Weil die Prüfungen geschafft sind und hier so toll mitgefiebert wird, Teil 17 & 18! Würde mich über weitere Kritik feuen
„Also, gib mir einen Tipp!“, rief Sarah entrüstet. „Ich dachte, du hast das Lied schon mal gesungen?“
„Ja, schon. Aber jeder singt es anders.“
„Es geht ja nur um diese eine Stelle. Sollte ich
Künstler inbrünstig oder genervt aussprechen?“ Es ging um
Irgendwo wird immer getanzt. Sarah übte es ein, und seit sie erfahren hatte, dass ich es bei einem Casting vorgetragen hatte, glaubte sie in mir den Mozart-Song-Gott gefunden zu haben. Aber es war Samstag, ich saß in der Schule und hatte einen Disney-Marathon hinter mir (Melissas Idee).
„Ich weiß auch nicht“, sagte ich. „Ich denke-“ Ich hielt inne, als mein Handy lossummte. Unbekannt. Sarah sah mich fragend an. Ich hob die Schultern und ging ran.
„Anouk Steger?“
Auf der anderen Seite rauschte es, dann ein Knacken und das Freizeichen. Stirnrunzelnd legte ich auf. „Keiner dran“, sagte ich.
„Bestimmt verwählt.“
„Bestimmt.“ Ich redete weiter und vergaß den Anruf wieder.
„Sehr schön, Anouk. Vielen Dank.“ Mrs Paige zog ihre Brille ab und ich klappte mein Songbook zu.
„Haben Sie noch eine Minute?“, fragte sie. Ich hörte auf, meine Sachen in die Tasche zu stopfen. „Klar“, sagte ich.
„Sie haben große Fortschritte gemacht, Anouk. Ihre Stimme gibt mehr her, als Sie denken. An Ihrer Stelle würde ich so hart arbeiten, wie es geht – wenn Sie vorhaben, Karriere zu machen.“
„Ich gebe mir Mühe. Danke, Mrs. Paige.“ Ich zog mir meinen Mantel an – nach zweieinhalb Stunden Gesangsunterricht war auch für mich die Schule aus.
„Anouk“, rief sie, als ich schon in der Türe stand. Ich drehte mich um.
„Ja?“
„Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte: ich bin niemand, der gern Lob verteilt.“ Die Spur eines Lächelns lag auf ihrem Gesicht. Ich unterdrückte ein Grinsen.
„Weiß ich doch.“
Ich verließ die Schule und eilte den Weg entlang, leise fluchend meinen Schirm suchend. Es regnete in Strömen.
„Anouk Steger?“
Ich blieb erstaunt stehen und sah auf. Erst konnte ich mit dem Gesicht nichts anfangen; die Jahre hatten es verändert. Aber dann… Ich wich zurück. Ein Zittern durchrann mich, und die Anrufe und das Gefühl, beobachtet zu werden, machten plötzlich Sinn. Er streckte die Hand aus, aber ich schüttelte den Kopf, dann drehte ich mich um und rannte los, platschte durch Pfützen und stolperte weiter, bis ich klatschnass zu Hause ankam. Zitternd steckte ich den Schlüssel ins Schloss, flüchtete in die Wohnung, weiter in mein Zimmer. Keuchend ließ ich mich auf den Boden fallen, starrte auf die Wasserflecken auf dem Boden.
Das kann nicht sein, dachte ich.
Wie hat er mich gefunden? Das Radiointerview, dachte ich.
Er hat dich gehört.Er…Wie lange hatte ich Alpträume von ihm haben müssen – und jetzt war er wieder da.
Mein Vater.
Ich saß auf der Couch, eingewickelt in eine Decke, meine Mitbewohner und ein Kilo benutzter Taschentücher um mich herum.
„Er muss es im Radio gehört haben!“, schluchzte ich. „Er hat meinen Namen gehört. Dieser Idiot. Was macht er überhaupt hier?“
„Na ja“, sagte Jens. „Um in Hannover zu wohnen, braucht man keine Zulassung.“
Melissa stieß ihn unwirsch in die Seite und legte den Arm um mich. „Dass er dich sucht, ist doch ein gutes Zeichen“, sagte sie. „Er will dich sehen.“
„Ja, klar.“ Ich warf das nächste Taschentuch über die Schulter. „Und warum?“
„Vielleicht, weil er sich verändert hat?“, erwiderte sie.
„Hmpf“, machte ich. Als ob jemand wie
er sich veränderte! Plötzlich kam mir ein Gedanke. „Bestimmt war es auch… mein Vater, der mich angerufen hat!“, rief ich. „Letztens. – Wie zur Hölle ist er an meine Nummer gekommen?“ Ich war kurz vor der Hysterie. „Er stalkt mich! Wir müssen zur Polizei!“
„Wir sollten nicht mit der Tür ins Haus fallen!“, beschwichtigte Sebastian mich. Er hatte bis jetzt noch nichts gesagt und war knallrot. Ich sah ihn misstrauisch an. „Was?“
Melissa stöhnte. „Raus damit, Sebastian. Hast du wieder versucht, die Welt besser zu machen?“
„Er klang wirklich freundlich!“, wehrte er ab. „Am Telefon.“
„
Er hat hier angerufen?!“ Ich schrie beinahe.
„Nein, im Radio. Nach der Sendung. Er meinte… Na ja, er meinte, er sei dein Vater, und dass er dich seit Jahren nicht mehr gesehen hat und dich schrecklich vermisst.“
„Dieser ekelhafte Lügner!“ Ich sprang auf.
„Woher weißt du, dass er lügt?“, fragte Melissa ruhig. „Setz dich wieder, Liebes.“ Sie versuchte, mich zu beruhigen, aber ich war beinahe tollwütig.
„Nein, nein.“ Ich kämpfte mich aus der Decke. „Wenn er mich noch mal anruft, rufe ich die Polizei!“ Ich marschierte in mein Zimmer und schlug die Türe zu. Kurz war es ganz still, dann hörte ich Jens und Melissa auf Sebastian einreden. Zeit, zusammenzubrechen.
***
Der nächste Tag begann mit Ballett. Statt mich irgendwo in einer Ecke zu verkriechen, musste ich aufrecht stehen, mir vorstellen, einen Stock verschluckt zu haben und graziöse Bewegungen machen. Ich war dazu echt nicht in Stimmung.
„Mann, du siehst nicht gut aus“, meinte Sarah nach drei katastrophalen Stunden. „Wirst du krank?“
„Nein“, murmelte ich und ging voraus. Zum Glück hatten wir Theaterunterricht. Dort gelang es mit meistens, Dampf abzulassen. Aber es war wie verhext – ausgerechnet heute wollte Parker von uns, dass wir improvisierten, und zwar entweder eine Komödie oder eine Tragödie. Ich war unkonzentriert und leistete keinen konstruktiven Beitrag. Und weil es mich vor Mrs. Paiges Adleraugen graute, meldete ich mich kurzerhand krank.
Ich verbrachte den Tag weitgehend allein zu Hause. Meine Mutter anrufen wollte ich nicht. Daniel auch nicht. Ich wollte eigentlich mit niemandem sprechen. Ich ging früh zu Bett, um weiteren (pädagogischen?) Gesprächen mit Melissa zu entgehen. Am nächsten Morgen fühlte ich mich kein bisschen besser. Aber ich hatte schon jetzt, nach einem halben geschwänzten Tag, ein ziemlich schlechtes Gewissen. Auf dem Schulweg ertappte ich mich dabei, dass ich mehrere Male die Straßen und Busplätze absuchte, mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen. Der Tag zog an mir vorüber, scheinbar ereignislos. Ich versuchte, nicht auf Abstand zu gehen, aber ich bemerkte, dass ich kaum mit jemandem gesprochen hatte. Es graute mir schon vor der Theaterstunde, aber heute hatten die höheren Mächte Erbarmen mit mir. „Personencharakterisierung“, rief Parker und verteilte wahllos Blätter an die Schüler. „Lesen Sie sich den Monolog durch; anbei finden Sie eine kurze Beschreibung zur Situation. Nächte Woche möchte ich den Monolog gespielt sehen, mit Begründung für ihr Rollenverhalten.“
Endlich. Endlich etwas, bei dem ich Ruhe hatte. Ich starrte auf mein Blatt, zwei Stunden lang. Was hatte ich für einen Monolog? Goethe.
Stella. Ich las ihn durch, aber ich verstand kein Wort. Ich dachte immer nur an früher, an meinen Vater. Was sollte ich tun? Würde er mir nachstellen? Beobachtete er mich? Warum suchte er den Kontakt zu mir?
„Danke, meine Damen und Herren. Ich entlasse Sie in die Pause.“ Einstimmiges, erleichtertet Seufzen. Geraschel, als die Taschen gepackt wurden. „Anouk, auf ein Wort mit mir, bitte.“
Na prima. Ich schlurfte zu seinem Pult.
„Anouk, mir ist aufgefallen, dass Sie seit gestern ein wenig… neben der Spur sind. Ist etwas passiert?“
„Alles in Ordnung“, sagte ich. Er schob mir einen Stuhl hin und reichte mir ein Taschentuch.
„Schauspielern können Sie gut“, sagte er. „Aber echte Gefühle lassen sich nicht leicht verfälschen.“
Ich wischte mir die Tränen weg und starrte auf meine Hände.
„Liegt es an der Ausbildung?“, fragte er. „Fühlen Sie sich falsch hier?“
„Nein“, sagte ich, „nein.“ Und dann sprudelte es aus mir heraus, zusammenhangslos, aber er schwieg und hörte mir zu, und er schien aus meinem Geplapper tatsächlich schlau zu werden.
„Ich weiß gar nicht, was ich tun soll“, schluchzte ich. „Warum hat er mich gesucht?“
„Die Frage, die ich mir stelle“, sagte er nach einer Weile, „ist: warum wissen
Sie es nicht?“
„Was?“, schniefte ich.
„Anouk, ich will mich nicht einmischen, aber meine Schüler gehen mich etwas an. Wenn ich ein Problem lösen, oder wenigstens dabei helfen kann, dann tue ich das gerne. Dass Ihr Vater Sie sucht, bedeutet das nicht, dass er Sie sehen will? Vielleicht einen Fehler gutmachen? Ein neues Leben beginnen?“
Ich schwieg. Es gongte zur nächsten Stunde. „Und was soll ich jetzt machen?“, fragte ich kläglich.
„Das“, erwiderte er, „ist Ihre Entscheidung. Aber dass Sie sich unsicher sind, zeigt, dass Sie ihn nicht sosehr hassen, wie Sie sich glauben machen wollen.“
Ich saß in meinem Zimmer und arbeitete an dem Monolog. Inzwischen verstand ich, worum es ging. Ich hatte wieder einen klaren Kopf. Ich arbeitete so konzentriert, dass ich mein Handysummen erst richtig wahrnahm, als es schon eine Weile klingelte. Hektisch kramte ich in meiner Tasche und ging ran, ohne nachzusehen, wer es war.
„Ja?“, sagte ich und räumte das Chaos beiseite, das die kurze Suche veranstaltet hatte.
„Anouk?“
Ich erstarrte. In einer Sekunde rasten tausend Gedanken durch meinen Kopf. Sollte ich auflegen? Warum fragte ich mich das? Was wollte er? Hatten Parker und Melissa Recht? Sollte ich mit ihm sprechen? Würde Mama mich nicht dafür hassen?
„Anouk?“, fragte er wieder. Ich schluckte.
„Ja“, sagte ich schließlich tonlos. Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich mit ihm sprechen sollte.
„Hier ist… hier ist dein… Ich bin’s, Jochen“, sagte er schließlich. Ich schwieg.
„Bist du noch dran?“, fragte er.
„Ja“, sagte ich schroff. „Was willst du?“
Rauschen, Schweigen. „Ich… Es tut mir leid, dass ich letztens so… unerwartet aufgetaucht bin.“ Er sprach langsam und überlegt, stockend. –
Unsicher. „Ich habe deinen Namen gehört, und dass du in Hannover bist, und da… Ich möchte dich so gerne wiedersehen, Anouk.“
„Wozu?“, fragte ich. „Willst du mir eine runterhauen wie Mama damals? Vergiss es, Blau ist nicht meine Farbe. Ich trage lieber Rot. – Oh, warte Mal. Hatte sie nicht mal eine Platzwunde?
Hätte ich besser Gelb gesagt!“ Meine Stimme war ätzendster Sarkasmus. Er sagte nichts. Hatte ich ihn verletzt? Sehr gut.
„Bist du noch dran?“, äffte ich ihn nach. „Wenn ja, auf Nimmerwiedersehen. Ich lege jetzt auf.“
„Bitte Anouk!“, rief er. „Ich muss dich sehen, bitte. Ich kann nicht hier wohnen, in deiner Nähe, ohne dich zu sehen.“ Er sprach hastig. „Es ist viel passiert. Bitte. Nur ein Treffen. Ein Gespräch, ich erkläre dir alles. Bitte.“
Ich antwortete nicht. Erwartete er ernsthaft, dass ich zusagte?
Jetzt?„Am Rathaus… gibt es ein Café. Roma heißt es. Wenn… wenn ich Samstag gegen vier Uhr da bin, kommst du?“
„Mal sehen“, sagte ich.
„Bitte, Anouk. Bitte komm vorbei.“
„Mal sehen“, wiederholte ich und legte auf.
PS: Was haltet ihr eigentlich davon, echte Darsteller mitspielen zu lassen? Ich hätte da eine Idee, aber bin mir unsicher...