Danke euch - und schon gehts wieder weiter!
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06 Gegenwart:
Am Tag darauf machten sich Milady und Nadine auf den Weg zurück nach Paris. Zu Miladys Verwunderung fuhren sie jedoch nicht in Richtung Kathedrale, sondern in Richtung des Louvre.
„Was wollen wir denn hier?!“ wunderte sich Milady. „Hat Euch Euer Onkel etwa geschrieben, dass er euch innerhalb des Königspalastes treffen möchte? Dann glaube ich allerdings nicht, dass ich Euch begleiten kann. Mir wird wohl der Zutritt verwehrt werden, weil man mich nicht kennt.“
„Das geht schon.“ erwiderte Nadine unbeirrt. Heute war sie wieder etwas fröhlicher als am Tag vorher, als sie beide während des Spaziergangs über dunkle Schatten der Vergangenheit gesprochen hatten. „Wir fahren ja nicht zum Louvre, sondern zum Palais de Cardinal. Mein Onkel hat sich nämlich als er Erster Minister geworden ist, ein Haus direkt in der Nähe des Louvre gekauft und mit allem möglichen teuerem Zeug einrichten lassen, dass es fast so prunkvoll ist wie im königlichen Schloss. Schon der Name, den er dem Haus gegeben hat, ist eine regelrechte Anmaßung...“ Sie wiederholte die Bezeichnung in einem deutlich verächtlicheren Tonfall:
„Palais de Cardinal.“
- „Schrecklich, da gebe ich Euch recht.“ bemerkte Milady. „Er hat nicht nur eine gespaltene Persönlichkeit, sondern ist auch noch größenwahnsinnig geworden.“
Die Kutsche fuhr eine Auffahrt hinauf und hielt direkt vor der Treppe zum Haupteingang.
Schon beeindruckend, wie das Gebäude aussieht, dachte Milady und blieb für einen kurzen Moment stehen, dann fiel ihr wieder der Grund ein, warum sie eigentlich hier war. Bloß nichts irgendwie interessant finden, was mit dem Kardinal zu tun hatte.
„Halt, wohin?“
Einer der Wachen versperrte ihr und Nadine den Weg.
„Ihr seid wohl neu hier?“
fragte Nadine mit einem spöttischen Tonfall in der Stimme und fragte gleich hinterher:
„Ihr wisst wohl nicht wer ich bin?“
- „Um ehrlich zu sein, nein, Mademoiselle.“ erwiderte der Wachposten ungerührt. Er war noch sehr jung und war gerade erst von der Leibwache der Majestät zu der des Kardinals versetzt worden.
Jetzt ging auf einmal eine richtige Veränderung in Nadine vor. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von freundlich und möglicherweise etwas ängstlich vor dem Aufeinandertreffen mit ihrem Onkel zu überheblich und sie fuhr den Wachposten an – nein, anfahren traf es nach Miladys Meinung nicht – sie zischte vielmehr wie eine Schlange:
„Ich bin Nadine Antoinette Jacqueline Chauvistré Duplessis de Richelieu. Die Nichte Seiner Eminenz. Und Ihr werdet mich und meine Begleitung auf der Stelle vorbeilassen.“
– „Entschuldigt, Mademoiselle. Tausendmal Entschuldigung.“
Der Wachposten lief fast so rot an wie seine Uniform und trat verlegen zur Seite, wobei er fast über die Treppenstufen stolperte.
„Bitte sehr, Mademoiselle.“
- „Danke. Folgt mir, Milady de Winter.“ forderte Nadine Milady auf. Die kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Erst der „Kardinalspalast“, und jetzt auf einmal eine Nadine, die wie ausgewechselt war. Während sie die Treppenstufen zum Eingang hinaufliefen, fragte sie ihre neue Bekannte:
„Ihr heißt eigentlich mit Nachnamen Chauvistré Duplessis de Richelieu?!“
- „Nein, das hab ich mir nur gerade ausgedacht.“ erwiderte Nadine leise, dass es außer Milady niemand mitbekam. Schon gar nicht der Wachposten. Aber der hatte inzwischen andere Sorgen – einer der anderen Wachposten, wahrscheinlich sein Vorgesetzter, hatte die Szene mitbekommen und sagte ihm ordentlich seine Meinung.
Nadine fuhr fort:
„Ich hasse diesen Teil meiner Familie zwar, aber wenigstens kann man sich mit dem Namen etwas Respekt gegenüber unwichtigen Wachposten verschaffen. In Wirklichkeit bin ich heilfroh, dass ich nur Chauvistré heiße.“
Milady musste grinsen.
Nadine hatte außer ihrer schrecklichen Vergangenheit noch etwas mit ihr gemeinsam – sie konnte auch Selbstbewusstsein an den Tag legen, wenn es sein musste. In dem Fall gegenüber der Wachen, am Tag vorher in Gegenwart des Wirts in der Herberge.
Zusammen gingen sie an weiteren Wachposten vorbei. Die beiden Wachen direkt vor dem Eingang erkannten Nadine sogar ohne dass sie etwas sagen musste. Sie verbeugten sich sogar kurz und grüßten freundlich.
„Aha, Mademoiselle Chauvistré, da seid Ihr ja. Es ist schon eine ganze Weile her.“
- „Ja, in der Tat.“
Wenn Nadine gerade an den unschönen letzten Besuch zurückdachte, ließ sie es sich nicht anmerken. Die beiden Wachen öffneten die Eingangstüren und ließen sie eintreten. „Zu freundlich von Euch.“ bedankte sich Nadine und betrat den Palast.
Milady ging ebenfalls hinter ihr her, aber der Posten, der zu Nadine `Es ist schon eine Weile her` bemerkt hatte, packte sie am Arm. „Wo meint Ihr, dass Ihr so schnell hingeht, Madame?“
– „Mademoiselle Chauvistré hat mich gebeten, sie zu begleiten.“ erwiderte Milady und sah sich kurz in der Eingangshalle um. Wie übertrieben das ganze doch war. Sie hätte sich genauso im Louvre befinden können.
„Habt Ihr denn eine Einladung Seiner Eminenz bekommen?“
Der Wachposten sah sie an wie ein lästiges Insekt, das er am liebsten zerquetscht hätte.
- „Nein, aber die brauch ich nicht. Der Kardinal weiß, wer ich bin. Er wird meine Anwesenheit sicherlich tolerieren, wenn Ihr meldet, dass ich hier bin. Und lasst mich gefälligst los, wer gibt Euch denn das Recht, mich anzufassen?!“
Da war sie schon, die Auseinandersetzung mit den Wachen, die ihr in der Kathedrale noch erspart geblieben war.
„Ihr könnt hier nicht so einfach reinmarschieren! Ich werfe Euch gleich eigenhändig hier heraus, wenn Ihr Euch nicht selbst entfernt!“ - „Ich habe gesagt, Ihr sollt mich loslassen!“ wiederholte Milady etwas bestimmter als vorhin. Langsam wurde sie wütend.
„Nun nehmt doch Vernunft an, Madame. Hier gelten strenge Regeln. Und an diese muss ich mich leider auch halten. Ich kann Euch ohne ausdrückliche Einladung Seiner Eminenz nicht weitergehen lassen.“
„Dann meldet doch einfach Eurer Eminenz, dass ich da bin. Er wird dann schon nachträglich meine Anwesenheit hier genehmigen. Ich warte solange hier.“ sagte Milady
„Das geht auch nicht, Madame.“
stellte der Wachposten sich stur.
„Ach nein?!“ fragte Milady spöttisch. „Warum nennt Ihr mich eigentlich die ganze Zeit Madame?! Ihr wisst wohl nicht wer ich bin.“
Sie hielt kurz inne, da ihr auffiel, dass sie die gleiche Strategie benutzte wie vorhin Nadine bei dem jungen Wachen an der Treppe. Sollte sie vielleicht sogar etwas ganz ähnliches sagen?
Ich bin Milady de Winter Anne de Breuil Duplessis de Richelieu.
Nein, das war zuviel. Den Scherz würden die Wachen ganz bestimmt nicht verstehen. Außerdem – warum sollte sie sich denn bei ihrer Vergangenheit ausgerechnet
diesen Nachnamen geben?!
Ihre Vergangenheit… die schrecklichen Ereignisse von vor zehn Jahren… wieder schweiften ihre Gedanken dorthin ab…
- 10 Jahre vorher, Fortsetzung-
Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass noch irgendetwas schlimmes passieren würde, aber zu ihrer Verwunderung ließ der Kardinal es damit seine Bewandtnis haben und sie gehen.
„Was hat denn Seine Eminenz noch gewollt?“
hatte Julien ungeduldig von ihr wissen wollen, als Anne ihn endlich eingeholt hatte.
Sie schüttelte allerdings nur den Kopf anstelle zu antworten.
„Nichts? Wahrscheinlich hat er dich noch mal zur Rede gestellt nach dieser Bemerkung. Geschieht dir ganz recht. Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Anne schüttelte erneut den Kopf.
„Hast du etwa entschlossen, gar nichts mehr zu sagen? Ein weiser Entschluss. So sagst du schon nichts mehr, was du nachher bereust.“
Schon passiert. Was ich am allermeisten bereue ist, dass ich gestern Nachmittag zu dir gesagt habe, ich fahre mit in die Kathedrale, dachte Anne bei sich.
Es war zwar schwierig, nicht mehr zu reden, aber irgendwie gelang es ihr trotzdem. Auf der Fahrt nach Hause sah sie aus dem Fenster der Kutsche und beobachtete teilnahmslos die Umgebung.
Sie war froh, endlich von diesem Ort wegzukommen und war fest entschlossen, nie mehr dorthin zurückzukehren. Irgendwie musste sich doch die Hochzeit verhindern lassen. Und wenn sie einfach weglief oder sich etwas antat.
Beide Möglichkeiten waren nicht die besten, aber die einzigen, die ihr noch blieben.
Zuhause angekommen wurde sie zwar von ihrer Familie mit Fragen bestürmt, aber Julien ergriff für sie das Wort:
„Die arme Anne hat vor lauter Heimweh kaum schlafen können diese Nacht, wir sollten sie deshalb jetzt etwas in Ruhe lassen.“
So einfach war das gewesen. Verständnisvoll reagierten ihre beiden Schwestern, der Bruder, die Mutter und der Vater darauf und ließen sie den ganzen Tag allein in ihrem Zimmer, weil sie annahmen, dass Anne sich ausruhen wollte.
Als sich Anne jedoch weigerte, selbst zum Abendessen ihr Zimmer zu verlassen, verstand Madame de Breuil die Welt nicht mehr. Sie wollte in Annes Zimmer gehen um mit ihrer Tochter zu reden, aber die Tür war abgeschlossen und drinnen war es totenstill.
„Anne? Was ist denn los? Irgendetwas bedrückt dich doch, oder?“
Auf der anderen Seite der Tür saß Anne am Fenster und sah nach draußen. Natürlich bedrückte sie etwas. Eine tonnenschwere Last lag auf ihr. Aber sie konnte mit niemandem darüber reden, nicht mit ihrer Mutter, nicht mit ihren Schwestern… sie musste damit selbst irgendwie fertig werden.
Es ist deine Schuld, hörte sie die Stimme des Kardinals in ihrem Kopf.
Nur deine Schuld.
„Anne?! Nun antworte doch! Was ist mit dir? Ich mache mir ernsthaft Sorgen! Bitte mach die Tür auf.“
Sie antwortete nicht. Wie einfach wäre es gewesen, jetzt vor lauter Verzweiflung in Tränen auszubrechen, die Tür aufzuschließen und sich bei ihrer Mutter auszuweinen, aber das ging nicht.
Niemand wird dir das glauben. Egal, wem du es erzählst. Denk immer daran – ich bin der Kardinal und du nur ein unwichtiges Weibsstück…darum wage es nicht, jemanden davon zu erzählen. Du würdest dir nur selbst schaden.
Seltsam dass sie sich so genau an alles erinnerte, was Richelieu gesagt hatte. Was genau passiert war… an die Einzelheiten erinnerte sie sich auf einmal nicht mehr. Nur noch an das, was sie gefühlt hatte, sonst war da nichts. Anne schüttelte verwundert darüber den Kopf. Konnte man so etwas denn einfach vergessen?!