Und schon gehts weiter! Heute mal eine etwas längere Fortsetzung...
Ein Teil aus der Gegenwart, einen aus der Vergangenheit... Der Gegenwartsteil ist mir eingefallen, als ich "Der Glöckner von Notre Dame" gehört habe.
Holzprügel und andere Waffen braucht es dann erst wieder beim nächsten Vergangenheitsteil...
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Gegenwart –
„Hoch über der Welt“ -
Der schönste Platz in der Kathedrale… Nie im Leben hätte Milady gedacht, dass der Küster damit ausgerechnet den Glockenturm meinte. Der Weg führte über unzählige Treppenstufen immer weiter nach oben in beinahe Schwindel erregende Höhen, aber sie sagte sich Einfach nicht nach unten schauen, dann merkt man nicht, wie weit man schon vom Boden entfernt ist…
„So, da wären wir.“ Der Küster klang hochzufrieden und sah Milady beifallheischend an. „Habe ich zuviel versprochen?“
Milady zog skeptisch eine Augenbraue hoch und atmete erstmal tief durch. Es war ganz schön anstrengend gewesen die vielen Stufen zu erklimmen… „So besonders schön ist es hier aber nicht. Das ist meine ganz ehrliche Meinung.“ – „Dann schaut doch einmal nach draußen. Ist das nicht eine Aussicht? Nicht einmal der König von Frankreich hat so eine Aussicht!“
„Das mag sein…“
Milady folgte dem Küster an eines der kleinen Fenster – und ihr stockte der Atem. Es war unglaublich, wie weit man sehen konnte. Ganz Paris lag wie eine Spielzeugstadt unter ihr.
„Das ist …. unglaublich!“
rief sie beeindruckt aus.
„Ihr hattet Recht, … was für eine Aussicht. Wenn man sich so die Stadt von ganz weit oben anschaut, kommt man sich selbst mit all seinen Sorgen und Problemen total unwichtig vor… denn wenn man selbst auf den Straßen herumlaufen würde, würde man von dieser Stelle aus ebenfalls ganz klein aussehen…“
„Genau deswegen ist es mein Lieblingsplatz“, gab ihr der Küster Recht. „Meint Ihr, ich kann Euch hier allein lassen? Ihr könnt so lange hier bleiben wie Ihr möchtet.“ – „Natürlich. Ich werde mich wohl kaum hier herunterstürzen können.“
Es sollte ein Scherz sein, aber der Küster sah sie ganz entsetzt an.
„Mit so etwas spaßt man doch nicht, Milady de Winter. Es hat hier oben schon einen Vorfall gegeben… Aber das ist schon lange her. Wie gesagt, bleibt einfach hier, so lange Ihr wollt. Ich denke nicht, dass Ihr gestört werdet. Hier kommt selten jemand her.“
„Ich danke Euch. Ihr seid der erste nette Mensch, den ich seid meiner Ankunft in Paris treffe.“
sagte Milady jetzt und meinte das vollkommen ernst. Selbst der Kutscher, der sie bis kurz vor die Kathedrale gebracht hatte, war nicht wirklich freundlich zu ihr gewesen
„Bevor Ihr jetzt vorschnelle Urteile über mich fällt, wartet doch lieber noch etwas ab. Vielleicht bin ich gar nicht so nett wie Ihr es gerade noch denkt.“
bemerkte der Küster im nächsten Moment.
„Was wollt Ihr damit sagen?“
fragte Milady alarmiert, aber da stürmte er auch schon wieder ohne eine Antwort die Treppe hinunter, als wäre er vor etwas auf der Flucht.
Ach, warum sollte ich auch über ihn nachdenken? schüttelte Milady den Gedanken schnell wieder ab. Ich schaue mir lieber noch etwas die Stadt von oben an…
Einige Zeit und etliche Treppenstufen später hatte der Küster wieder den Vorraum der Kathedrale erreicht. Im gleichen Moment kam auch schon der Kardinal auf ihn zugestürmt.
Ganz offensichtlich war er wieder einmal schlechter Laune.
„Wo ist sie?“
fragte er.
„Wer?“
- „Stellt Euch nicht dumm, ich spreche von Milady de Winter.“ herrschte Richelieu ihn an.
Der Küster sah zum Treppenaufgang. „Sie ist dort oben.“ – „Wenn das ein schlechter Scherz sein soll, finde ich das überhaupt nicht komisch!“ explodierte der Kardinal. „Wo ist diese Person hingegangen?!“
„Sagte ich doch bereits, Eminenz. Sie ist da hoch. Ich habe ihr erklärt, dass man vom Glockenturm aus die beste Aussicht über die Stadt hat.“
„Das ist doch keine Aussichtsplattform hier! Ihr könnt doch nicht jeden Besucher da hinauf lassen…“ Richelieu war fassungslos.
„Dann geh ich eben wieder hoch und bring sie wieder heil auf den Boden zurück.“
- „Das werdet Ihr mal schön bleiben lassen. Das erledige ich. Diese unmögliche Person meint eh, sie könnte machen was sie will. Vermutlich war es sogar ihre eigene Idee, da hoch zu wollen und sie hat Euch nur dazu überredet. Sonst ist da oben aber nichts passiert, oder?“
Der Küster schüttelte den Kopf.
„Nein, was denn auch?“
Er konnte überhaupt nicht verstehen, warum der Kardinal plötzlich so verärgert war. Dass seine Laune manchmal innerhalb von Sekunden von gut gelaunt zu stocksauer wechselte, war ja nichts Neues, aber dieses Mal verstand er den Grund nicht.
Alles bloß wegen dieser unerwarteten Besucherin, dieser Milady de Winter?
„Ihr wisst genau was ich meine“, bemerkte der Kardinal und sah ihn vielsagend an.
- „Nein, ganz bestimmt nicht.“
„Das überrascht mich... wenn man über ihre Vergangenheit nachdenkt, ist das doch eine Veränderung… oder streitet Ihr es ab?“ – „Keinesfalls, Eminenz!“ Der Küster war schockiert, als ihm einfiel wovon der Kardinal sprach. Was für eine ungehörige Unterstellung.
„Aber woher kennt Ihr denn die Vergangenheit von dieser Milady de Winter?“ traute er sich zu fragen.
„Schaut Euch nur die alten Dokumente an, in einer Gerichtsakte von vor zehn Jahren taucht sie auf.“ – „Worum ging es denn in dem Prozess?“ Den Küster beschlich ein Verdacht. Das konnte doch nicht wahr sein!
„Ich habe keine Zeit, Euch das alles zu erklären. Und habt Ihr eigentlich nicht etwas viel wichtigeres zu tun als über Milady de Winter nachzudenken?“
Mit diesen Worten ließ Richelieu den verwunderten Küster einfach stehen. Verwundert über die ganzen Andeutungen, verwundert über die schlechte Laune… aber auch noch über etwas anderes, das ihm eben erst aufgefallen war…
Wie viel Zeit war vergangen, seit sie die letzte Treppenstufe überwunden hatte und das erste Mal auf die Stadt hinuntergesehen hatte?
Milady wusste es nicht.
Sie stand immer noch da, hatte all ihre Sorgen vergessen, sogar einige weitere düstere Gedanken an ihre Vergangenheit verdrängt und genoss die Aussicht und den Blick nach unten in die Stadt. Ein Lied ging ihr durch den Kopf.
„
Von hier oben, hoch über der Welt, sieht diese Stadt anders aus als von unten, alles friedlich und niedlich und klein, steht man hier über der Welt
Will mir alles trostlos zu scheinen, scheint das Leben aussichtslos zu sein – dann wünschte ich, ich könnte jederzeit zurückkehren
Ich bin alleine, hier hoch über der Welt, habe die Angst und den Schmerz überwunden..
Denn das große Paris ist ganz klein
und fern ist was mir nicht gefällt – alleine, hier über der Welt…“
Auf einmal hörte sie jemanden die Treppe hinaufkommen.
Wer kann das denn jetzt sein? Ich dachte hier kommt nie jemand her…
Milady sah sich um – und schon wünschte sie, sie könnte sich doch vom Turm hinunterstürzen. Wer konnte es auch anderes sein. Sie hätte es sich doch denken können.
Er war es.
Kardinal Armand Jean Duplessis Duc de Richelieu – um an ihn mal mit dem vollständigen Namen zu denken - höchstpersönlich.
„Habe ich Euch gefunden, Milady de Winter.“ bemerkte er hochzufrieden.
„Eminenz“, grüßte Milady kurz angebunden.
Warum ist er mir gefolgt?
- „Schöne Aussicht von hier oben, oder?“ wollte der Kardinal wissen.
„Jetzt ist sie deutlich schlimmer als gerade eben“, konnte sich Milady einen gemeinen Spruch nicht verkneifen.
Sie wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte sie sich im Moment wieder etwas selbstsicherer als vorhin im Arbeitszimmer.
„Der Tag war bis vor einer halben Stunde auch viel besser als jetzt. Dann ist plötzlich jemand ins Zimmer gestürmt und hat mir meine Laune verdorben.“
– „Na vielen Dank auch!“ Milady tat beleidigt. „Ich hab eigentlich gedacht, Ihr wärt erfreut, mich zu sehen… Aber in dem Fall ist es wohl besser, wenn Ihr mir aus dem Weg geht und mich schnell von hier verschwinden lasst. Außerdem, was ist es schon, wenn es Euch in diesem Zimmer nur die Laune verdirbt. Mir hat es einst einmal das ganze Leben verdorben… das ist noch viel schlimmer…“
Da waren sie wieder, die dunklen Erinnerungen.
Einmal nur nicht nach unten auf die Stadt sondern den Kardinal angeschaut, und schon waren sie wieder so lebendig, als lägen die Geschehnisse nicht zehn Jahre, sondern zehn Tage oder sogar Stunden zurück…
„Euer erster Instinkt, mir zu misstrauen, war berechtigt. Was habt Ihr noch gleich auf dem Gang gesagt, nicht daran denkend dass die Tür noch offen steht? << Ich will nicht mit ihm reden, irgendwas stimmt mit ihm nicht… <<“
„Da hatte ich damals Recht, und diese Aussage stimmt auch heute noch. Ihr habt euch gar kein bisschen verändert… Kardinal.“ Milady sah schnell wieder nach draußen, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Was ist eigentlich der Grund, dass Ihr mir gefolgt seid? Ich dachte, es gibt nichts Weiteres zu besprechen?“
„Nein, das gibt es auch nicht. Ihr habt nur etwas vergessen bei Eurer übereilten Flucht.“
Richelieu streckte ihr ihren Umhang entgegen.
Milady war überrascht. Was war denn jetzt los? Er war ihr nur die ganzen Stufen hinauf gefolgt, um ihr den Umhang zurückzubringen? Das war richtig nett von ihm. Wobei – Richelieu und nett? Ausgerechnet? Der hatte bestimmt wieder irgendetwas vor. Denn wie hieß doch die Steigerungsform von fies und hinterhältig? Fies und hinterhältig, fieser und hinterhältiger, … Kardinal Richelieu.
So war es auch bei der Sache vor zehn Jahren gewesen.
„Wie aufmerksam von Euch, daran zu denken.“
bemerkte sie trotzdem in einem ganz freundlichen Tonfall.
- „Damit versteckt Ihr den Schatten der Vergangenheit besser als nur mit dem angerissenen Ärmel. (Da haben wir ja schon wieder so eine typisch fiese Bemerkung, dachte Milady. Und wer ist schuld an dem ganzen?) Außerdem wird das Wetter heute wahrscheinlich nicht viel besser und es hört nicht mehr auf zu regnen… und Ihr wollt Euch doch nicht etwa erkälten auf dem Rückweg?“
„Nein, das nicht.“ gab Milady ihm Recht. Und nach einem kurzen Überlegen: „Wenn ich es nicht besser wüsste würde ich annehmen, Ihr macht Euch Sorgen um meine Wenigkeit.“
Der Kardinal antwortete nicht auf Anhieb. Er ging zur Seite, um den versperrten Weg nach unten freizugeben und sah jetzt selbst auf die Stadt herunter.
„Vielleicht.“
sagte er dann leise, mehr zu sich als zu Milady.
„Was?!“
Sie hatte zwar Anstalten gemacht zu gehen, blieb aber noch einmal stehen und sah zurück.
„Vielleicht mache ich mir wirklich Sorgen um Euch.“
03 Schatten der Vergangenheit, 2
Langsam öffnete Anne die Augen.
Im ersten Moment wusste sie gar nicht mehr, was passiert war. Sie wusste auch nicht, wo sie gerade war und fühlte sich nur immer noch etwas schwach. Vorsichtig sah sie sich um. Nein, im Arbeitszimmer des Kardinals war sie auf keinen Fall mehr. Das sah doch vielmehr wie ein Schlafzimmer aus. Vielleicht hatte sie das alles nur geträumt…
Halt! fiel ihr schlagartig ein. Das ist gar nicht mein eigenes Zimmer! Dann ist das möglicherweise… Wie komme ich denn da hin?! Der Ring auf dem Tisch und das weiße Pulver fielen ihr wieder ein. Der verschlagene Gesichtsausdruck Seiner Eminenz. Und der Wein, wegen dem sie sich plötzlich so müde gefühlt hatte. Schnell weg…
Anne hatte es jetzt ganz eilig, aufzustehen, aber kaum war sie aufgesprungen, merkte sie, dass sie immer noch ziemlich schwach war. Schnell setzte sie sich hin.
Im gleichen Moment betraten der Kardinal und ihr Verlobter das Zimmer.
„Seid Ihr endlich wieder aufgewacht, Mademoiselle? Geht es Euch jetzt wieder besser?“ fragte Richelieu.
Julien ging auf seine Verlobte zu.
„Wir hatten uns schon ernsthafte Sorgen um dich gemacht, Anne. Seine Eminenz hat mir erklärt, dass er dir einen Wein angeboten hat und dass es dir auf einmal so schlecht gewesen ist. Warum hast du denn den Wein getrunken, meine Liebe? Du weißt doch, dass du keinen verträgst…“
„Es ist mir nicht deswegen schlecht geworden!“ erwiderte Anne verärgert. „Ich habe den Wein auch nur getrunken, weil es seine Idee gewesen ist.“ Sie sah den Kardinal vernichtend an.
„Er meinte, es wäre ganz offensichtlich gewesen, dass ich ihn nicht leiden kann. Dass er mich verstehen könnte. Und dass ich doch mit ihm einen Wein trinken sollte, um Waffenstillstand zu schließen. Das hab ich dann gemacht. Der hat aber fürchterlich geschmeckt. Wir haben uns weiter unterhalten, und plötzlich wurde es mir schwindelig. Dann hab ich etwas entdeckt.“
„Was habt Ihr entdeckt, Mademoiselle?“
fragte der Kardinal.
„Ihr stellt Euch unwissend! Das ist unglaublich!“ empörte sich Anne. „Ihr wisst doch genau, was das gewesen ist. Gebt doch zu, was Ihr getan habt!“ Und zu ihrem Verlobten: „Julien, auf dem Tisch hab ich den Ring von ihm liegen sehen. Der Ring hat ein Geheimfach, und da ist irgendwas drin. Wahrscheinlich Schlafmittel. Stell dir das vor! Er hat mir Schlafmittel in den Wein gemischt!“
Julien sah abwechselnd Anne und Richelieu an.
„Was sagt Ihr dazu, Eminenz?“
Der Kardinal blieb ganz ruhig und zuckte die Schultern.
- „Sie muss sich das eingebildet haben. Wahrscheinlich weil sie zuviel getrunken hat.“
„Aber ich hab das doch mit eigenen Augen gesehen!“ verzweifelte Anne fast.
- „So? Meint Ihr?“
Richelieu nahm den Ring ab und hielt ihn Anne entgegen. „Wo soll das Geheimfach sein?“
Anne begann nach dem Fach zu suchen und konnte nur den Kopf schütteln. „Da ist keines“ musste sie zugeben. „Das ist ein ganz normaler Ring.“ Sie gab ihn dem Kardinal wieder zurück.
Die beiden Männer sahen sie vorwurfsvoll an.
„Hast du uns etwas zu sagen, Anne?“ fragte Julien als nächstes.
- „Ich weiß gar nicht mehr, was ich glauben soll.“ erwiderte Anne sichtlich verwirrt. Sie war sich doch so sicher gewesen. „Vielleicht hab ich doch zuviel Wein getrunken und mir das nur eingebildet…“
„Vielleicht?!“ schrie Julien. „Ich bin mir ganz sicher, dass es so gewesen ist. Also wirklich! Was versuchst du denn, Seiner Eminenz hier zu unterstellen?! Er hat sich doch selbst Sorgen gemacht, als du plötzlich das Bewusstsein verloren hast. Darum hat er dich hergebracht. Du solltest dich bei ihm entschuldigen.“
Anne wurde rot.
„Es tut mir leid, Eminenz.“ sagte sie, sah Richelieu dabei aber kaum an. „Ich hab mich geirrt.“
- „Ist schon in Ordnung, Mademoiselle.“ Und: „Wie schon gesagt, ich bin nicht Euer Feind.“
„Gut.“
Julien klang erleichtert und zog seinen Mantel an.
„Nachdem das geklärt ist, kann ich ja gehen.“ – „Was soll denn das heißen?! Ich komme natürlich mit nach Hause!“ Anne wollte wieder aufstehen, aber irgendetwas in Juliens Blick hielt sie davon ab.
„Es ist nicht sicher, ob dir die Rückfahrt so gut bekommen wird. Möglicherweise wird es dir wieder schlecht oder schwindelig werden. Ich habe das schon mit Seiner Eminenz besprochen. Du wirst heute hier bei ihm bleiben und ich hole dich morgen wieder ab.“