
Aber jetzt kommt die Fortsetzung, viel Spaß. Übrigens hab ich letztens die Idee gehabt, die Geschichte mal aus der Sicht einer anderen Person zu erzählen. Würde euch das gefallen? Und wenn ja, wer darf's sein?
Meine Migräne-Ausrede wurde genau zwei Abende lang geduldet. Aber am Freitag Mittag stand Emmanuel vor meiner Türe. Er klingelte, und auf sein Klingeln, das mich erschrocken zusammenfahren ließ, folgte eine klare Ansage: „Anouk, ich bin’s. Und wenn du nicht willst, dass ich dir deinen Vertrag gekündigt unter der Türe durchschiebe, machst du jetzt sofort auf!“
Niedergeschlagen schlich ich zur Türe und ließ ihn rein. Wortlos musterte er mich, und ich wusste selbst, dass ich schrecklich aussah: zu blass, zu ungekämmt, zu verweint. Gott sei Dank war Emmanuel keiner dieser schreienden, ausrastenden Regisseure. Er legte mir den Arm um die Schulter und führte mich ins Wohnzimmer, als sei nicht er der Gast, sondern ich.
„Anouk, glaubst du nicht, dass du diese… Sache jetzt hinter dir lassen solltest?“, fragte er und reichte mir ein Taschentuch.
„Du weißt also auch davon?“, fragte ich entgeistert.
„Na ja.“ Er räusperte sich. „Es wissen so gut wie alle davon.“
„O Gott!“ Ich zog die Beine an und starrte gegen meine Knie.
„Ich kann verstehen, dass du dich schlecht fühlst, aber… Du kannst nicht ewig vor Alexej davonlaufen. Übrigens hat er mit mir gesprochen; ich soll dir ausrichten, dass es ihm leid tut und so weiter.“ Er klang ein wenig verärgert. „Ich mag es zwar absolut nicht, in einem Streit Partei zu ergreifen, aber abgesehen davon, dass du sehr unverantwortlich gehandelt hast, trifft ihn auch ein großes Maß an Schuld. Ich hoffe, dass das nicht mehr zwischen euch stehen wird.“
„Zwischen uns vielleicht nicht mehr“, erwiderte ich leise, und er stand auf.
„Tja, deine Beziehungsprobleme kann ich leider nicht lösen“, sagte er. „Und jetzt solltest du deine Sachen zusammenpacken und mit ins Theater kommen. Du wirst nämlich schon besorgt vermisst.“
Emmanuels Worte hatten mich Daheim trösten können, aber nun war ich wieder ängstlich und nervös wie an den vergangenen Tagen. Ich verdrückte mich sofort mit meinem Kostüm in meine Garderobe, aber ich war so durcheinander, dass ich vergaß den Body unter das Nachthemd zu ziehen und noch einmal von vorn beginnen musste. Erst, als ich mich vor den Spiegel setzte und mir die Haare zurückklammerte, fielen mir die Briefe auf, die neben meinem Parfum lagen: Fanpost. Sie warteten darauf, gelesen zu werden, zusammen mit einem obenaufliegenden, losen Zettel: dein Fanclub war am Dienstagabend da. Sie wollen ihren Besuch in drei Wochen wiederholen. Daniel. Ich wusste nicht, wie ich diese Worte lesen sollte; vorwurfsvoll, mitleidig oder nichtssagend? Jedenfalls fühlte ich mich noch schlechter, weil ich die Fans enttäuscht hatte, und wagte es nicht, irgendeinen der Umschläge anzurühren. Stattdessen schlich ich in die Maske, aber meine Hoffnung, unbemerkt geschminkt zu werden, zerschlug sich: Lukas wurde gerade verkabelt. Als er mich bemerkte, unterbrach er sein Gespräch kurz.
„Hallo“, sagte ich verlegen und schob mich auf den Platz neben ihn. Unschlüssig, was ich tun sollte, nahm ich eine Haarspange und spielte konzentriert damit herum.
„Schön, dass es dir wieder besser geht“, sagte er munter. „Ich habe deine böse Vampirstimme vermisst.“
Ich lächelte und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Danke.“
„Dein Fanclub war am Dienstag da.“
„Ja, ich… hab davon gehört. Dumm, dass ich nicht da war.“
„Ich hab ihnen versprochen, dich nächstes Mal hier zu behalten“, grinste er, und ich musste ein bisschen lachen. „Ich werd mir ganz viel Zeit für sie nehmen“, versprach ich.
Nach dem Schminken blieben mir nur noch wenige Minuten, um mich vorzubereiten; ich sang mich alleine ein und nahm all meinen Mut zusammen, ehe ich meine Garderobe wieder verließ und in den Kreis meiner Kollegen trat. Alexejs Gestalt ragte hoch über allen anderen auf, und ich wandte hastig wieder den Blick ab, weil ich bei seinem Anblick an Liam denken musste und das Gefühlschaos wieder startete. Ich plauderte eine Weile mit der Magda, aber ich wusste kaum, was wir besprachen; als die Overture begann, wurde mir ganz schlecht vor Angst. Zum ersten Mal fühlte ich mich unwohl auf der Bühne, und meine Stimme litt unter den letzten untätigen Tagen und der vielen Weinerei. Hinter der Bühne war ich wütend auf mich selbst – und zum ersten Mal froh, dass der erste Akt für mich so schnell vorbei war. Mein Zusammenspiel mit Alexej kam mir heute sehr nichtssagend vor, ich spürte nicht die sonstige Begeisterung beim Biss oder dem Tanz danach; ich war einfach nur erleichtert und hundemüde, als das Publikum begeistert applaudierte und wir uns zurückziehen konnten. Wir verabschiedeten uns mit den üblichen Floskeln: „Gute Show!“, „Toller Ton!“, „Waren meine Zähne schief?“, „Reihe Sieben hast du eiskalt erwischt!“
„Dein Deutsch wird immer besser“, sagte ich verlegen zu Alexej, als wir uns plötzlich gegenüber standen.
„Ja“, erwiderte er, „danke.“ Dann, nach kurzem Schweigen: „Sind wir wieder Freunde?“
Ich sah ihn an und wich seinem Blick wieder aus. „Okay“, antwortete ich langsam. „Wenn das… kein Problem ist.“
„Ich werde kommen darüber hinweg“, erwiderte er und wandte sich zum Gehen.
„Ach, noch was“, hielt er mich zurück. Ich blieb stehen.
„Ja?“
Er sah kurz nachdenklich aus, ehe er weitersprach. „Er war heute Abend wieder hier. In der Vorstellung.“
Ich blinzelte verwirrt. „Wer?“
Er grinste und ging. „Das Phantom!“, antwortete er über die Schulter.