand nun dicht neben mir. Mit einem Ruck entblößte er meine rechte Schulter und drückte mir das glühende Metall auf die Haut. Die Pein trieb mir Tränen in die Augen. Damit mir nur ja kein Laut entkam, biss ich mir auf die Lippe, bis ich warmes Blut schmeckte. Den Triumph mich vor Schmerz schreien und winseln zu hören, wollte ich ihnen nicht auch noch gönnen. Sie konnten mich demütigen, aber wenn sie dachten sie hätten mich besiegt, dann irrten sie.
Ich schwieg beharrlich, als der feine Herr mich am Arm zur Seite zog, um das frische blutende Brandzeichen in meiner Haut der neugierigen Menge zu präsentieren. Jetzt konnte ich es auch selbst erkennen, es stellte eine bourbonische Lilie dar. Es war ein Fluch, der für den Rest meines Lebens an mir haften und mich daran erinnern würde, welcher Platz mir in dieser Gesellschaft zugedacht war.
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Beitragvon Kitti » 15.03.2007, 18:57:14

Juhu, die Fortsetzung! Endlich! Ist doch immer so spannend!

Immer noch arme Anne, aber toll geschrieben!

Ich hoffe, der nächste Teil kommt bald. Ich finde, in deiner Story kann man sehr gut nachvollziehen, wie sich der Hass der Milady auf die Männerwelt ergeben hat.

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Beitragvon Marie Antoinette » 15.03.2007, 20:23:08

Da schließ ich mich doch einfach Kitti an! :D

Schön, dass du mal wieder im Forum bist und auch gleich eine neue Fortsetzung gepostet hast. Gefällt mir wieder sehr gut. Und die arme Anne, was wird sie wohl als nächstes durchmachen müssen... :cry: :cry:

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Beitragvon Sisi Silberträne » 23.03.2007, 21:27:08

Danke für eure Kommis, ihr meine treuen Leserinnen :mrgreen:

Kitti> ja, genau darum gehts mir auch, dass man nachvollziehen kann, warum sie irgendwie ein gestörtes Verhältnis zur Männerwelt hat.

Elektra> es wird mal etwas positiver, v.a. im übernächsten Teil *versprech*



Kapitel 8


Erneut saß ich in der beengenden Gefängniszelle fest. Meine Lippen waren blutverkrustet und ganz ausgetrocknet, ich hatte solchen Durst. An das Schmerzen meines Magens vor Hunger hatte ich mittlerweile gewöhnt. Als ich schon fürchtete, verrückt zu werden, näherten sich am Gang erneut Schritte. Diesmal musste es Paul sein, dachte ich bei mir, doch ich lag falsch. Der Mann, der mir die Lilie eingebrannt hatte, schloss die Tür auf. In seiner Begleitung fand sich der feine rot gekleidete Herr.
„Nun, viel Glück, Eminenz. Aber glaubt mir, mit dieser kleinen dummen Dirne verschwendet Ihr Eure Zeit.“
„Dass lasst nur meine Sorge sein. Und jetzt seid so freundlich, lasst mich mit dem Mädchen allein. Bestimmt erfordern andere Dinge Eure Aufmerksamkeit.“
Der kleinere Mann nickte und entfernte sich eilig. Hinter ihm schwang die Tür leise knarrend zu. Ich starrte stur auf den strohbedeckten Boden, dieser offenbar sehr angesehene Herr war mir von Grund auf zuwider. Mein Gespür sagte mir, dass er durchtrieben war.

„Schade, offenbar willst du nicht mit mir sprechen“, begann er schließlich. „Ich ging davon aus, dass du keinen großen Wert darauf legst, noch länger hier zu verweilen. Sollte ich einem Irrtum aufgesessen sein?“
Jetzt sah ich doch auf. Um diesen Ort zu verlassen, war ich bereit einiges in Kauf zu nehmen. „Ihr habt Euch nicht getäuscht... Eminenz“, sagte ich leise. „Was verlangt Ihr von mir für die Freiheit?“
Er ging dicht vor mir in die Hocke, fasste nach meinem Kinn, und hob meinen Kopf an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. „Du bist ausgesprochen hübsch, und in deinem Blick erkenne ich einen starken Geist. In meinen Diensten könnte ich dich gut gebrauchen. In meiner Position ist man darauf angewiesen immer gut informiert zu sein, weißt du. Und du könntest für mich solche wertvollen Informationen in Erfahrung bringen. Im Gegenzug erhältst du die Freiheit, und wenn du deine Sache immer gut machst, werde ich mich erkenntlich zeigen.“
„Und wie soll ich das tun?“ fragte ich schlicht. Irgendetwas stimmte nicht, das Angebot klang viel zu gut.
„Glaub mir, alles was du dafür brauchst, hast du an dir. Wenn du es richtig einsetzt, bekommst du alles was du willst. Kein Mann kann einem solch unschuldigen hübschen jungen Ding widerstehen, wenn es sich ihm anbietet.“
Das war also der Haken. Ich sollte mir mit Hilfe meiner weiblichen Reize Männer gefügig machen, damit ich an bestimmte Informationen gelangen konnte. Es hatte den Anschein, dass dies wirklich meine einzige Möglichkeit war, wollte ich wieder frei sein.
„Ich habe noch Geschäfte in der Umgebung zu erledigen, in zwei Tagen werde ich erneut hier sein. Bis dahin überlege dir, ob du mich nach Paris begleiten möchtest, oder lieber in dieser Zelle verbleibst.“ Er lächelte mich von oben herab an. „Ich empfehle mich.“
Als er endlich gegangen war, verfiel ich in angestrengte Überlegungen. Sollte ich dieses Angebot annehmen? Was erwartete er von mir? Ich konnte mir nicht vorstellen einem Mann jemals wieder körperlich nahe zu kommen. Vielleicht schaffte ich es ja wegzulaufen, wenn er mich erst einmal aus dem Gefängnis geholt hatte. Doch diesen Gedanken verwarf ich bald wieder. Das würde er gewiss nicht zulassen. Entschied ich mich für seinen Weg, musste ich ihn auch bis zum Ende gehen. Eine Zeit lang rang ich mit mir, und schließlich siegte der drängende Wunsch diesen beengenden Ort zu verlassen. Eine andere Wahl hatte ich nicht.

Doch dann erschien unerwartet Pauls Gesicht auf der anderen Seite des vergitterten Fensters, und im nächsten Moment wurde mit einem metallischen Klicken das Schloss entriegelt. Ich hatte ihn gar nicht kommen gehört.
„Schnell“, flüsterte der junge Bursche. „Ich bringe dich hier raus. Kein Wort mehr jetzt.“ Er legte mir den Finger auf die Lippen, ehe ich antworten konnte.
Den Weg durch den spärlich beleuchteten Gang und die unregelmäßigen Stufen hinauf legten wir schweigend zurück. Draußen war es dunkel, der Mond schien. Erst als wir ein paar Hausecken hinter uns gelassen hatten, blieb Paul stehen.
„Wohin willst du denn nun?“
„Nach Lille“, antwortete ich, während ich mich misstrauisch umsah. Ich traute dem Frieden nicht ganz.
Er griff bemerkenswert vorsichtig nach meiner Hand. Wortlos folgte ich ihm, bis wir das Dorf hinter uns ließen und am Rand einer breiten Straße standen.
„Du musst dich immer diese Richtung einhalten. Wenn du dich beeilst, kannst du in vielleicht zwei Stunden da sein.“
Verwundert legte ich den Kopf schief. „Warum hilfst du mir? Du kennst mich doch gar nicht.“ In seinen Augen konnte ich die Antwort lesen. Es war der gleiche Ausdruck wie Etiennes, als er von seiner Angebeteten sprach. Der Bursche hatte sich in mich verliebt, und das obwohl ich bestimmt keinen sehr schönen Anblick bot.
„Danke.“ Ich gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Warte! Ich kenne doch nicht einmal deinen Namen…“
Vielleicht war das auch besser so. Nach ein paar Metern warf ich einen Blick über die Schulter zurück, sah im Mondlicht seine Silhouette. Und dann wurde das Dorf von der nächtlichen Finsternis verschluckt. Ich ging langsam, um mich nicht zu verirren, oder über ein verborgenes Hindernis zu stolpern. Bald erreichte ich einen Bach, an dem ich endlich meinen Durst ausgiebig stillen konnte.

Beim ersten Tageslicht setzte ich meinen Weg nach Lille fort. Mein Magen war immer noch leer. Zwar fand ich Brombeersträucher und wilde Apfelbäume, doch zu dieser Jahreszeit trugen sie keine Früchte.
Die Stadt war so groß und aufregend, wie sie mir vorgestellt hatte, doch ebenso war sie bedrohlich. Überall waren so viele Menschen, und wann immer ich einen Mann sah, der auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dem Priester besaß, bekam ich es mit der Angst zu tun, ohne dass ich es verhindern konnte. Vielleicht wäre die Stadt schön gewesen, hätte ich die Mittel gehabt, sie zu genießen. Ich lebte von einem Tag zum nächsten, und von dem was ich stahl, oder mir durch ehrliche Arbeit verdiente.
Wann immer ich eines dieser leicht bekleideten Mädchen am Straßenrand auf einen Freier warten sah, wurde mir klamm ums Herz. So mochte ich auf keinen Fall enden. Und doch stand ich kurz davor, auch wenn ich es nicht wahr haben wollte. Den ganzen Sommer blieb ich in Lille. Als ich sechzehn wurde, saß ich allein in einem verlassenen Hinterhof, und dachte darüber nach, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich mich in die Ehe mit Raymond gefügt. Geregelt, mehr oder weniger sorglos, aber bestimmt nicht glücklich. Hunger zog ich Schlägen immer noch vor. Was ich alles nicht hatte, spielte keine Rolle, denn zumindest war ich frei.

Mit der Zeit wurde mir der städtische Wirbel doch zu viel, ich begann mich hauptsächlich in ruhigeren Randgegenden aufzuhalten. Eines Tages stieß ich auf einen bunten Markt, auf dem es von den verschiedensten Nahrungsmitteln bis zu edlen Stoffen und Kleidern alles gab, was das Herz begehrte. Sehnsüchtig fiel mein Blick auf einen Stand voller köstlich duftender Bäckereien. Was hätte ich nicht für ein einfaches Croissant gegeben.
„Verschwinde! Du verscheuchst mir noch die Kundschaft“, herrschte mich der untersetzte Mann auf der anderen Seite des Standes an.
Da ich ja nicht einmal genug Geld für ein Stück Brot in der Tasche hatte, wandte ich mich von den Leckereien ab, und ging neugierig weiter. Anderswo erregte ein hübsches Kleid, schlicht aus zartgrünem Stoff, meine Aufmerksamkeit. Ich konnte nicht anders, als vorsichtig mit der flachen Hand darüber zu streichen.
„Gefällt es dir?“ Diese Stimme war sanft, sie gehörte einer kleinen alten Frau mit glänzend silberfarbenem Haar und meerblauen Augen, die mich freundlich anlächelte.
Ich nickte heftig. „Es ist wunderschön.“
„Und es würde hervorragend zur Farbe deines Haars passen.“
„Wirklich?“ Mit großen Augen sah ich das Kleid an. „Ach, ich kann es mir ja doch nicht leisten.“
Die Alte hob ein wenig die Augenbraue. „Wie es der Zufall will, könnte ich jemanden gebrauchen, der mir beim Aufräumen zur Hand geht. Die müden Knochen wollen nicht mehr so wie früher, ein Jammer ist das.“
Natürlich half ich ihr, zu zweit ging es schnell und es machte Spaß, weil wir ins Reden kamen. Ihr Name war Mélisse, sie schien ein herzensguter Mensch zu sein, wie sie leider selten waren.

Mit ein paar Münzen in der Tasche kehrte ich später zum Bäckerstand zurück. Erneut hatten es mir die Croissants angetan.
„So gut sind die gar nicht.“ Unbemerkt war Mélisse an mich heran getreten. „François ist ein alter Griesgram, und so schmeckt auch sein Gebäck.“
„Euch auch einen schönen Tag, Madame“, grummelte der beleibte Mann.
Ich musste mir ein Lachen schwer verkneifen. So wie er die Anrede betonte, war ich sicher, dass derartige Bemerkungen zwischen den beiden öfter ausgetauscht wurden.
Die alte Frau wandte sich wieder mir zu. „Es wird Zeit für mich aufzubrechen, ich habe einen sehr lange Weg vor mir. Und du musst sicher auch heim...“
„Nicht wirklich... ich habe kein Zuhause.“
„Oh, armes Ding. Hast du denn keine Familie?“
Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. Mama und meine Brüder fehlten mir noch immer, ich hätte gerne gewusst wie es ihnen ging, aber inzwischen hatte ich akzeptiert, dass sie nicht mehr Teil meines Lebens waren.
„Ich auch nicht mehr, seit mein Mann vor zwei Jahren gestorben ist.“ Mélisse legte verständnisvoll die Hand auf meine Schulter.
Wahrscheinlich tat ich ihr einfach nur leid, vielleicht mochte sie mich auch irgendwie leiden. Sie bot mir an sie zu begleiten. Neben ihr auf dem Kutschbock des Einspänners kehrte ich der Stadt endlich den Rücken.
Zuletzt geändert von Sisi Silberträne am 30.05.2007, 16:26:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Marie Antoinette » 23.03.2007, 21:56:36

Toll, es geht schon weiter! Und was für ein schöner langer Teil! :D

Eine erfreuliche Entdeckung so kurz vor dem Wochenende... :D

Erst im übernächsten Teil wird es positiv? Da vermut ich doch jetzt einfach mal, dass im nächsten noch irgendwas passiert, was mit dieser Mélisse zusammenhängt, die ich im Moment noch total nett finde, wie sie sich um Anne kümmert...

Bin schon gespannt wie es weitergeht!

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Beitragvon Sisi Silberträne » 23.03.2007, 22:13:05

im nächsten nach dem aktuell geposteten Teil, meinte ich ^^
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Beitragvon Kitti » 23.03.2007, 22:26:52

Arme kleine Anne! Aber schön, dass sich die nette Frau ihrer angenommen hat! Die Idee gefällt mir sehr gut! :)

Ein toller Teil, wie immer! Hoffe, dass es bald weitergeht. Hast mich mit den Andeutungen vorhin schon ganz neugierig gemacht! :D

Weiter!
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Beitragvon ChristineDaae » 31.03.2007, 20:06:03

Jetzt habe ich auch endlich mal Zeit gehabt, die Geschichte zu lesen... Da krieg ich richtig Minderwertigkeitsgefühle, wenn ich meine anschaue! Die ist wirklich super. Bitte, schnell weiter! :)
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Beitragvon Sisi Silberträne » 02.05.2007, 21:00:17

Nun hab ichs endlich mal geschafft weiter zu schreiben :) Wie versprochen schauts in diesem Kapitel für Anne etwas besser aus. Aber ich will ja nicht vorgreifen, das müsst ihr schon selber lesen *gg* Hab mich übrigens nun doch dazu entschlossen ihn Olivier zu nennen ;)

ChristineDaae> Aber aber, deine Geschichte ist auch sehr gut, mir gefällt sie :)



Kapitel 9


Die Fahrt mit dem Wagen dauerte lange, bestimmt mehr als drei Stunden. Wir sprachen viel miteinander, es schien mir als würde ich Mélisse schon Jahre lang kennen, ich fühlte mich wohl bei ihr. Hätte ich jemals eine Großmutter gehabt, dann bestimmt eine wie sie. Als es schließlich zu dämmern begann, waren wir offenbar immer noch nicht annähernd am Ziel. Bald darauf lächelte die liebe alte Frau jedoch breit.
„Wir sind jetzt im Übrigen in der Champagne und haben die Grenze zur Grafschaft de la Fére passiert. Hier lebe ich seit meiner Geburt. Sieh dich nur gut um, es ist noch nicht zu dunkel.“
Ich wusste nichts zu erwidern, so ließ ich schlicht meinen Blick über die Umgebung schweifen. Welche Bedeutung der Name de la Fére für mich haben sollte, ahnte ich nicht einmal im Traum. Wir kamen durch Wälder und fuhren Feldwege entlang. Als die Nacht herein brach, wurde mir unwohl. In der Finsternis glaube ich manchmal Schatten zu sehen, die Monsieur Dominic oder Seiner Eminenz glichen.
„Mach dir keine Sorgen. Wir sind bald da. Meine treue Fleurette kennt den Weg“, beruhigte mich Mélisse. Tatsächlich schien die kleine robuste Stute genau zu wissen, wohin sie gehen musste. Nach nicht allzu langer Zeit rollte der Wagen durch ein kleines Dorf, und hielt schließlich vor einem etwas abseits gelegenen Häuschen. Gemeinsam stellten wir den Wagen weg und versorgten die gute Fleurette.
Danach aßen wir eine Kleinigkeit – nur Kaltes, das so gut schmeckte wie das beste Dîner, das ich von zu Hause kannte, und legten uns schlafen. Es war spät geworden. Mélisse richtete für mich das Gästezimmer her. Offenbar war es lange nicht mehr benutzt worden. Jedenfalls war es der schönste Raum, den ich mir hätte vorstellen können.

Es war reichlich ungewohnt wieder in einem warmen Bett zu schlafen, und am nächsten Morgen wusste ich nicht wo ich mich befand. Erst Mélisses Stimme, die mich zum Frühstück rief, holte mich in die Realität zurück. Ich zog eilends mein schäbiges Kleid an und lief in die Küche. Wie das ganze übrige Haus war sie klein und ein wenig herunter gekommen, aber sehr gemütlich.
„Ah da bist du ja, meine Liebe. Hast du gut geschlafen?“
Ich nickte. „Ja, Madame. Wunderbar. Ich bin Euch so dankbar für Eure Gastfreundschaft.“
„Das ist gerne geschehen. Komm, nimm dir ein Croissant. Die sind viel besser als François’ Gebäck.“ Sie zwinkerte mir zu. Dankbar nahm ich eins aus dem Körbchen, es schmeckte wirklich herrlich.
„Ich weiß nicht wie ich Euch danken soll…“ begann ich wieder.
Sie unterbrach mich. „Indem du dir jetzt anhörst, was ich dir sagen möchte.“ Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Du merkst ja wie es hier überall aussieht. Ich werde alt, die müden Knochen streiken immer öfter. Deshalb könnte ich gut jemanden gebrauchen, der mir im Haus zur Hand geht und für mich auf die nahen Märkte fährt, um zu verkaufen was ich nähe. Vielleicht kennst du ja jemanden, der das gerne machen würde. Gegen Kost, Unterkunft und jeden Monat etwas Geld, selbstverständlich. Gute Arbeit will ich großzügig belohnen.“
Meine Augen begannen zu leuchten. „Das würde ich sehr gerne für Euch machen, Madame!“
Sie lachte. „Na gut, aber nur unter der Bedingung, dass du mich Mélisse nennst.“ Sie legte mir vertraulich die Hand auf den Arm. „Weißt du wie schön es ist, wieder Leben im Haus zu haben? Meine Töchter sind schon so lange weg, ich weiß nicht mehr wie das ist. Seit Oscar, mein Mann, nicht mehr lebt, ist es völlig still geworden.“

An diesem Tag erfuhr ich noch einiges über ihre Familie. Ihre beiden Töchter Virginie und Jeanne waren beide verheiratet und lebten so weit weg, dass Mélisse sie inzwischen nicht mehr besuchen konnte. Söhne hatte sie nie gehabt, doch ihr Oscar war ihr deshalb nicht böse gewesen. Sie beschrieb ihn als liebevollen Ehemann, der sie mit Respekt behandelt hatte, und auf seine Töchter immer voller Stolz gewesen war. Oh, ich wünschte Papa hätte auch einmal so für mich empfunden. Nur ein einziges Mal.
Meinerseits erzählte ich ihr von meiner Kindheit, der Verlobung mit Raymond d’Arlais, und meiner Flucht von Zuhause, weil ich nicht in der Ehe mit einem solchen Mann enden wollte. Viel mehr träumte ich von einem, der respektvoll mit mir umging, und meine Fähigkeiten schätzte. Was Monsieur Dominic mir angetan hatte, verschwieg ich, doch sie wusste auch so, dass mir etwas Schlimmes widerfahren war, über das ich nicht sprechen wollte. Sie akzeptierte es. Auch über die in meine Schulter eingebrannte Lilie verlor ich kein Wort, denn ich hatte Angst, sie würde dann auch nur das in mir sehen, was diese Männer aus mir gemacht hatten.

Mein Leben wurde jetzt geregelter, ein Umstand, den ich sehr genoss. Dank Mélisses guter Küche bekam ich wieder etwas Speck auf die Rippen, meine Figur wurde richtig weiblich, viel mehr als zuvor, und wann immer ich im Dorf unterwegs war, sahen mir manche Männer hinterher. Ich ließ mich von diesen Blicken für gewöhnlich nicht beirren, sondern wusste sie zu ignorieren. Die Arbeiten, die mir meine Gönnerin jeden Tag auftrug, waren vielfältig und oft anstrengend, doch ich tat sie gern. Die alte Frau brachte mir das Kochen bei, jedoch beim Nähen verzweifelte sie. Zumindest schaffte ich es, Risse zu verschließen und Knöpfe zu befestigen, das genügte ja auch, fand ich.
Auf die Märkte zu fahren, machte mir besonders großen Spaß. Mit Fleurette kam ich gut zurecht, so lange ich nicht selbst reiten musste, mochte ich Pferde. Von Mélisses Kunden wurde ich zunächst sehr argwöhnisch betrachtet, doch auch das gab sich bald, da die hohe Qualität der Waren natürlich unverändert blieb.

Weil es auf den Winter zuging, bekam die alte Schneiderin eines Tages den Auftrag einen Mantel zu nähen. Bestimmt war das gute Stück für niemand geringeren als den jungen Grafen de la Fére, den sie als wahren Edelmann beschrieb. Erst vor Kurzem hatte sein Vater Henri de la Fére seinen Titel an den ältesten seiner Söhne weiter gereicht.
Das Kleidungsstück wurde perfekt, wie alle Arbeiten Mélisses. Es war schlicht, und doch vornehm. Ich stellte mir vor, wie der Mann aussah, der es tragen würde, denn noch kannte ich den jungen Grafen nicht.
Er kam früh morgens, um den Mantel abzuholen. Der Himmel war grau, kühle Herbstluft umfing mich, als ich gut gelaunt vom Stall zurück zum Haus lief, nachdem ich die zottige Stute versorgt hatte. Wie vom Donner gerührt blieb ich in der Tür zur Stube stehen. Ein junger Mann drehte sich unter Mélisses kritischem Blick in dem schönen Mantel.

„Ah, da bist du ja.“ Die alte Frau lächelte mich an, ehe sie sich wieder ihrem Kunden zuwandte. „Dies ist nun meine brave Anne.“ Ihr Blick wechselte erneut zu mir. „Und dies ist Olivier, Graf de la Fére.“
Man sah ihm an, dass er Rang und Namen besaß. Seine durch und durch edlen Gesichtszüge wurden von dunklem Haar umrahmt, das ihm über die Schultern fiel. Die schönsten braunen Augen, die ich je gesehen hatte, musterten mich neugierig.
„Ich bin sehr erfreut Eure Bekanntschaft zu machen“, sagte ich scheu, und knickste, so wie man es mich in meiner Kindheit gelehrt hatte.
Er reichte mir amüsiert lächelnd die Hand. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Madame Mélisse hat schon viel von Euch erzählt. Ich bin sehr froh, dass sie jetzt eine so tüchtige Hilfe hat.“
Solche Worte trieben mir Röte auf die Wangen. Alles was ich tat, war meine Aufgaben möglichst zur Zufriedenheit meiner Gönnerin zu erledigen, damit zeigte ich ihr meine Dankbarkeit für die Chance, die sie mir gegeben hatte.
„Ihr seid nicht aus dieser Gegend, oder?“ fuhr er fort.
Er sprach mich respektvoll an, das war ich gar nicht gewöhnt. Ich schüttelte den Kopf. „Das ist wahr. Ich habe Mélisse in Lille getroffen, und wie es der Zufall wollte, hat sie jemanden gesucht, der ihr zur Hand geht. So kam ich mit ihr hierher.“
Ohne das gute Herz der alten Frau, wäre ich jetzt immer noch hungrig und allein irgendwo in den Straßen der Stadt. Wenn ich denn überhaupt noch lebte.
„Dann war es wohl Glück für sie und für Euch.“ Er zog den Mantel wieder aus, und griff nach seinem Geldbeutel, um das Kleidungsstück nun zu bezahlen. „Es wird bestimmt noch den ein oder anderen schönen Tag geben, ehe der Winter herein bricht. Wenn Ihr mögt, könnte ich Euch die Gegend zeigen. Die Grafschaft verfügt über einige landschaftliche Besonderheiten, die man gesehen haben sollte.“
Zunächst zögerte ich. Das letzte Mal, als ich einem fremden Mann ohne weiteres vertraute, hatte mir das Zeichen an meiner Schulter eingebracht. Doch er junge Graf schien ein guter Bekannter Mélisses zu sein, also nickte ich schließlich. „Das wäre sehr schön, wenn Ihr denn die Zeit erübrigen könnt.“
Er schmunzelte. „Ja, ich hoffe doch sehr, dass ich das kann. Es muss doch zu etwas gut sein, wenn man ein Graf ist, meine ich.“
Dieser Kommentar brachte mich zum Lachen. Olivier de la Fére schien wirklich sehr nett zu sein. Wir verabredeten für den nächsten Sonntag eine Ausfahrt mit der Kutsche. Wie gut, dass er keinen Ausritt vorgeschlagen hatte. Es wäre mir peinlich gewesen, zugeben zu müssen, dass ich nicht reiten konnte. Bestimmt hätte er sich köstlich darüber amüsiert.
Zuletzt geändert von Sisi Silberträne am 13.06.2007, 16:17:53, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitragvon Kitti » 02.05.2007, 21:09:32

Ein wunderschöner Teil! Endlich geht es ihr besser. Ich finde es toll, wie du ihre Erinnerungen und Gefühle beschreibst. Olivier klingt doch toll, bin gespannt, was du daraus machen wirst! Schnell weiter!
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Beitragvon Marie Antoinette » 03.05.2007, 19:58:25

Stimmt, der Teil ist wirklich schön! Endlich geht es aufwärts. :D

Bin schon gespannt wie es weitergeht.

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Beitragvon ChristineDaae » 04.05.2007, 14:19:01

Wirklich schön! :D
Ist ja schön, dass es für die arme Anne mal gut weiter geht! :)
Die schönsten braunen Augen, die ich je gesehen hatte

Ooh, ich ahne etwas... :wink:

Bitte schnell weiter! :D
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Beitragvon Sisi Silberträne » 18.06.2007, 21:06:10

Danke für eure Kommis :)
Schön, dass es dir gefällt, Kitti!
Auch ein danke an Elekra. Und Christine, mal sehen, ob du richig ahnst *g*
Anne darf immer noch aufatmen.



Kapitel 10


Am Samstag fuhr ich wie gewöhnlich zum Wochenmarkt, um Mélisses Ware dort anzubieten. Es war ein sehr sonniger Herbsttag, ich hoffte, dass das Wetter vorhalten würde. Obwohl es noch recht warm war, kündigte sich der Winter langsam an. Die Blätter hatten sich bereits bunt verfärbt, eins nach dem anderen riss der Wind von den Bäumen. Es wurde sehr früh dunkel, in der Dämmerung machte ich mich auf den Heimweg, in der Tasche die Einnahmen, mit denen die alte Schneiderin durchaus zufrieden sein konnte.
In Gedanken weilte ich schon bei dem Ausflug mit dem jungen Grafen, auf den ich mich die ganze Woche gefreut hatte. Von meiner Umgebung bekam deshalb ich nicht mehr viel mit, und bemerkte erst als Fleurette die Ohren zurück legte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Die Stute wieherte plötzlich schrill. Im selben Moment brachen drei Reiter aus dem Gebüsch, umkreisten meinen Wagen. Erschrocken erkannte ich, dass sie sich bis zur Unkenntlichkeit vermummt hatten.

„Was wollt Ihr? Lasst mich zufrieden.“ Ängstlich blickte in von einem zum anderen. Eine dumme Frage, natürlich waren sie auf das Geld aus, sie mussten wissen, dass ich ein lohnendes Geschäft bot.
Einer der Reiter versuchte plötzlich nach Fleurettes Zügeln zu greifen, doch die Stute stürmte davon, als sie die Bewegung neben sich bemerkte. So schnell hätte ich niemals zu reagieren vermocht. Zitternd hielt mich auf dem heftig schaukelnden Wagen fest. Die Männer jagten hinterher.
„Lauf, Fleurette, lauf!“ trieb ich die Stute an. Sie kannte den Heimweg, ich verließ mich auf sie. Aber die Räuber hatten gefährlich aufgeholt, auf der Straße gab es kein Entrinnen. Ich ließ das Pferd jäh nach links wenden, das konnten die Männer nicht voraus sehen. Ehe sie begriffen was ich vor hatte, holperte der Wagen bereits die Böschung am Wegrand hinunter. Das weiche Gras schluckte jedes Geräusch, aber es bremste auch die Fahrt.

„Sucht das närrische Ding!“ hörte ich einen der Banditen rufen. Ich hatte erwartet, dass sie nicht so bald aufgaben. So schnell ich konnte, band ich die Stute los, um sie laufen zu lassen. Fleurette wusste auf sich selbst aufzupassen. Sie galoppierte Richtung des Flusses davon. Die vermummten Männer fielen prompt darauf herein.
So kam ich zwei Stunden später, aber heil mit Pferd und Wagen vor Mélisses Haus an. Die alte Frau war schon ganz aufgebracht vor Sorge. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht, als ich ihr berichtete, dass ich fast Wegelagerern zum Opfer gefallen wäre.
„Gott sei Dank, bist du ihnen entkommen!“ Erleichtert drückte sie mich an sich. „Das waren bestimmt die Vasseur-Brüder, mit denen ist nicht zu spaßen! Der Graf hat eine hohe Belohnung auf ihre Köpfe ausgesetzt.“
Lächelnd reichte ich meiner Gönnerin den Geldbeutel. Nachdem Fleurette versorg war, tranken wir beide in der Küche noch eine Tasse Tee, um die Nerven zu beruhigen. Es war fast elf, als ich schließlich todmüde ins Bett fiel.

Am nächsten Morgen bemerkte ich, dass die zottige Stute das Abenteuer nicht ganz so gut überstanden hatte. Ihr rechter Vorderlauf war ganz heiß und geschwollen. Während ich das Bein versorgte, kam Mélisse in den Stall, um zu sehen, wo ich blieb.
„Aber Anne, solltest du dich nicht langsam zurecht machen? Oder willst du so zu deiner Verabredung mit dem jungen Grafen gehen?“ fragte sie mich belustigt. „Ohne Frühstück verlässt du mir jedenfalls nicht das Haus.“
Ich drehte mich um, als sie mich ansprach. „Nein, Madame, natürlich nicht. Fleurette lahmt, sie wird in der Dunkelheit gestern Nacht gestolpert sein.“
Die alte Frau trat neben mich. „Das ist schlecht. Aber du gehst jetzt trotzdem ins Haus, Essen ist in der Küche. Ich werde mich um die Stute kümmern.“
„Zu Befehl, Madame“, lachte ich. Sie würde ja doch keinen Widerspruch dulden, also tat ich was sie wollte. Hastig schlang ich das Croissant hinunter, das sie mir hingestellt hatte, und zog mich danach um. Mélisse hatte mir als Lohn für meine Arbeit das hübsche Kleid geschenkt, für das ich auf dem Markt in Lille voller Bewunderung gewesen war.

Als ich noch versuchte meine rote Mähne zu bändigen, hörte ich draußen bereits die alte Frau mit Olivier de la Fére sprechen. Ihn warten zu lassen, würde einen denkbar schlechten Eindruck machen, so ließ ich mein Haar wie es war, und eilte hinaus. Dummerweise stolperte ich über die Türschwelle, sodass ich eher hüpfend und fluchend erschien, als würdevoll, wie es sich für eine Dame gehörte.
Der junge Graf lachte amüsiert auf. „Immer mit der Ruhe, wir haben noch den ganzen Tag Zeit.“ Er bot mir die Hand an, um mir in den Einspänner zu helfen, vor dem ein großer Schimmel stand. Ich murmelte verlegen einen Gruß, mein uneleganter Auftritt war mir äußerst unangenehm.
„Wartet noch einen Moment, meine Lieben“, bat Mélisse, als Olivier den Wagen gerade in Bewegung setzen wollte. Sie eilte ins Haus, um kurz darauf mit dem Butterkuchen zurück zu kehren, den sie diesen Morgen gebacken hatte. „Und nun ab mit euch, viel Spaß.“
„Ich empfehle mich, Madame.“ Olivier bedachte sie mit einem freundlichen Lächeln, und trieb dann den Schimmel in einen gemütlichen Trab. Nach einer Weile, in der ich betreten geschwiegen hatte, schaute er mich neugierig an. „Wollt Ihr heute noch das ein oder andere Wort mit mir wechseln?“
„Entschuldigung, Monsieur, ich… das…“
„Kein Grund so rot zu werden, ich beiße nicht, das schwöre ich. Überhaupt gelte ich als sehr umgänglich.“
Jetzt konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Aber ich wusste immer noch nicht, worüber ich mit ihm reden sollte.
„Erzählt mir doch ein wenig über Euch“, fuhr er fort, als ob er meine Gedanken erahnte. „Woher kommt Ihr? Was ist mit Eurer Familie?“
Das waren genau die Fragen, vor denen ich mich gefürchtet hatte. Zögernd erzählte ich ihm das Nötigste. Dass mein Vater mich nicht liebte, mich an einen Mann zu verheiraten gedacht hatte, den ich hasste, und ich vor dieser Ehe geflohen war.

„Ich bewundere Euren Mut“, meinte er nachdenklich, nachdem ich mit meinen Worten am Ende angelangt war. „Dieser Mann, auf den die Wahl Eures Vaters gefallen ist, hätte Euch nicht verdient gehabt…“
Erstaunt sah ich ihn von der Seite her an. „Denkt Ihr?“
Der Graf nickte leicht. „So, wie Ihr ihn beschreibt, wäre er mit einer Dienstmagd, der er befehlen kann, besser beraten gewesen.“
Wenn ich an Raymond zurück dachte, hatte Olivier mit seiner Vermutung recht. Doch das war meine Vergangenheit und bedeutungslos. Bestimmt hatte der junge d’Arlais bereits eine andere Frau gefunden, eine die Erfüllung darin fand, ihm für den Rest ihrer Tage zu dienen.
„Und was ist mit Euch? Jetzt seid Ihr an der Reihe mir etwas zu erzählen.“ Auffordernd musterte ich ihn.
Er zuckte leicht mit den Schultern, ohne die Augen von der Straße abzuwenden. „Mein Werdegang ist nicht besonders interessant. Ich bin zusammen mit einem jüngeren Bruder aufgewachsen, der mir nun meinen Titel ein wenig neidet. Das kann ich Silvain auch gar nicht verübeln, ich wünschte nur wir würden uns etwas besser verstehen.“
Wir setzten das Gespräch an dieser Stelle nicht mehr fort, da Olivier das Pferd durchparierte. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir uns auf einem Hügel befanden, von dem aus man das ganze Dorf überblicken konnte. Man konnte von hier aus auch den Familiensitz der de la Féres sehen, ein prächtiges Gebäude.

Nachdem wir uns an dem Ausblick satt gesehen hatten, ging es weiter. Der junge Graf zeigte mir sogar das Loch in der alten Eiche, das oft dazu verwendet wurde, Nachrichten zu hinterlassen. Meistens von Kindern beim Spielen, aber manchmal auch von jungen Liebespaaren. Das fand ich so romantisch.
Als es schon Nachmittag wurde, suchten wir uns eine schöne Stelle auf einer kleinen Wiese, um dort zu rasten und etwas zu essen. Olivier hatte köstliche Dinge mitgebracht, sogar eine Flasche fruchtigen Cidre. Am besten war jedoch Mélisses Butterkuchen zum Nachtisch.
„Eines habe ich Euch noch zu zeigen“, kündigte der junge Graf an, als wir unseren Weg fortsetzen. Bald kamen wir zum Fluss, wo wir an einer bestimmten Stelle zu Fuß weiter gingen. Die Uferböschung fiel steil ab, einmal verlor ich den Halt, und konnte mich nur vor einem Sturz bewahren, indem ich mich an einem dünnen Baumstamm festklammerte. Vom Weg aus konnte man nicht bis zum Wasser sehen, das hatte mich auch zunächst zögern lassen, doch mittlerweile hatte ich genug Vertrauen zu Olivier gefasst. Er war so ganz anders als alle Männer, denen ich bisher begegnet war. Abgesehen von meinem Freund Michel vielleicht.

Als wir das Ufer erreichten, blieb ich wie angewurzelt stehen. Vor uns bildete der Fluss ein großes Becken, das an den Seiten von Felsen umschlossen wurde, sodass man es erst sehen konnte, wenn man davor stand.
Olivier lächelte. „Habe ich zu viel versprochen? Jetzt ist es natürlich zu kalt, aber im Sommer ist die Stelle herrlich zum Schwimmen. Als Junge war das immer mein Geheimversteck, ich habe viel Zeit hier verbracht.“
„Es ist wunderschön“, sagte ich leise. Mein Zufluchtsort der Kindheit war ein ausgehöhlter Baum in unserem Garten gewesen, zumindest bis ich mit neun oder zehn Jahren nicht mehr hinein gepasst hatte.
Wir blieben noch eine Weile am Ufer sitzen, beobachteten die Fische im Wasser. Einmal verirrte sich auch ein Buchfink in unsere Nähe. Es war herrlich hier draußen, nur mit Olivier. Zu gerne hätte ich den Kopf an seine Schulter gelehnt, doch das traute ich mich nicht.

Am späten Nachmittag brachte er mich schließlich zurück, half mir vor dem Haus vom Wagen. Ich bedauerte es insgeheim, dass der Ausflug schon zu Ende war.
Der junge Graf sah mich an. „Das war ein schöner Tag. Sollten wir wiederholen, finde ich. Das heißt, wenn Ihr mich noch zu sehen wünscht.“
„Aber Monsieur...“ Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte, seine Frage erschien mir reichlich seltsam. „Natürlich möchte ich Euch wieder sehen, sehr gerne sogar...“
Er lächelte breit. „Das freut mich zu hören. Nun muss ich mich langsam auf den Weg machen. Mein Vater gibt heute Abend ein kleines Bankett, und ich habe Anwesenheitspflicht.“
Sein Augenrollen verriet, dass er sich lieber in einem Schweinestall aufhalten würde, als zu diesem Essen zu erscheinen. Zum Abschied küsste er meine Hand. Solche Gesten hatte ich noch nie besonders gemocht, doch die hauchfeine Berührung seiner Lippen versetzte mir einen nicht unangenehmen Schauer.
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Beitragvon Kitti » 18.06.2007, 21:21:53

Ui, bin ich die Erste diesmal? Juhu! *g* Der Teil ist einfach wunderschön, Sisi! Alles so schön beschrieben, ich habe dabei immer die Natur vor Augen...Wie genau darf ich mir den jungen Grafen vorstellen? :) Der ist mir jedenfalls sehr sympathisch.

Also wieder einmal, nein eigentlich, wie immer ein dickes Lob von mir und bitte bald weiter!!

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Beitragvon Marie Antoinette » 19.06.2007, 18:16:42

Mensch, bin ich froh dass ich in der Mittagspause früher ins Büro gegangen bin und noch ins Internet - das ist ja eine schöne Überraschung, die Fortsetzung! :)

Schön, dass in dem Teil auch weiter nichts schlimmes passiert und es Anne noch immer gut geht, abgesehen von dem fast - Überfall...

Ansonsten kann ich mich Kitti nur anschließen - der Teil ist wieder super geschrieben und hoffentlich geht es bald weiter! *anfeuer*

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Beitragvon ChristineDaae » 20.06.2007, 14:24:46

Da kann ich mich Elektra und Kitti nur anschließen, einfach super! Bitte schnell weiter.... :D
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Beitragvon Sisi Silberträne » 29.07.2007, 22:05:55

Danke für eure Reviews, meine wenigen aber treuen Leserinnen!! Fühlt euch mal geknuddelt :)
Hier kommt die Fortsetzung, und im nächsten Kapitel wirds wieder dramatisch, schon mal zur Ankündigung ^^



Kapitel 11


Der Winter näherte sich mit großen Schritten, es wurde sehr kalt, doch ließ der erste Schnee, dem ich schon ungeduldig entgegen sah, noch auf sich warten. Ein paar letzte sonnige Tage verbrachten Olivier und ich mit dem Durchstreifen der Landschaft, auch abgelegene Winkel ließen wir nicht aus, die schwierigsten Wege verlockten uns. Einmal schafften wir es sogar uns in den Wäldern zu verlaufen.
„Wo war nun der Weg, Monsieur Ich-kenne-die-Grafschaft-wie-meine-Westentasche?“ feixte ich, als sich die Müdigkeit vom langen Wandern bemerkbar zu machen begann.
Olivier kratzte sich etwas verlegen am Kopf. „Wir sind ganz dicht dran, hinter den Bäumen da vorne müsste er sein.“
Ich rollte mit den Augen. „Das hast du die letzten drei Mal auch schon gesagt.“ Nie würde er zugeben, dass er keine Ahnung hatte, wo sie sich befanden. Männer!
„Jetzt bin ich aber ganz sicher! Hörst du das Wasserrauschen nicht? Wir müssen nur noch dem Fluss folgen.“ Er grinste triumphierend.
Am Ende blieb mir nichts übrig, als zuzugeben, dass er recht gehabt hatte. Meine Beine waren rot von den Brennnesseln und den scharfen Zweigen, aber das machte mir nichts aus, später würde ich darüber lachen.

Als die Tage schon wieder länger wurden, erkrankte Mélisse an Fieber. Ich pflegte sie so gut ich es vermochte. Die Kräutertees und Wadenwickel zeigten schließlich auch Erfolg, es ging ihr nach ein paar Wochen wieder besser. Doch mit großer Sorge sah ich, dass sie einfach nicht ganz gesund wurde. Sie blieb blass und müde, zum ersten Mal wirkte sie auf mich alt.
Im Frühling war es ein ganzes Jahr, seit ich von Zuhause fortgelaufen war. Papa und auch Monsieur Dominic verfolgten mich immer noch nachts in meinen Träumen. Manchmal, wenn ich schweißnass zitternd aufwachte, saß Mélisse bei mir im Zimmer und hielt meine Hand. Sie tröstete mich, gab mir das Gefühl ihr alles sagen zu können, wenn ich es wollte. Wie gerne hätte ich das auch getan, ich vertraute ihr, doch fürchtete ich, sie würde ebenfalls glauben, was das Brandmal erzählte.

Eines Morgens, als ich gerade draußen vor dem Stall die brave Fleurette striegelte, kam unangekündigt Olivier auf seinem Winterrappen über die Wiese heran geritten. Er sah so gut aus, so stolz.
„Bon matin, Anne“, grüßte er mich gut gelaunt, als er das Pferd zum Stehen brachte und sich elegant abschwang. „Störe ich dich? Hast du viel zu tun?“
Ich lächelte ihn an. „Du doch nie. Aber sag, was führt dich so früh hierher? Bist du aus dem Bett gefallen?“
Der junge Mann schüttelte leicht den Kopf. „Nein, das nicht. Meine Familie gibt jedes Jahr ein Frühlingsfest, in zwei Wochen ist es wieder so weit, und da wollte ich das liebste und hübscheste Mädchen der ganzen Gegend fragen, ob es mir die Ehre erweist, mich zu begleiten.
Überrascht sah ich ihn an, mein Blick schien ihn zu amüsieren. Ich spürte warme Röte meine Wangen durchziehen. Mit diesen Worten konnte er eigentlich nicht mich gemeint haben, doch außer uns beiden und den Pferden war ja niemand hier.
„Sehr gerne, ich würde mich freuen. Aber meinst du denn ich passe dazu?“
Er nickte. „Ja, natürlich. Endlich kann ich dich dann meinen Eltern vorstellen. Keine Sorge, sie sind sehr nett und werden dich mögen.“
Das hätte er besser für sich behalten, ich war gar nicht überzeugt von seinen Worten. Ich war sicher unter den gut situierten Herrschaften aufzufallen wie ein schwarzes Schaf inmitten von weißen. Meine eigene adlige Herkunft hatte ich fast schon vergessen. Die einzige Tochter Claude de Breuils gab es nicht mehr, sondern nur noch Anne, ein Mädchen ohne Vergangenheit.

„So so, er hat dich also auf das berühmte de la Fére Frühlingsfest eingeladen.“ Ein bedeutungsvolles Lächeln umspielte Mélisses Lippen.
„Ja, und ich habe nicht einmal etwas zum Anziehen für so eine feine Gesellschaft“, warf ich ein. Das schöne zartgrüne Kleid, das mir meine Gönnerin geschenkt hatte, wirkte immer noch zu bürgerlich für einen solchen Anlass.
Die alte Frau nahm mich bei der Hand und führte mich in ein Zimmer im oberen Stock des Hauses, das ich noch nie gesehen hatte. Es war freundlich eingerichtet, das Bett bezogen, und auf dem Kissen lag eine kleine Stoffpuppe.
„Das Zimmer meiner jüngsten Tochter“, sagte Mélisse leise. „Ich habe sie nie erwähnt. Fabienne war erst fünfzehn Jahre alt, als sie krank wurde und starb. Seitdem habe ich hier nichts verändert, nur immer sauber gemacht.“ Sie öffnete den Schrank und holte ein wunderschönes Kleid hervor. Es war hellrot, die weiten Ärmel und der Rock beige. Der Stoff fühlte sich unglaublich weich an.
„Ich habe es für meine Tochter genäht, sie wollte es ebenfalls auf einem Fest tragen. Doch das ist leider nie geschehen. Es würde mich freuen, wenn du es nun anziehst.“ Sie sah mich aufmerksam an. „Du erinnerst mich manchmal so sehr an meine Fabienne, ihr ähnelt einander im Herzen.“

Nachdem die Schneiderin noch einige Veränderungen vorgenommen hatte, passte mir das Kleid am Vorabend des Festes wie angegossen, fast wie für mich gemacht. Tags darauf half sie mir dabei mein langes Haar zu bändigen. Als ich danach mein Spiegelbild sah, erkannte ich mich selbst kaum wieder. Am Nachmittag holte Olivier mich mit seinem Einspänner ab, wie er es versprochen hatte. Er musterte mich verblüfft.
„Pardon, Comtesse, könnt Ihr mir wohl sagen, wo ich Anne finde?“ Er lächelte sanft. „Du siehst wunderschön aus.“
„Danke“, grinste ich, als ich auf den Wagen kletterte. Die ganze Fahrt über fragte ich mich, ob das denn auch genügen würde.

Olivier geleitete mich in den großen Garten des gräflichen Anwesens, in dem sich schon unglaublich viele Menschen bewegten. Männer und Frauen sprachen miteinander, Kinder liefen dazwischen umher.
„Komm“, sagte er leise und ging mit mir zu einem älteren Paar, das die eintreffenden Gäste nacheinander begrüßte. Offenbar waren das der Graf und die Gräfin de la Fére.
„Mama, Papa“, begann er. „Darf ich euch Anne vorstellen? Das ist Madame Mélisses brave Gehilfin, von der ich erzählt habe.“ Er blickte von ihnen zu mir. „Anne, das sind meine Eltern, Henri und Clémentine de la Fére.“
Ich knickste höflich. „Es freut mich sehr Eure Bekanntschaft zu machen.“
„Uns ebenso.“ Oliviers Vater lächelte ein wenig. „Nun sehe ich endlich mit wem sich mein Sohn so gerne herum treibt.“
Zum Glück wurde die Aufmerksamkeit des gräflichen Paares bald wieder anderweitig beansprucht, und Olivier stellte mir anschließend seinen Bruder Silvain vor, in dessen Begleitung sich eine junge blonde Frau befand. Beide musterten mich herablassend, erinnerten mich daran, dass ich nicht hierher gehörte. Schon nach ein paar Minuten wusste ich, dass die Brüder nicht hätten unterschiedlicher sein können, und ich merkte bald, dass sich nicht viel zu sagen hatten.

Ich rechnete nicht damit ihm im Laufe des Abends noch einmal zu begegnen, doch als Olivier mit einigen anderen jungen Männern sprach, trat Silvain an mich heran, und bedeutete mir ihm ein Stück weit weg vom Kern des Festes zu folgen.
„Mit dir verschwendet mein Bruder also seine Zeit. Glaub mir, ich kenne solche wie dich. Du bemühst dich um ihn, weil er reich ist, habe ich recht?“
„Das ist nicht wahr“, widersprach ich sofort, aber wenig nachdrücklich, weil ich so überrascht über seine dreisten Worte war. „Ich hätte es lieber, wenn er kein Graf wäre.“
Er hob die Augenbraue. „Nun ja, schön bist du, kein Wunder, dass du seinen Verstand so leicht benebeln konntest.“ Mittlerweile waren wir an einem kleinen Tümpel, verborgen von tief hängenden Trauerweiden weit abseits des fröhlichen Trubels. Wir waren hier ganz allein. Jäh umfasste er eisern meine Handgelenke.
„Wenn du Geld willst, hilf mir den Titel zu erlangen, der mir rechtmäßig zusteht, und ich werde dich reich belohnen.“
„Was…?!“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Ich ahnte, dass er davon gesprochen hatte, gegen seinen eigenen Bruder zu agieren, mit dem Ziel dessen Platz als Graf einzunehmen. „Wie könnt ihr nur? Ich würde Olivier niemals schaden. Nie! Adieu, Monsieur de la Fére.“
Mit diesen scharfen Worten ließ ich ihn stehen, um zum Fest zurück zu kehren und mich auf die Suche nach Olivier zu machen.
Er lächelte mich an, als ich ihn fand. „Da bist du ja wieder. Würdest du mir die Ehre dieses Tanzes erweisen?“
In Aussicht auf seine Nähe nickte ich und ließ mich von ihm auf die Tanzfläche führen. Weil ich jedoch mit den Gedanken immer noch bei der Begegnung mit Silvain war, trat ich ihm in Folge der mangelnden Konzentration auf den Fuß. Besonders elegant wirkte das natürlich nicht.
Obwohl ich mich blamierte, wollte ich nicht aufhören mich mit ihm zu drehen. Zu sehr genoss ich seine sicheren Arme, die mich hielten.
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Wirklich frei macht wahrscheinlich nur der Wahnsinn!


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