Mich trägt mein Traum

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Gaefa
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 16.05.2016, 16:52:24

Ein sehr schöner Teil. Ich kann die Zweifel völlig nachvollziehen, die Anouk plagen. Ich hoffe, dass sie das alles gut meistern wird. Ich bin sehr auf den nächsten Teil gespannt.
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armandine
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 16.05.2016, 16:53:19

Wie schön, ein neuer Teil! Das finde ich gut, dass Liam sich auch um etwas gekümmert hat. Und wenn Annouk erst mal wieder weniger müde ist, wird ihr sicher auch aufgehen, dass es schön sein wird, in London ihren einheimischen Freund bei sich zu haben - wenn man alleine im Ausland ist, kann das recht anstrengend und recht einsam werden.

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 25.05.2016, 12:53:56

Wie schön, dass der letzte Teil euch so gut gefallen hat! Es geht turbulent weiter:

Elisabeth war heute sehr düster und melancholisch angelegt – wieder einmal. Wie Du zeigte dem Publikum ein verträumtes, manchmal trauriges Mädchen mit ausgeprägter Todessehnsucht und unsicheren Anwandlungen nach der Verlobung, und wenn das dem Publikum nicht schmeckte, dann hatten sie Sisi, verdammt noch mal, nicht verstanden! Ich lehnte mich an die kalte Betonwand hinter der Bühne und rieb mir die Schläfen. Karl trat leise zu mir und reichte mir eine Flasche Wasser, die ich dankbar entgegennahm.
„Elisabeth ist heute aber sehr rebellisch“, sagte er. „Ich wette, Maximilian war wirklich erstaunt, als du ihm im Finale die Leviten gelesen hast.“
Ich verzog das Gesicht. „So war sie halt“, entgegnete ich, latent aggressiv. Ich atmete tief durch. „War es schlecht?“
„Es ist neu“, entgegnete er, „aber nicht schlecht. Eher… echt.“ Er lachte über den unbeabsichtigten Reim, aber dann wurde er wieder ernst. „Übernimm dich nur nicht wieder.“
Ich wandte mich ab. „Ich habe mich schon im Griff“, erwiderte ich.
Im zweiten Akt war Sisi sehr stolz und rebellisch, steigerte sich völlig in ihre Emotionen hinein und sank in tiefste Depressionen. Und beim Schlussapplaus war es Elisabeth, die eine verkrampft lächelnde Anouk spielte, statt einfach nur Anouk. Ich hatte Kopfschmerzen.
Die Stimmung hinter der Bühne war gut – ein ausverkaufter Abend, tosender Applaus nach allen Szenen, stehende Ovationen. Ich zog mich in meine Garderobe zurück und legte meine Kostüme zur Reinigung zurück. Elias, Karl und ich hatten, gemeinsam mit ein paar Ensemblemitgliedern, ein spielfreies Wochenende vor uns. Es klopfte an der Tür, und Elias steckte den Kopf herein.
„Hast du Lust, mit uns weg zu gehen, in die Altstadt vielleicht?“
Ich sah ihn durch den Spiegel an. „Nein, lieber nicht“, antwortete ich. „Ich habe einiges zu tun und furchtbares Kopfweh… Aber danke.“
„In Ordnung“, erwiderte er fröhlich und zog die Türe schwungvoll hinter sich zu. Ich wartete noch ein wenig, ehe ich mich auf den Heimweg machte. Ich wollte ihnen nicht begegnen und die Laune verderben.
Es war eine laue Nacht, und ich ging zu Fuß nach Hause, um mich zu beruhigen und müder zu werden. Das jedenfalls gelang mir gut. Ich hatte wirklich einiges zu tun und brauchte eine lange, durchgeschlafene Nacht. Aber als ich nach Hause kam, schimmerte ein seltsames, weiches Licht durch die Glaseinsätze in meiner Wohnungstür. Ich seufzte. Ich hatte Liam gesagt, er solle nicht auf mich warten. Er würde morgen Früh nach Bielefeld fahren, letzte Erledigungen machen und seine letzten Shows spielen. Er sollte sich ausschlafen.
Als ich leise die Wohnung betrat, blieb ich erstaunt stehen. Der Küchentisch war festlich gedeckt, mit weinrotem Tischtuch und weißem Geschirr, und das warme Licht rührte von vier Kerzen in zwei hübschen Leuchtern her, die den Tisch dekorierten. Es roch gut, irgendetwas war im Ofen, und Liam begrüßte mich mit einem Kuss und nahm mir die Jacke ab.
„Was… ist das?“, fragte ich benommen.
„Abendessen“, entgegnete er.
"Abendessen?"
„Ein Abschieds-Dinner zu zweit.“
„Abschieds-Dinner?“ Ich ließ mich von ihm auf einen Stuhl schieben.
„Ja, holdes Echo. Morgen fahre ich nach Bielefeld, erinnert du dich?“
„Natürlich.“ Ich sah zu, wie er seine Spezialität, ein fein gewürztes Gratin, aus dem Ofen zog und uns beiden auf den Teller lud. Dabei schielte ich unauffällig auf die Uhr. Es war nach zwölf. Liam setzte sich mir gegenüber und lächelte selig. Seit feststand, dass wir nach London zogen, lächelte er ständig selig.
„Wie war Elisabeth?“
„Gut“, sagte ich.
„Ausverkauft?“
„Ja.“
„Schön.“
Wir aßen eine Weile, er gut gelaunt, aber auf der Hut wegen meiner Einsilbigkeit, ich lustlos und ohne nennenswerten Appetit. Es tat mir leid, dass ich so schlecht gelaunt war, obwohl er sich solche Mühe machte. – Moment mal. Heißt das, du gibst dir wieder die Schuld? Liam müsste doch langsam mal wissen, dass du nach Elisabeth zu nichts außer Schlafen gehen oder Fernsehen gut aufgelegt bist! Hm, eigentlich hatte ich damit ja Recht… Und warum hat er dir nichts davon gesagt? Überraschung? Ja, tolle Überraschung – ein Abendessen um zwölf nach drei Stunden hochemotionaler Show, das bedeutet Kopfschmerzen, Müdigkeit und ein schwerer Magen, sonst nichts! Ich schob mir voll automatisch ein Stück Kartoffel in den Mund.
„Schmeckt es dir?“
„Ja, sehr gut“, antwortete ich.
„Ich werde morgen übrigens eine Stunde früher losfahren müssen, meine Agentin konnte unseren Termin nicht anders legen.“
„Noch früher?“, erwiderte ich enttäuscht. Ich hatte gedacht, dass wir noch zusammen frühstücken könnten – auch wenn das nach diesem Dinner fast unmöglich wäre…
„Ist das schlimm?“, fragte er besorgt.
„Aber nein“, beeilte ich mich zu sagen. „Ich dachte bloß, du könntest… schon in Ordnung.“
„Was denn?“
Schon in Ordnung, sagte ich“, entgegnete ich, ein wenig zu scharf.
Wieder Schweigen, das Klappern von Gabeln auf Teller.
Gar nichts war in Ordnung. Ich hatte eine Menge Arbeit vor mir, mal ganz abgesehen von dem Papierkram, den ich wegen meiner Arbeit in London erledigen musste. Ich dachte, Liam könnte mir helfen, schon mal das nötigste zusammen zu packen, ich dachte, wir könnten besprechen, was mit den Möbeln passierte, bis wir eine Wohnung hatten, ich dachte, wir könnten zusammen lachen und scherzen und Kaffee trinken. Noch früher… Warum passierte alles, ohne mein Zutun? Warum fragte mich keiner mehr wegen irgendetwas? Wie kam Liam dazu, seine Abfahrt einfach so zu verfrühen, dieses vermaledeite Mitternachtsmahl zuzubereiten, ohne mich vorher vorzuwarnen, und warum um Himmels Willen hatte er diesen Job annehmen müssen, ja wie kam er dazu, mich nicht einmal zu fragen, ob ich mit einem langen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit in einem fremden Land einverstanden war?!
„Anouk, ist alles in Ordnung?“
Ich knalle die Gabel auf den Tisch. „Nein!“, sagte ich scharf – und lauter als beabsichtigt. Liam schien verwirrt. Er ließ sein Besteck sinken.
„Warum verschiebst du deinen Termin morgen nicht?“, fragte ich vorwurfsvoll.
„Ich dachte, das sei in Ordnung?“
„Ist es nicht!“
Er sah aus, als müsse er ein Augenrollen unterdrücken. „Aber ich habe dich doch gerade gefragt…“
„Du hast gar nichts gefragt“, schnitt ich ihm laut das Wort ab. „Du machst einfach alles und informierst mich dann.“ Erhitzt wischte ich mir die Finger an der Serviette ab. Liam schien die Welt nicht mehr zu verstehen, und dafür hasste ich ihn. Er verstand gar nichts!
„Was meinst du denn?“, fragte er gereizt.
„Du machst aus, dass du früher abfährst, und setzt mir diese Information so vor, dabei hatte ich gehofft, wir könnten morgen mal in Ruhe über London reden und planen. Und apropos London:“ Jetzt sprudelte alles aus mir heraus. „Wieso nimmst du einfach so einen Job an, einen festen, unbefristeten?“
„Weil wir Geld brauchen?“
„Aber wir bleiben doch nicht ewig dort!“, rief ich. „Zumindest dachte ich das. Aber dann muss ich erfahren, dass es wohl anders aussieht, dass du einfach für dich beschlossen hast, dass wir da bleiben, für längere Zeit, vielleicht Jahre. Mein Engagement geht aber nicht so lange!“ Ich wollte mir meine Verzweiflung nicht anmerken lassen, aber sie war da, schlich sich in meine Stimme. „Du hast kein Wort gesagt, einfach so geplant: wir wohnen bei deinen Eltern, schön, aber was, wenn mir das nicht passt? Wir sparen auf eine eigene Wohnung, die wir schnellstmöglichst mieten, aber was, wenn ich das gar nicht will? Du nimmst einen Job an, der unbefristet ist und dich lange in London hält, aber was, wenn ich das nicht will?“ Meine Stimme überschlug sich fast. Liams Gesicht war wie versteinert, aber seine Wangen waren gerötet.
„Du willst also danach sofort nach Deutschland?“, resümierte er hitzig. „Aber was, wenn ich das nicht will? Ich war jetzt lange genug hier. Ich habe doch schon einmal wegen dir auf ein Engagement verzichtet.“
„Schön wie du das sagst, wegen mir. Ich wusste ja nicht, dass ich dir so im Weg stehe, zumindest hast du das immer abgestritten!“
„Aber das habe ich doch gar nicht so gemeint! Ich möchte nach Hause, Anouk, ich bin seit der Ausbildung hier! Ich kann nicht richtig Fuß fassen, ich habe lauter Misserfolge.“
„Und du meinst, in London wird sich das bessern?“
„Schon der Job, den ich jetzt dort habe, ist so vielversprechend.“ Er sprach bemüht ruhig und griff nach meiner Hand. „Anouk, ich war jetzt lange hier. Aber ich… ich möchte nach Hause, ich möchte meine Eltern sehen, meine Sprache sprechen. Für längere Zeit.“
„Und was, wenn ich das nicht will?“, fragte ich störrisch.
„Du, du, du!“, schrie er plötzlich, so laut, dass ich erschrocken zusammenfuhr. Er sprang auf. „Wenn du dich nur einmal hören könntest! Wenn ich das nicht will – das ist alles, was ich dazu von dir höre! Ich versuche alles so angenehm wie möglich zu gestalten, wir haben eine Unterkunft bei meinen Eltern, nun passt dir das nicht. Eine neue Wohnung aber auch nicht – was willst du denn? Auf der Straße leben? Im Theater? Von hier nach London pendeln? Was ist nur los mit dir? Ich dachte, du freust dich auf dein Engagement!“
„Was los ist?“, wiederholte ich. Ich war ebenfalls aufgesprungen. „Es ist halb eins in der Nacht, und ich bin müde, das ist los! Ich habe Kopfweh, und wieder eine Sache, von der ich nichts wusste!“ Anklagend wies ich auf den Tisch.
„Oh, entschuldige, dass ich dir eine Freude machen wollte!“
„Nächtliche Dinners sind keine Freude, zumindest nicht so unvorbereitet!“
„Gut dass ich das jetzt weiß!“ Er leerte sein Weinglas in einem Zug und knallte es so hart auf den Tisch, dass der Stiel entzweibrach.
„Und falls es dir nicht aufgefallen ist:“, sagte er böse, „von all dem Kram, den du morgen vorhattest, und von all deinen Gedanken, die ich unverzeihlicherweise nicht lesen konnte, hast du auch keinen Ton gesagt!“ Er riss seine Jacke vom Haken und verschwand aus der Küche.
„Wo willst du jetzt hin?“, schrie ich ihm nach.
„Das sage ich mit Absicht nicht“, schrie er zurück. „Du würdest eh nicht mitwollen!“ Die Türe schlug zu, und ich zuckte wieder zusammen.
„Idiot!“, schrie ich und griff nach der Serviette. „Idiot, Idiot, Idiot!“ Mit jedem Wort schlug ich wütend damit auf den Tisch, und beim letzten Mal erwischte ein Zipfel das zweite Weinglas, stieß es um und zerbrach es. Ich schrie wütend auf, dann brach ich in Tränen aus. Rotwein tropfte auf den Boden. Der Tisch sah aus wie ein Schlachtfeld, und ich wusste nicht mal genau, wen ich mit „Idiot“ eigentlich gemeint hatte – ihn oder mich.
Ich spielte das Wortgefecht noch einmal durch, versuchte, nur Liam die Schuld an allem zu geben, aber es gelang nicht.
„Oh Mann, Anouk“, stöhnte ich und vergrub den Kopf in den Händen. Ich hatte Liam tatsächlich von nichts, was mich beschäftigte, irgendetwas gesagt…

Edit: Idiot war eigentlich mal ein anderes Wort, ich wusste gar nicht, dass hier zensiert wird...
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Was ich segne muss verderben
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 25.05.2016, 14:12:38

ohoh, das ist ja böse. So sehr ich Annouk mag, aber in diesem Fall kann ich eher mit Liam mitfühlen. Ein nett gedeckter Tisch ist kein Grund, aggeressiv zu werden, eine Abfahrt eine Stunde früher auch nicht (wenn es ein ganzer Tag wäre, aber so...). Dass es sich auf London freut, kann ich auch verstehen. Und warum sie denkt, dass sein Job für immer ist, verstehe ich auch nicht, schließlich kann man auch an einer Schule kündigen. Einzig die Sache mit dem Wohnen bei den Eltern verstehe ich, aber das hätte sie ja auch beizeiten anbringen können. Und in einer Partnerschaft sollte man da wohl lieber sagen "Sorry, mir geht es heute nicht gut, nimm es mir nicht übel, wenn das mit dem Dinner nicht so klappt" als in dieser Form das Kind mit dem Bade auszuschütten. Mir scheint, die beiden haben ein Kommunikationsproblem. Da ich sie eigentlich beide sehr mag, hoffe ich, sie raufen sich bald wieder zusammen (kleine Anmerkung am Rande: Warum fährt sie nicht mit zu seiner Show, wenn sie doch frei hat? Dann hätten sie manches besprechen können und er würde sich sicher freuen, dass sie an seinem Job auch mal Interesse zeigt). Sorry, aber im Moment kam sie mir echt ein bisschen als Zicke rüber - das ist zwar nicht unrealistisch, dass das mal vorkommt, aber mir gefallen die Leute besser, wenn sie sich nicht so benehmen. Nicht böse gemeint!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 25.05.2016, 21:35:32

Oh da geht es aber rund! Ein wirklich turbulenter Teil. Ich kann es gut nachvollziehen. Zum einen ist die Situation gerade wahrlich nicht einfach, zum anderen muss man in solch einer Geschichte auch mal einen schönen Streit beschreiben, das macht es realistisch und spannend. Ich musste unweigerlich an meine eigene Story denken, die seit Monaten (oder eher Jahren?) auf Eis liegt, da gab es auch solche Szenen. Ich muss gestehen, dass ich für die beiden hoffe, dass es für sie besser ausgeht! Ich bin sehr gespannt und hoffe, dass die zwei sich wieder einkriegen. Ich glaube, dass die Situation, in der Anouk jetzt ist, noch schlimmer ist als vorher: Großer Streit, Liam weg und im wahrsten Sinne des Worten ein Scherbenhaufen vor ihr. Ich hoffe, du lässt uns nicht zu lange warten und du sorgst dafür, dass wieder harmonischere Klänge angeschlagen werden ;) Bitte bald weiter!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 26.05.2016, 21:18:49

Deine Geschichte lese ich immer noch sehr gerne, aber diese Szene war schon sehr krass! Also ich finde es gut, dass es auch mal "knallt" weil das die Story einfach etwas "realistischer" macht, wenn du verstehst, was ich meine. Aber es ist einfach so ungewöhnlich, wenn in Anouks scheinbar perfektem Leben mal was nicht glatt verläuft.
Ich mag die 2 Charaktere eigentlich ganz gerne - und kann sie in der Situation auch beide irgendwie verstehen -, aber mir scheinen sie grade sehr ich-bezogen zu sein...Ich bin gespannt, wie es weitergeht!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 30.05.2016, 12:47:16

Schön, eure gemischten Reaktionen zu lesen! :) Ich dachte tatsächlich, es kann nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen sein, und auch jemand wie Anouk ist mal zickig, egoistisch etc. Deswegen gibt's jetzt schon den nächsten Teil:

Warum bemerkte man nur erst, wie sehr man jemanden liebte, wenn er fort war – oder wenn man sich vorher auch noch gestritten hatte? Ich lag im Bett, die Decke trotz Wärme bis ans Kinn gezogen, und starrte missmutig an die Decke. Einfach alles war schief gegangen. Heute Morgen hatte ich mich nicht getraut, das Bett zu verlassen und mich zu verabschieden, obwohl Liam sich mit der Abreise Zeit gelassen hatte. Ich schämte mich unendlich, und nach einer trotz allem sehr ausgeruhten Nacht kam ich mir noch dümmer vor als gestern Abend, und als ich Liams Schritte hörte, schloss ich rasch die Augen und stellte mich schlafend. Er blieb kurz im Zimmer und gab keinen Laut von sich, und ich platzte fast vor Neugier – aber um herauszufinden, was er tat, hätte ich meine Deckung aufgeben müssen. Und ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie er auf mich reagieren würde. Dann war er gegangen, die Haustüre hatte geklappert, und ich glaubte sogar, seinen Motor zu hören, wie er sich langsam entfernte und schließlich verstummte, aber vielleicht dramatisierte ich alles auch nur.
Der Elisabeth-Kater war mit einem Schlag verschwunden – genau so wie meine Erleichterung über das freie Wochenende. Ich war einfach nur noch Anouk, was plötzlich gar nicht mehr so erstrebenswert schien, und der Tag lag trostlos lang vor mir.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich ging das Gespräch, den Streit, abermals durch und konnte Liam eine gewisse Teilschuld immer noch nicht absprechen – auch wenn ich mich völlig daneben benommen hatte. Hätte ich doch von vornherein gesagt, wie müde ich sei, hätte ich eine Lüge, einen Vorwurf gespart, und wir hätten das Dinner verkürzen können, ohne verkrampft zu wirken. Und hätte ich doch nur weniger von mir gesprochen, als meine Sorgen sachlich darzulegen! Ich war immer noch ängstlich, was unseren Umzug nach London anging, und ich hatte Anlass zur Sorge, dass wir länger bleiben würden – besonders jetzt, nachdem Liam klar und deutlich gesagt hatte, dass es für ihn an der Zeit sei, endlich sein volles Potential auszuschöpfen. Ich setzte mich auf und rieb mir die Schläfen. Gott, ich hatte wirklich zu viel verlangt von ihm! Nie hatte er sich beschwert, hatte für mich sogar ein Engagement in London fallen lassen, und er hatte mir verziehen, nachdem ich und Alexej… Ich stand auf und machte mich fertig, mit automatisierten Bewegungen. Die Angst, dass ich es zu weit getrieben, dass ich ihn enttäuscht hatte, lähmte mich schier. Was für eine grausame Ironie das wäre – wir beide in London, in vielversprechenden Engagements, aber getrennt und verfeindet! Die Vorstellung trieb mir die Tränen in die Augen, und ich wusste, ich musste das klarstellen, ich musste irgendetwas unternehmen, und zwar nicht durchs Telefon.

Der Düsseldorfer Hauptbahnhof war voll und laut, wie immer. Ich hetzte durch die Menge, stieß mir die Zehen an so vielen Kofferrädern, dass ich gar nicht mehr zählen konnte, und erreichte in letzter Sekunde den RE, der mich nach Bielefeld fahren würde.
Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat, nur, dass ich dringend alles richten musste.
Die zwei Stunden Fahrt verstrichen quälend langsam, aber als ich endlich am Bahnhof stand wünschte ich mir, sie würde ewig dauern. Ich schlug mich gar nicht lange mit Bussen herum, sondern rief nach einem Taxi. Mein „Zum Stadttheater, bitte“ klang gepresst und atemlos, und als ich endlich da war, konnte ich mich kaum an die Fahrt erinnern.
Natürlich wurde ich im Theater abgefangen, von einer irritierten, aber durchaus freundlichen Dame, die gerade irgendetwas kaute.
„Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und schluckte.
„Ja“, sagte ich, „ich muss bitte sofort Liam sprechen, Liam Jordan.“ Mir wurde bewusst, wie verrückt ich wirken musste – hektisch, etwas zu laut, geschwollene Augen, das Haar vom ständigen Durchkämmen strubbelig. Vermutlich hielt sie mich für einen verrückten Fan.
„Tut mir leid“, sagte sie befremdet, „aber die Künstler dürfen vor der Vorstellung nicht gestört werden. Wenn Sie ein Autogramm wollen…“
„Aber nein!“, erwiderte ich hastig. „Ich bin seine Freundin. Lebensgefährtin.“ Das hörte sich albern an. „Anouk Steger“, sagte ich schließlich und besann mich meiner Person, „sicherlich haben Sie schon von mir gehört.“ Ich nestelte an meinem Portemonnaie und kramte meinen Ausweis hervor. „Sehen Sie, Steger. Es ist dringend, es geht um… private Angelegenheiten, die unser nächstes Engagement betreffen.“
Sie sah nicht überzeugt aus, aber sie schien mich zu erkennen, was mir einen Vorteil verschaffte.
„Warten Sie bitte hier“, erwiderte sie und verschwand. Nervös tigerte ich auf und ab und sah mich um, ohne etwas zu sehen; dann kam sie wieder.
„Mr. Jordan möchte Sie sprechen“, sagte sie. Es gefiel mir, dass sie ihn Mister nannte, aber sie ließ es klingen, als sei nicht ich hergekommen, um mit ihm zu sprechen, sondern als habe er mich herbestellt.
Liam erwartete mich an der Bühnentür des Theaters, die Hände in den Taschen und schon kostümiert – zumindest vermutete ich, dass dieser legere Anzug sein Kostüm war. Er sah konzentriert und ein bisschen finster aus, und als die Dame mich verließ, einige Meter vor ihm, blieb ich unsicher stehen. Erst als er den Kopf hob, bemerkte er mich.
„Hallo“, sagte ich unsicher und spielte an meinem Blusenknopf. „Ich… hoffe ich störe nicht?“
„Nein“, antwortete er, „es ist ja noch etwas hin bis zur Show. – Lass uns raus gehen.“
Warum redet er so neutral? Will er nett sein? Ist er mir böse? Bereitet er sich auf die Trennung vor? Ich folgte ihm nach draußen, er hielt mir die Tür auf – er will einen letzten, guten Eindruck machen! Eine höfliche Trennung! Draußen war es warm, beinahe heiß. Einige Darsteller lümmelten an der Hauswand, und wir entfernten uns einige Meter, bis ihr Gerede nicht mehr zu uns drang.
„Also“, sagte er nach einigem Schweigen, „warum bist du extra hergekommen?“
„Das weißt du doch“, erwiderte ich und starrte auf meine Schuhe. „Ich möchte mich entschuldigen. Ich komme mir ganz dumm vor, dass ich all diese Sachen gesagt habe. Und anderes nicht.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um mich sicherer zu fühlen, ließ sie aber sofort wieder fallen, um nicht abwehend zu wirken. Was auch kommen mochte, ich wollte es über mich ergehen lassen. Liam schob einen Zigarettenstummel zwischen den Schuhspitzen herum.
„Du hast dich wirklich dumm benommen“, sagte er schroff. „Ich habe mich selbst wie ein Idiot gefühlt, als du mich so angeschrieen hast. Das Essen hatte ich mir anders vorgestellt.“
„Ja“, sagte ich vorsichtig, „ich… war sehr müde und hatte vor, sofort schlafen zu gehen. Weißt du, es gibt so viel zu tun wegen London, und Elisabeth… Aber ich will nicht wieder von mir sprechen.“
„Vielleicht solltest du das aber“, entgegnete er, nicht unfreundlich diesmal, „damit wir uns endlich aussprechen können.“ – Wir, er hat wir gesagt!
„Na ja“, begann ich und fühlte mich unbehaglich, „ehrlich gesagt… wächst mir grad alles irgendwie über den Kopf. Du weißt ja, Elisabeth ist irgendwie schwer für mich, emotional gesehen, und… und wegen London bin ich ganz schön aufgeregt.“
„Aber es ist doch schon so vieles geklärt. Wir haben eine Unterkunft, und Arbeit.“
„Ja, stimmt. Aber… als du mir sagtest, du hättest diesen Job, da fühlte ich mich so vor den Kopf gestoßen, weil… ich habe es mit dir besprochen, weißt du, das mit Love never dies. Ich wollte deine Meinung. Und ich kann verstehen, dass du mir damit eine Freude machen wolltest, und ich bin auch unglaublich froh, dass du dich bemühst und dich so freust, aber… ich hatte plötzlich das Gefühl, du würdest eine längere Sache daraus machen wollen, ohne etwas mit mir abzusprechen. Verstehst du, ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Ich ziehe in ein fremdes Land, zum ersten Mal, ich muss eine andere Sprache sprechen und in einem Stück spielen, das sehr umstritten ist, und alle setzen so große Erwartungen in mich, dass ich ganz nervös werde. Alle sagen mir, die Produktion geht nur sehr kurz, und daher dachte ich, gut, dann kann ich direkt wieder nach Deutschland, es ist so wie Urlaub, aber jetzt… Ich weiß nicht, ob ich so lange von hier fort sein kann. Und jetzt wo ich weiß, dass du es hier nicht mehr aushältst, mache ich mir Sorgen.“ Ich starrte während des gesamten Monologs auf den Boden, und Liam unterbrach mich nicht einmal.
„Worüber machst du dir Sorgen?“, fragte er. „Ich meine, hast du nur Angst, dass wir lange in London bleiben?“
„Ich habe Angst, dass du lange in London bleibst“, erwiderte ich, „und dass ich zurück muss oder will, warum auch immer. Es kann vieles passieren – Love never dies läuft nicht gut, ich bekomme ein besseres Engagement in Deutschland… Ich will nicht so weit von dir getrennt sein. Aber ich habe auch Angst, dass ich Heimweh bekomme oder nicht Fuß fassen kann.“ Jetzt fing ich doch an zu weinen; die ganze Zeit hatte ich meine dummen Tränen herunter geschluckt, aber jetzt war ich einfach nur noch müde und traurig. Ärgerlich wischte ich mir über die Augen, und Liam nahm mich in den Arm, so fest, dass ich mich losgemacht hätte, wäre ich nicht so erleichtert gewesen.
„Ich verspreche, wir werden eine Lösung finden, wenn es so kommen sollte“, sagte er in mein Ohr. „Egal was, irgendetwas wird sich finden. Aber… warte doch erst mal ab.“ Er machte sich von mir los, nahm mich fest bei den Schultern und sah mich an. „Du bist immer so pessimistisch. Was wäre denn, wenn Love never dies ein großer Erfolg wird und London dir gefällt? Was dann?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich… weiß nicht. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“
„Aber ich. Ich habe versucht, alles im Blick zu behalten. Ich wusste ja nicht, dass dir das alles solches Kopfzerbrechen bereitet! Wenn du mir schon im Auto gesagt hättest, dass dich der Job stört-“
„Er stört mich ja nicht“, lenkte ich ein. „Er kam nur… überraschend.“
„Das hättest du vielleicht früher sagen sollen. Ich kann dir nämlich nur vor den Kopf gucken, weißt du. Auch wenn ich mir oft Mühe gebe, auch das Dahinterliegende zu entschlüsseln.“
Ich lächelte schwach. „Es tut mir so leid. Ich schäme mich entsetzlich.“
Er nahm mich wieder in den Arm. „Wir haben noch ein wenig Zeit“, sagte er. „Wenn du über Nacht bleibst, werden wir morgen alles in Ruhe durchgehen.“
Über Nacht bleiben? Das musste er nicht zwei Mal fragen.
„In Ordnung“, sagte ich, „danke!“
„Nichts zu danken“, erwiderte er. „Siehst du, jetzt, wo alles gesagt ist, können wir etwas tun. Das ist wie im Theater: erst reden, damit der Zuschauer alles kapiert, dann machen.“
Diesmal lachte ich wirklich.
„Und damit du auch wirklich entspannen kannst heut Abend, versuche ich, dir noch irgendeinen Platz zu sichern. Zur Not hinter der Bühne.“
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 30.05.2016, 15:03:05

Gut, dass die erlösende Aussprache so schnell kommt! Mir hat der Teil gut gefallen. Bitte bald weiter!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 31.05.2016, 09:18:24

Der Teil gefällt mir auch gut. Ich finde aber, dass Liam jetzt auch an der Reihe wäre, einzusehen, dass er ein paar Sachen lieber anders angepackt hätte oder mehr mit ihr zusammen. Aber ich freue mich jetzt schon auf die nächste Folge! (Und ein Showbericht von Liams Show würde mich auch mal interessieren!)

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Dori » 12.06.2016, 19:44:47

Hallo,

ich lese auch noch mit. Bin sehr gespannt, wie sich das Engagement in London entwickelt!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 24.06.2016, 11:48:57

Ich hoffe, ihr hattet Geduld mit mir... Der nächste Teil:

Es fand sich noch ein Platz für mich, etwas rechtslastig zwar, aber trotzdem mit guter Sicht. Ich war erschöpft und passte mit meinem schnell zusammengewürfelten Alltagsoutfit nicht zu den anderen Zuschauern.
Ich verfolgte die Show von einem professionellen Standpunkt aus. Natürlich machte es mich stolz, Liam spielen zu sehen, aber ich konzentrierte mich auf sein Spiel, seine Technik. Er spielte den Melchior in Frühlingserwachen; ich mochte die Musik nicht besonders, und ich zog schon während der Pause den Schluss, dass Liam zu gut und seine Stimme zu klassisch angelegt war. Die Zuschauer allerdings vergötterten ihn. Ich wurde mir plötzlich schmerzlich bewusst, wie unterfordert und eingeengt er hier sein musste und dass seine Stimme nicht die gewohnte Kraft entfalten konnte. Er passte eher in die mystischen Männerrollen - er wäre ein guter Krolock, oder Tod vielleicht.
Nach der Vorstellung durfte ich zu ihm in die Garderobe, und wir verließen das Theater recht schnell. Als er mich fragte, wie mir die Show gefallen hätte, antwortete ich ehrlich und teilte ihm auch meine Eindrücke von ihm mit.
„Es ist nicht optimal, das stimmt“, erwiderte er, „aber so ist das als Künstler.“ Dann schien ihm etwas einzufallen, und er straffte sich. „Aber, du hast Recht“, sagte er dann, „ich bin hier unterfordert.“
Daraufhin schwieg ich. An diesem Abend wollte ich kein Wort mehr über London verlieren – morgen wäre noch genug Zeit dafür.

Wir nutzten die Zeit. Schon während des Frühstücks begannen wir, über die nahe Zukunft zu plaudern und kamen bald schon an wichtigen Punkten an.
„Ich habe mir vorgestellt, dass wir in den ersten Wochen bei meinen Eltern wohnen können“, legte Liam seine Pläne sachlich dar. „Sie haben ein Haus, das groß genug ist – wir werden sie nicht stören und sie uns nicht. Außerdem denke ich, dass man sich freie Wohnungen besser vor Ort ansehen sollte. Meine Eltern halten zur Zeit die Augen offen und geben Bescheid, wenn sie ein gutes Angebot finden.“
„Aber wie werden wir die Wohnungen ansehen?“, fragte ich. „Du unterrichtest, wirst also den ganzen Tag arbeiten, und ich habe lange Proben.“
„Das stimmt.“ Er dachte kurz nach. „Wir könnten deinen Probenplan abwarten und meine Arbeitszeiten, und dann freie Stunden nutzen. Ich glaube, jetzt werden wir dafür keine passende Lösung finden.“
„In Ordnung“, stimmte ich zu, „abwarten.“ Mir lag schon die Anknüpfung an das nächste Thema auf der Zunge, aber ich hielt mich zurück und wartete ab, bis wir uns fertig gemacht hatten und wieder zusammen saßen, ein paar Papiere und Stifte auf dem Tisch, um nötigenfalls einige Dinge schriftlich festzuhalten.
„Also“, sagte ich nervös, „noch mal zur Wohnung… Wie lange möchtest du in London bleiben?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete er, anscheinend wahrheitsgemäß, denn zum ersten Mal wirkte er bei der Antwort etwas unsicher. „Natürlich müssen wir sehen, wie alles läuft…“ Er sah mich an. „Ich weiß, du möchtest am liebsten alles jetzt planen und wissen“, fuhr er fort, „aber du musst auch einsehen, dass das nicht so einfach geht. Wir wissen nicht, wie sich alles entwickelt.“
„Ich weiß“, sagte ich. Ich kam mir albern vor – unser Gespräch war so bemüht ruhig und sachlich, dass es unecht wirkte, und das begann schon wieder, mich zu nerven. Um nicht wieder zu aufgeregt zu werden, stand ich auf und sah aus dem Fenster. Es schien tatsächlich keine eindeutige Lösung für unsere – oder eher, meine völlig übertriebenen – Probleme zu geben: man konnte die Zukunft nicht so genau planen, dass sie einem Sicherheit gab. Sicherheit – dieses Wort sollte eigentlich jeder Künstler aus seinem Wortschatz streichen, das hatten wir schon früh gelernt.
„Na gut“, sagte ich und drehte mich mit einem Ruck um, „du hast wohl Recht. Wir können gar nichts planen… Aber können wir wenigstens schon mal festlegen, wie die Anreise verläuft und trotzdem nach ein paar freien Wohnungen und Preisen sehen?“
Liams Gesicht hellte sich auf – und sah ich auch Erleichterung? Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Vermutlich hatte er sich auf einen neuerlichen Wutausbruch, auf ein weiteres kompliziertes Gespräch eingestellt.
„Klar“, sagte er, „ein paar Sachen haben mir meine Eltern schon geschickt…“

Am Ende meines freien Wochenendes fühlte ich mich erleichtert und etwas froher, wenn ich auch immer noch nervös war. Außerdem begann der Abschiedsschmerz an mir zu nagen – morgen würden meine letzten zwei Wochen bei Elisabeth anbrechen, dann eine Woche Zeit, um zu packen und letzte Vorbereitungen zu treffen, und dann würde ich Deutschland den Rücken kehren – erst einmal. Ich stellte meine Tasche ab und sah mich in meiner Wohnung um. Die würde ich nicht vermissen – bisher hatte es noch keine Wohnung gegeben, in der ich mich wirklich Zuhause gefühlt hatte. Ich war schon mit dem Gedanken ans Einrichten gegangen, dass es sich nur um einen Übergang handelte. Der Gedanke, dass ich einen Ort wieder verlassen muss, rührt mich und lässt mich ihn lieben, hatte Elisabeth gesagt, aber bisher hatte das auf mich noch nie zugetroffen. Zum ersten Mal fragte mich, ob das für immer so bleiben sollte. Würde ich irgendwann sesshaft werden? Der Gedanke erschreckte mich, er war etwas völlig neues; ich hatte nie über Familienplanung oder ein festes Heim nachgedacht… Aus einem Impuls heraus ging ich in mein Schlafzimmer – das Bett war immer noch nicht gemacht – und öffnete meine Schmuckdose. Der Ring, den Liam mir einmal geschickt hatte, als ich in Berlin war, steckte zwischen den anderen, etwas angelaufen und selten getragen. Ich schob ihn an den Ringfinger und fühlte mich seltsam. Ob Liam und ich einmal heiraten werden?, fragte ich mich. Dachte er auch darüber nach? War ich nicht zu jung, um mir darüber Gedanken zu machen? Im August würde ich 24 werden, viel zu früh um zu heiraten, und erst recht um Kinder zu bekommen… Eigentlich wollte ich auch keine, zumindest im Moment nicht. Später… sicher, warum nicht? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und lachte in die Stille hinein. Fest gewillt, vor der neuen Arbeitswoche auszuschlafen, ließ ich mich ins Bett fallen – den Ring ließ ich an. Es tat gut, wieder mit Liam versöhnt zu sein.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
um zu leben musst du sterben

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 24.06.2016, 15:57:42

Danke für den Showbericht! Das hat mich gefreut :-). Ansonsten ein guter Übergangsteil, jetzt kann sozusagen der Abschied von Elisabeth und London kommen. Was die Familienplanung angeht, da hat sie wohl wirklich noch etwas Zeit ;-).

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Dori » 26.06.2016, 19:02:12

Finde es auch schön, wie du über Liams Vorstellung geschrieben hast.

Schon komisch, dass Anouk sich so schwer damit tut nach London zu gehen, die ständigen Umzüge und alles was da mit dran hängt, gehört nun mal zu ihrem Beruf. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass einige junge Absolventen erst später merken, dass in diesem Beruf doch nicht alles so schön und einfach ist, wie sie es sich vielleicht gedacht haben.
Es ist für Anouk doch ein tolles Geschenk, am Westend spielen zu dürfen. :)

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 04.07.2016, 00:10:32

Da kommt man aus dem Urlaub und findet einen neuen Teil vor - das ist super!
Ich find den Teil wie immer toll. Es ist gut, dass die beiden sich vertragen haben.
Anouks Gedanken über eine unsichere Zukunft und der Wunsch, alles planen zu können, kann ich sooo gut nachvollziehen!! Mich hat die Stellensuche die letzten Monate auch ziemlich verrückt gemacht und diese Unwissenheit, wo es einen hin verschlägt und wie lange man noch an dem Ort bleiben möchte, kann einem ganz schön zusetzen. Du hast es sehr treffend und realistisch beschrieben.
Es ist durchaus nicht zu früh, mit 24 über das Heiraten oder Familienplanung nachzudenken, aber sie hat auf jeden Fall auch mit beidem noch Zeit - den richtigen Zeitpunkt (falls es ihn gibt ;) ) sollte jeder für sich selbst finden.
Ich bin auf jeden Fall sehr sehr gespannt, wie es weiter geht. Lass uns nicht zu lange warten :)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 04.07.2016, 14:45:32

Danke für euer ausführliches Feedback! Mit diesem Teil geht es endlich ab nach London:

Düsseldorf, 2 Wochen später
Trotz der frühen Tageszeit war der Flughafen belebt wie eh und je. Die ersten Sonnenstrahlen schimmerten gerade durch die Fenster, und ich döste im Wartebereich vor mich hin, die Stirn an Liams Schulter gelehnt, der seinerseits immer wieder mit dem Kopf gegen meinen stieß, wenn ihm die Augen zufielen. Wir waren alles andere als wach, denn obwohl wir zeitig schlafen gegangen waren, hatten wir doch die halbe Nacht wach gelegen, geredet oder nachgesehen, ob etwas fehlte, das noch in die Koffer gehörte. Und zwei Stunden, nachdem wir endlich in den Schlaf gefunden hatten, klingelte schon wieder der Wecker.
Als eine Durchsage erklang, richteten wir uns beide widerwillig auf.
„Das sind wir“, sagte Liam.
„Ja“, sagte ich, und plötzlich schlug mir das Herz bis zum Hals. Meine Mutter, die bis dato still neben uns gesessen und meine Hand gehalten hatte, drückte mich fest in die Arme.
„Ruf an, wenn ihr angekommen seid!“, sagte sie, als würden wir ein Ferienlager antreten.
„Mache ich“, versprach ich, und trotz aller Vorsätze konnte ich nicht verhindern, dass ein paar Tränen flossen.
„Du machst das schon“, raunte sie mir ins Ohr, selbst ganz heiser, „ich glaube fest an dich. Und in fünf Wochen sehen wir uns wieder!“
„Ja“, sagte ich wieder, weil mir nichts anderes einfiel und mich alles andere bloß noch mehr zum Weinen gebracht hatte, und nach letzten Umarmungen, Küsschen und Winken kehrten wir einander den Rücken.
„Alles in Ordnung?“, fragte Liam, als wir auf unseren Sitzen Platz genommen hatten.
„Ja“, sagte ich und atmete tief durch. „Ja, wirklich.“ Ich lächelte entschuldigend. „Du weißt doch, Abschiede liegen mir nicht so.“
Er nahm meine Hand und drückte sie fest. „Warte ab, bis wir da sind“, sagte er, und ich konnte die Aufregung in seinen Augen sehen, die langsam ansteckend wurde. Nach seiner Derniere am letzten Mittwoch hatte er sich bei mir einquartiert – in meiner Wohnung, die über die letzten Wochen recht kahl und lieblos geworden war und die schon zwei Mal von potenziellen Nachmietern besichtigt wurde. Am Samstag hatte schließlich auch ich meine Derniere – die ich nie vergessen würde, nicht allein wegen der ausnehmend lustigen Vorstellung; meine Kollegen hatten sich einiges einfallen lassen, um meine Lachmuskulatur auf eine harte Probe zu stellen. Auch das anschließende Treffen mit dem Fanclub und das nächtliche Beisammensitzen mit den vertrautesten Ensemblemitgliedern sowie ein Abschieds-Interview hatten den Abend zu etwas ganz Besonderem gemacht. Durch die letzten Vorbereitungen hatte ich den gestrigen Sonntag auch nicht mit Abschiedsschmerz vergeuden können; auch jetzt verspürte ich kaum Wehmut. Liam war seit Tagen so guter Laune, dass es mir selbst gleich besser ging.
Die Stewardess gab letzte Instruktionen, und als das Flugzeug schließlich startete, fiel eine große Last von mir ab: der gefürchtete Abschied, die Angst vor dem Heimweh, war überwunden; jetzt, da ich einmal in der Situation steckte, konnte ich nichts mehr ändern. Meine getroffenen Entscheidungen erfüllten sich hier und jetzt, und dass ich endlich nicht mehr mit quälender Ungewissheit und Zweifeln leben musste, gab mir endlich wieder ein Gefühl der Normalität. Natürlich flog ich nach London, natürlich würde ich Deutschland nicht nie wieder sehen, und natürlich würde alles seinen geregelten Ablauf gehen.

Obwohl es bewölkt war, regnete es auch bei diesem Besuch in London nicht. Aber die Luft war schwül und drückend und irgendwie unsauber, als hätte es seit langem trotz drohender Wolken nicht geregnet. Liams Vater holte uns am Flughafen ab, ein riesiger Mann, dessen Gene in Liam eindeutig übermächtig waren: seine Stimme war tief und sonor, seine Gesichtszüge beinahe die gleichen, aber die riesige Nase hatte er zum Glück ganz für sich behalten. Er begrüßte mich überraschend auf Deutsch, aber es klang ziemlich ungelenk.
„Sie sprechen Deutsch?“, fragte ich überrascht.
„Ah… no“, sagte er, und Liam verdrehte die Augen.
„Sie haben sich fest vorgenommen, es zu lernen“, erklärte er, „um es dir leichter zu machen – und weil sie in der Midlife-Crisis stecken“, scherzte er, wodurch sich Liams Vater – Harold mit Namen – der Sinn der Erklärung erschloss. Er schaute seinen Sohn böse an.
„Glaub ihm kein Wort“, wandte er sich an mich, „wir sind fitter als ein ganzer Haufen Schauspieler.“ Ich konnte seinem Englisch folgen, wenn auch etwas mühsam, denn er sprach ein breites, gediegenes Britisch, das von meinem gelernten Schulenglisch doch sehr abwich. Wenigstens würde ich so schnell den passenden Akzent lernen…
Wir fuhren mitten durch den Arbeitsverkehr: wir waren um acht Uhr früh losgeflogen und dank der Zeitumstellung auch um acht Uhr früh gelandet. Langsam ging es voran, und Harold redete ohne Unterlass. Offenbar waren neue Nachbarn eingezogen, die ihre Unterwäsche über dem Balkongeländer trockneten – terrifying – und ihre Kinder bis nach 10 p.m. vor dem Fernseher sitzen ließen – absolutely incredible. Liams Mutter Ilene hatte ihre Arbeitszeiten als Eventplanerin stark reduziert und betätigte sich nun auf neuem Terrain – sie wollte unbedingt ein Kinderbuch schreiben. Strange, sagte Harold, Midlife-Crisis, seufzte Liam. Auch über die Queen und besonders Prinz Harry, this unsettled little rascal, wurde geredet, und natürlich über William, Kate und ihre beiden Kinder – cute but stubborn. Ich stellte mir vor, dass über Harolds Haustüre eine britische Flagge hing und auf dem Kaminsims eine Plastikqueen mit winkender Hand stand, so inbrünstig schwärmte und schimpfte er über seine Royals.
Die Jordans wohnten im schicken Kensington, das an manchen Ecken gar nicht so schick war, in Earl’s Court 24.
„Herrlich hier“, sagte Harold zu mir, „gleich dort die Straße runter, und du bist auf einer Einkaufsstraße – viele Pubs und unser geliebter Sainsbury's. Andersrum geht’s zur Bahn, die dich zum West End bringt.“ Er lächelte stolz über seine optimale Wohnlage und half mir mit den Koffern – genau genommen verbat er mir, auch nur eine einzige lose Socke in der Hand zu tragen. Ich folgte also den beiden Männern in das Haus. Von außen waren die Hausfassaden einfach wunderschön, alle weiß, hinter einem schwarzen, schmiedeeisernen Tor führte ein schmaler Weg und dann drei kleine Stufen hinauf zur Haustüre, die von zwei dicken Säulen flankiert wurde, auf welchen die Hausnummern standen. Jedes Haus verfügte auch über ein Untergeschoss, welches seinerseits je einen Hof wie eine tief gelegte Terrasse hatte. Ob es sich um clever angelegte Mietwohnungen oder einfach nur die Kellerräume handelte, ging mir allerdings noch nicht auf. Zur Straße hin hatte jedes Haus einen kleinen, wirklich kleinen Balkon (und nirgendwo war Unterwäsche zu sehen…).
Durch die Haustüre gelangten wir in einen langen, schmalen Flur, zu dessen Seiten verschiedene Räume lagen: links ein kleines Gästeklo, rechts etwas, das durch den Türspalt wie ein Lagerraum aussah, weiter links führte eine Treppe in den oberen Stock, gegenüber die Küche und ganz am Ende des Flurs ein großes, helles Wohnzimmer, das gar nicht meinen Vorstellungen entsprach. Es gab weder englische Flaggen noch eine Winkequeen auf dem Kaminsims. Die Möbel waren frei von jedem Achtziger-Muster, wie ich es mir klischeehaft vorgestellt hatte, sondern alle in hellen Blautönen gehalten, gemischt mit Beistelltischchen aus Glas und hellem Holz. Einen Garten gab es nicht.
Liams Mutter Ileen wartete im Wohnzimmer auf uns und begrüßte ihren so lange abwesenden Sohn begeistert. Sie war schick angezogen, wie eine Kauffrau, mit kurzem, aschblond gefärbtem Haar.
„Und das also ist Anouk“, sagte sie und drückte auch mich sofort herzlich in den Arm. „Willkommen bei uns!“, sagte sie. „Ich freue mich so, dich zu sehen! Hattet ihr einen guten Flug?“
„Ja“, antwortete ich verlegen und verdutzt über so viel Vertraulichkeit, „alles ist gut gelaufen.“
„Das freut mich. Liam hat uns Zeitungsartikel geschickt, damit wir auf dem Laufenden bleiben, natürlich auch über dich, und wir konnten es kaum abwarten, dich persönlich zu sehen! Dieses Elisabeth muss fabelhaft sein, eine Schande, dass wir es nicht sehen konnten, aber in letzter Zeit hatten wir einfach viel zu tun…“
„Mum“, fiel Liam ihr ins Wort, „es gibt genug Zeit, alles zu bereden.“
„Ach, wie dumm, natürlich wollt ihr sicher auf euer Zimmer!“ Sie führte uns zur Treppe.
„Harold hat schon alles nach oben gebracht“, sagte sie. „Übrigens, Liam“, plapperte sie über die Schulter, „wir haben etwas umgebaut, euer Schlafzimmer ist nun das mit dem Balkon, es ist größer und neu tapeziert.“
„Das war doch nicht nötig.“
„Ja, doch, schon.“ Sie senkte die Stimme. „Weißt du, wir, oder eher dein Vater, braucht neuerdings nachts eine Toilette in der Nähe.“ Sie lachte sich halbtot über die Altersbeschwerden ihres Mannes, und Liam warf mir ein entschuldigendes Grinsen zu. Ich lachte zurück.
Im oberen Stockwerk fanden sich, neben zwei Schlafzimmern, ein geräumiges Badezimmer und ein kleiner Wohnraum mit Sessel, Sekretär und vielen Bücherregalen. Unser Schlafzimmer war tatsächlich recht groß, mit weiten, leichten Vorhängen vor der Balkontüre und schweren, meerblauen Gardinen. Der Teppichboden war von einem hellen türkis-blau, das perfekt auf die weißen Möbel mit blauen Knöpfen abgestimmt war.
„Wie im Hotel“, merkte Liam an.
„Also so, wie du es gewohnt bist“, entgegnete Ilene trocken. „Wir wollen doch, dass du dich wohl fühlst…“ Sie wandte sich an mich. „Wenn er frech wird, musst du uns unbedingt rufen!“, sagte sie. „Wir konnten schon so lange nicht mehr mit ihm schimpfen!“
„Äh, aber sicher“, sagte ich, „ich schimpfe aber auch oft mit ihm“, woraufhin Liam herzlich lachen musste.
„Tja“, sagte er, als wir endlich allein waren, „willkommen in meiner Welt.“
Ich ließ mich auf die hohe Bettkante fallen. „Na, deine Eltern sind doch sehr nett.“
„Und sehr redselig.“
„Dann wird es wenigstens nie langweilig.“ Ich sah mich um. „Schön ist es hier.“
„So, wie du es dir vorgestellt hast?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Nein, aber so ist es ja nie… Und London stelle ich mir sowieso nur als pulsierende, leuchtende Stadt vor, weil man ja nur Fotos von Piccadilly gezeigt bekommt.“
Liam setzte sich neben mich. „Bist du sehr müde?“, fragte er.
„Jetzt, wo du es sagst: ja, schon.“
„Dann schlage ich vor, dass wir erst etwas Schlaf nachholen, und heute Mittag zeige ich dir die Gegend.“
Ich lächelte. „Das hört sich gut an!“
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
Nur mein Gift macht dich gesund
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 04.07.2016, 15:55:54

Ein schöner Teil!
Schade, dass du die Derniere ausgespart hast und nur leichte Andeutungen durchgedrungen sind.
Der Abschied und Aufbruch gefallen mir gut. Ich hoffe, dass die zwei gut zurecht kommen. Liams Eltern scheinen ja ganz lustig zu sein. Bitte bald mehr!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 06.07.2016, 17:14:56

Gefällt mir auch gut. Die Eltern klingen nett. Ich bin schon ganz gespannt auf deine Schilderung der Gegend.

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 11.07.2016, 17:45:22

Tadaa, nächster Teil:

Nach einem ausgedehnten Schläfchen zogen wir, Liam und ich, los, um die Gegend zu erkunden. Am Ende der Straße befand sich das hoch gelobte Salisbury’s, ein Supermarkt. Wir gingen einmal rein und ich entdeckte auf einen Schlag tausend neue Dinge – Milch in Plastikflaschen mit Henkel und Schraubverschluss in allen möglichen Größen, grüne Schokolade mit Pfefferminzgeschmack und allerlei Kekse und Süßigkeiten, die ich so noch nie gesehen hatte und die mich sicherlich einige Kilo schwerer machen würden. Wir kauften die grüne Schokolade und ein Päckchen mit sechs kleinen Törtchen, die mit einem Happen im Mund verschwanden und mit Marmelade und Sahne gefüllt und mit buntem Fondant überzogen waren.
„Dort links runter gibt es noch einen Supermarkt“, Liam zeigte in die Ferne, „Tesco. Der ist vergleichbar mit dem deutschen Real.
Zur anderen Seite erstreckte sich eine belebte Straße, in der sich Pub an Pub reihte, zusammen mit einer Menge Apotheken und anderer Imbisse wie Starbuck’s oder McDonald’s.
„Der Pub dort auf der Ecke, Prince of Teck – der ist der beste hier“, erklärte Liam. „Und dort gegenüber, das Burger-Restaurant, das ist einmalig, sehr amerikanisch und unglaublich lecker!“
Ich fand heraus, dass ich mich getäuscht hatte, was die Apotheken anging: es waren gar nicht so viele, wie es schien.
„Das dort, das ist die Apotheke“, er wies auf das Geschäft, über dem Pharmacy stand. „Und das daneben, das ist die Drogerie, chemist’s auf Englisch. Sieht leider beides sehr ähnlich aus, ich weiß nicht, wie viele Touristen wir schon nach nebenan geschickt haben früher.“
„Hier, das wird dir gefallen“, sagte Liam, als wir in eine Seitengasse einbogen. „Das sind die Mews.“
Mews, so lernte ich, waren Hinterhöfe, die früher zur Unterbringung des Personals und der Kutschen verwendet wurden, heute aber von allen bewohnt wurden – die es sich leisten konnten! Mews waren nicht gerade das, was man unter einem günstigen Wohnraum verstand, aber dafür auch wunderschön: der gepflasterte Hof, die bunten, weiten Garagentore, die Haustüren, die oft von Pflanzen umwachsen waren – alles wirkte wie von einer anderen, friedlicheren Welt. Dieser Eindruck wurde durch die abgeschiedene Lage noch verstärkt. Arm in Arm schlenderten wir durch die Gasse, die die belebte Einkaufsstraße mit einer sehr ruhigen Straße verband. Hier lernte ich, dass der Baustil der Häuser der Georgianische war – erkennbar an flachen Reihenhäusern, symmetrisch angeordneten Fenstern, bunten Haustüren, halbrunden Oberlichtern und Zierbögen.
„So viel wie in den letzten fünf Minuten habe ich schon lange nicht mehr gelernt“, lachte ich und staunte gleichermaßen über Liams Wissen um Londons Architektur – über die Düsseldorfs hätte ich nicht viel sagen können.
Wir wanderten eine ganze Weile weiter, ohne dass etwas bemerkenswertes zu sehen war. Ich bestaunte die Häuser, die mir so gut gefielen, die schmiedeeisernen Zäune und die hübschen Haustüren, aber irgendwann wurde auch das eintönig.
„Wohin geht es denn?“, fragte ich, als mir die Füße schon ein bisschen weh taten.
„Wir sind gleich da, nur noch die nächste Straßenecke…“ Wir bogen in eine sehr ruhige, gediegen wirkende Straße mit tief hängenden Zweigen, und standen plötzlich vor einem geöffneten Tor.
„Der Holland Park“, erklärte Liam, „für alle, die keinen Garten haben.“
Der Holland Park verfügte über viele Grünflächen, ein Restaurant und – was das Herzstück der Anlage bildete – den Kyoto Garten, in dem Ruhe und Andacht herrschte: Koi schwammen träge im See, alles wirkte meditativ und beruhigend.
„Hier wohnt die crème de la crème“, sagte Liam leise und wies in Richtung Straße. „Aber den Park darf natürlich jeder nutzen.“
Wir saßen still auf einer Bank, sogar die Sonne ließ sich kurz blicken.
„Für den Bedarf an Grünflächen kannst du natürlich auch den Hyde Park nutzen“, sagte Liam, „aber ich finde es hier schöner. Oh, und Little Venice, das muss ich dir unbedingt zeigen, es ist wunderbar dort, und was hältst du von einem Ausflug nach Notting Hill? Das sollten wir Samstag machen, wegen des Marktes…“
Ich lächelte und lehnte mich an ihn. „Alles“, sagte ich, „ich will alles machen und sehen, bevor die Proben anfangen. So viel wie möglich.“

„So viel wie möglich“ – das begrenzte sich erst einmal doch nur auf den Hyde Park und das Stadtzentrum, denn Liam trat am Donnerstag seine neue Arbeitsstelle an.
„Viel Glück, Mister Jordan“, wünschte ich ihm, noch im Bett liegend, als er sich morgens auf den Weg machte. Da sein Vater bis 16 Uhr arbeitete und seine Mutter bis 14 Uhr, war ich an diesem Morgen alleine. Ich machte mich fertig und frühstückte in Ruhe, und zwar einen einfachen Toast mit Marmelade statt der ständigen Breakfast Muffins, Cheese Omelletts und was es sonst noch gab. Ich hatte beschlossen, mich heute allein in die Stadt zu wagen und einkaufen zu gehen. Weil es ein warmer Tag werden sollte, wählte ich ein knielanges, ausgestelltes Jeanskleid mit schmalem Taillengürtel und dazu passende Schuhe und Tasche, denn mir war aufgefallen, dass die Frauen sich sehr gewählt und nicht zu freizügig kleideten. Hot Pants oder enge Röcke hatte ich, außer bei Touristinnen und lauten Jugendlichen, noch nirgendwo gesehen. Der Stil der Londoner Frauen war ein wenig angehaucht von dem der 50er Jahre, und ich freute mich, für einen Stadtbummel etwas schicker gekleidet zu sein.
Was das Bahnfahren anging, war ich noch etwas unsicher, aber erstens war London so gut vernetzt, dass ich auch bei falscher Verbindung niemals weit vom Weg abkommen würde, zweitens konnten die Kartenautomaten Deutsch.
Es war tatsächlich nicht schwer, in die Stadt zu kommen. Mitten im Zentrum nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte nach dem nächsten Sportgeschäft, und es gab keine einzige Person, die mir nicht gerne weiterhalf – na ja, bis auf den Geschäftsmann, der mich nur böse anstarrte, aber ich hatte eben nicht bemerkt, dass er telefonierte. Das Geschäft war nicht gerade günstig, aber ich brauchte dringend neue Trainingssachen, und mit Hilfe der Verkäuferin fand ich nicht nur einige gute Sachen, sondern sprach irgendwann ganz ungezwungen Englisch. Anschließend schlenderte ich noch ein wenig an den Theatern vorbei, traute mich aber nicht, mich weit von Piccadilly zu entfernen; ohne Liams Hilfe wollte ich mich nicht allzu weit in die Stadt vorwagen. Allerdings schloss ich Piccadilly Circus sofort ins Herz – der Platz war belebt und jugendlich und öffentliche Bühne für jeden aufstrebenden Künstler. Bevor es nach Hause ging, stattete ich dem riesigen Souvenirladen einen Besuch ab – alles, was halbwegs britisch war auf zwei Etagen – und erstand eine Teedose (natürlich!). Den Rückweg meisterte ich ebenso gut wie den Hinweg, wenn auch immer noch etwas nervös, ob ich auch die richtige Bahn erwischt hätte. Trotz meines mehrstündigen Ausfluges waren weder Liam noch seine Eltern daheim, also nutzte ich die Gelegenheit, um an meiner Stimme zu arbeiten und einige Songs aus Love never dies zu proben. Dadurch bemerkte ich nicht, dass Liams Mutter wieder da war – als sie an die Türe klopfte, war ich überrascht, wie spät es über meine Übungen geworden war.
„Ich möchte nicht stören“, sagte sie.
„Oh, nein, nein, schon in Ordnung“, erwiderte ich. „Ich wollte eigentlich gar nicht so viel machen.“ Ich räumte meine Textblätter zusammen.
„Möchtest du auf einen Tee runter kommen?“, fragte Ilene, und ich dachte, das sei eine gute Gelegenheit, sie besser kennen zu lernen, also folgte ich ihr in die Küche. Während das Wasser kochte, erkundigte sie sich nach meinem Tag; ich erzählte mir von meiner Einkaufstour.
„Ja, London ist groß – ich schätze, nicht mal ich kenne alle Ecken!“, lachte sie und reichte mir eine Tasse. „Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. – Hast du nicht einmal in Berlin gewohnt?“
„Ja, aber das kann man mit London kaum vergleichen, denke ich.“
Wir tranken eine Weile schweigend unseren Tee, und es war sehr gemütlich Irgendwann schien die Sonne warm auf meinen Rücken.
„Die nächsten Tage soll es sehr heiß werden“, sagte Ilene. „Ich weiß, dass ihr kaum Zeit haben werdet, aber ihr solltet das Wetter unbedingt für gemeinsame Aktivitäten nutzen.“
„Ja, Liam hat schon einiges vorgeschlagen“, sagte ich. Wir unterhielten uns dann über Liam und mich, ganz ungezwungen, und schließlich kreiste das Gespräch immer wieder um unsere und besonders mein bevorstehendes Engagement. Ilene zeigte mir einige Computerausdrucke von Wohnungsangeboten, in die wir uns vertieften, und so saßen wir immer noch und spekulierten über günstige Wohnlagen, als Liam und Harold gemeinsam Heim kamen.
„Nein, wie schön“, sagte Ilene, „Vater und Sohn gemeinsam von der Arbeit. Hat der Papi dich abgeholt?“ Sie wuschelte ihrem Sohn durch die Haare. Ich grinste, als Liam genervt „Mum!“, murmelte und verlegen in meine Richtung sah. „Wollen wir ins Wohnzimmer?“, fragte er, und ich stellte rasch meine Tasse weg und folgte ihm rasch.
„Und, wie war’s?“, fragte ich gespannt. Liam strahlte. „Es war toll!“, sagte er. „Ich hatte ein neues Semester, waren wir eigentlich auch so tollpatschig im Tanzen am Anfang?“
„Na, du bestimmt nicht, Adonis“, brummte ich. „Noch was?“
„Gesangsstunden habe ich gegeben, Einzelunterricht. Es hat Spaß gemacht, irgendwie hat es sich nicht angefühlt, als ob ich Lehrer wäre. – Übrigens habe ich eine Kollegin, die jemanden kennt, die Gesangsunterricht gibt. Wir brauchen ja ein wenig Training, ich zumindest…“
„Gute Idee“, sagte ich, „aber ich warte erst mal ab, wie es bei den Proben läuft.“
„Bist du schon aufgeregt?“, fragte er feixend – weil ich immer übernervös war.
„Diesmal nicht“, gab ich zu, „irgendwie gar nicht. Kommt bestimmt noch.“
„Bestimmt. – Was hältst du davon, wenn wir am Wochenende nach Notting Hill fahren? Das Wetter…“
„…soll ganz unbritisch werden, ja. Gern!“

Die restlichen Tage der Arbeitswoche verbrachte ich nach dem gleichen Schema: ich stand auf, wenn das Haus leer war, frühstückte gemütlich und setzte mich auf den Balkon, auch wenn er ein bisschen staubig war. Dort lernte ich Texte oder übte drinnen für mich. Bis Ilene nach Hause kam, ging ich einkaufen, schlenderte durch die nächste Umgebung oder beantwortete E-Mails; wenn sie da war, plauderten wir oder kochten zusammen. Ilene war nicht nur eine sehr gute, sondern auch eine geduldige Köchin, und sie schaffte es, mir allerlei beizubringen, ohne dass ich es sofort wieder vergaß. Bis Liam nach Hause kam, las ich oder machte nützliche Besorgungen wie einen Besuch beim Frisör oder – mit Ilene als unterstützende Begleitung – bei meinem neuen Hausarzt. Abends saßen wir gemeinsam im Pub, ich lernte Liams Freunde kennen, die alle sehr laut und derb waren, aber eigentlich sympathisch und vor allem sehr herzlich. Sie begrüßten mich mit Schulter- oder Handschlag, als wäre ich eine alte Bekannte, machten ein paar anzügliche Witze, parodierten Opernsänger und tranken sehr gern Bier. Überhaupt waren alle, die ich kennen lernte, locker und freundlich, das gefiel mir. Als ich zum Frisör kam, machte mir eine der wartenden Frauen aus heiterem Himmel ein Kompliment für meine Bluse, und als ich mich beim Warten auf den Bus durch meinen Akzent als Ausländerin entlarvte, hatte eine ältere Dame allerlei hilfreiche Tipps für mich. Und als ich Samstagabend im Bett lag, erschöpft vom langen Marsch über den verwunschenen Portobello Road Market in Notting Hill, hatte ich ein warmes Gefühl im Magen, das ich so schon lange nicht gespürt hatte.
Das letzte Mal, so meinte ich, hatte ich es gefühlt, als ich nach einem langen Schultag zurück in die WG gekommen war und froh war, Zuhause zu sein.
Was ich rette, geht zu Grund
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 12.07.2016, 16:11:12

Ein sehr schöner Teil! :)
Es passiert nichts aufregendes, aber doch so viel - vor allem für Anouk. Es hört sich toll an. Ich stell mir bei den ganzen Beschreibungen irgendwie immer das einzige englische Haus vor, das ich kenne, nämlich das meiner Gastfamilie von einem 10-tägigen Austausch in der 7. Klasse. Es ist so lange her, aber irgendwie muss ich daran denken, nur weil das ganze jetzt in England spielt.
Ich freu mich sehr für Anouk, dass sie nach so kurzer Zeit hat, angekommen zu sein und dass sie sich mit Liams Mutter so gut versteht. Ich hoffe, dass Love never dies jetzt nicht zur Katastrophe wird... Ich traue dem Frieden nicht, aber ich hoffe, er bleibt noch ein wenig!! Bitte bald weiter.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 12.07.2016, 18:16:09

Der neue Teil gefällt mir! Limas Eltern (v.a.die Mutter) möchte man ja am liebsten knuddeln :) - und irgendwie bekomme ich jetzt total Lust, nach England zu fahren...^^
Is this the real life, is this just fantasy...

The air is humming, and something great is coming!


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