Inhalt: Elphaba versteht die Welt nicht mehr, als sie bemerkt, dass sie für Galinda womöglich mehr empfindet...
Genre: Romanze/Drama
Rating: P12 Slash
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Als Elphaba an diesem Abend die Bibliothek von Shizz verließ, war das Licht auf dem Flur schon gelöscht worden, sodass sie sich vorsichtig durch die Gänge schleichen musste. Zwar fiel durch die hohen Glasfenster ein wenig Mondschein, welcher die Marmorfliesen erhellte, jedoch reichte es der jungen Frau gerade, um sich nicht irgendwo zu stoßen.
Auf die Bücher in ihrem Arm hatte sie lange warten müssen, da die übereifrige Erstsemester Shenaja einige von ihnen die letzten Wochen in ihrem Zimmer gebunkert hatte, um sich ein wenig höheres Wissen anzueignen. Bei dem Gedanken, ein Erstsemester würde sich an Viertsemester-Magie versuchen, brach Elphaba kurzzeitig in schallendes Gelächter aus.
Noch als sie abbog, um den Bibliotheksteil des Gebäudes zu verlassen, und die große Uhr passierte, kreisten ihre Gedanken um die studierende Shenaja. Sie kicherte leise vor sich hin. Natürlich kannte sie den anfänglichen Eifer, dem sie selbst einst erlegen war, doch dieses Mädchen war irgendwie noch kurioser anzusehen als alle anderen Studenten dieses Stadiums. Wie konnte jemand bloß derart übereifrig sein und dann auch noch so viel Erfolg erwarten?
Schon allein um die Fachbegriffe zu verstehen, hätte Shenaja weitere fünf Bücher ausleihen müssen, da ebendiese Werke die Grundlage für das vierte Semester waren. Wie konnte jemand sich nur so überschätzen und dann auch noch erwarten, damit Erfolg zu haben?
Elphaba sah schon voraus, dass das arme Mädchen bald auf die Nase fallen würde. Wie Galinda damals, noch bevor sie die Hilfe ihrer Zimmergenossin angenommen hatte und schließlich zeigen konnte, dass sie mehr als nur ein verwöhntes Blondchen war. Mittlerweile hatten es die beiden geschafft, Galindas Noten in Geschichte und Philozogie rapide zu steigern.
Elphaba seufzte, als eine verdrängte Erinnerung in ihr hochstieg. Einmal, in einem leisen Moment des schulischen Erfolgs hatte das adelige Mädchen ihrer Freundin „Danke“ gesagt. Dann hatten sie einander umarmt, was als ein wirklich seltener Moment in dieser damals noch sehr frischen Freundschaft gewesen war.
Das grüne Mädchen blieb kurz stehen. Ihr Herz begann heftig zu pochen, als sie an diesen Lernabend mit Galinda dachte. Diese Umarmung war zu jenem Zeitpunkt das Schönste gewesen, was ihr jemals passiert war. Nie zuvor hatte ihr jemand derart viel Zuneigung geschenkt.
In ihrer Familie war sie immer das klassische Aschenputtel gewesen. Von den Eltern mit Argwohn betrachtet und von der Schwester lediglich mit Scham bedacht, war es ihr zu Hause nie gut ergangen. Galinda, so oberflächlich sie sich zu Beginn gezeigt hatte, konnte ihr das geben, was ihr in ihrem ganzen Leben bisher gefehlt hatte: Geborgenheit. Sicherheit. Liebe.
Elphabas Atem setzte kurz aus. Liebe?
War diese wachsende Zuneigung zu ihrer Zimmergenossin wirklich Liebe oder nur ein krampfhaftes Festhalten an der einzig freundlichen Person in ihrem Leben?
Sie konnte es sich selbst nicht beantworten; nicht einmal kritisch analysieren konnte sie ihre Situation, obwohl sie das ständig tat, um ein Problem zu lösen.
Gedankenverloren setzte sie ihren Weg fort. Ob sie wohl mit Galinda darüber reden konnte? Schließlich waren sie gute, wenn nicht sogar beste Freundinnen. Und Freundinnen, so heißt es, können miteinander über alles reden. Aber zählten solche Gefühle auch dazu?
Wenn ja, wie sollte sie ein Gespräch darüber beginnen?
Unsicher blickte Elphaba im Vorbeigehen aus dem Fenster in die Abenddämmerung. Wie romantisch wäre es doch, sich einen solchen Himmel gemeinsam anzusehen! Galinda hatte einen ausgeprägten Sinn für Romantik, sicherlich würde es ihr ähnlich gut gefallen.
Leise schlich sie die große Steintreppe hinunter. In der Ferne erklangen die eiligen Schritte einer anderen Person. Wer anders konnte jetzt noch umherwandern? Hastig erhöhte sie ihr Tempo. Eine Mahnung von Madame Akaber konnte sie in dieser Gefühlslage absolut nicht gebrauchen. Ausgerechnet zur Bettruhe durch die Schule schleichen wurde schließlich nicht besonders gerne gesehen. Als Elphaba den Wohnkorridor erreicht hatte, gab sie einen erleichterten Seufzer von sich. Offenbar hatte das Wesen auf der Treppe eine andere Etage angepeilt und war ihr nicht gefolgt. Atemlos schritt das grüne Mädchen an den vielen Türen vorbei, bis sie endlich vor dem eigenen Zimmer stand.
"Puls steigt, Herz flirrt..." schoss es ihr urplötzlich durch den Kopf. Was, wenn Galinda über ihre Gefühle bereits Bescheid wusste? Wenn sie schon vorher unbewusst gezeigt hatte, was sich in ihrem Herzen verbarg?
Nachdenklich betrat sie das abgedunkelte Zimmer. Im ersten Moment dachte Elphaba, ihre Zimmergenossin hätte sich schon schlafen gelegt, doch dann entdeckte sie, dass die beiden Nachttischlampen brannten. Als sie erkannte, dass Galinda nicht auf ihrem eigenen Bett saß, erschrak die Grüne heftig.
„Was… machst du da?“ fragte sie und starrte das blonde Mädchen an. In ihren Händen hielt das andere Mädchen das grüne Fläschchen, welches einst Elphabas Mutter gehört hatte! Das einzige, was von ihr geblieben war! Galinda erwiderte nichts, sondern blickte ihre Freundin perplex an. Ohne eine Regung, ohne jegliche Reaktion.
„Du weißt ganz genau, was es mir bedeutet!“. Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter und aufgeregter. Wütend rannte sie auf das Bett zu und entriss das grüne Behältnis den Händen Galindas. Das Einzige, was jetzt in ihrem Kopf herumschwirrte, war der Gedanke, ihre Freundin könnte etwas getrunken haben. „Hast du… etwas davon genommen?!“.
Wie angewurzelt saß sie noch immer auf Elphabas Bett. Ihre blonden Locken schwangen sanft hin und her, als sie ihren Kopf schüttelte. Der gedimmte Schein der Lampen verliehen ihren Haaren einen himmlischen Glanz, welcher ihr Gegenüber erneut in ein Gefühlschaos stürzte.
Langsam streckte sie ihre Hand aus, um die vor Aufregung geröteten Wangen zu berühren, doch mitten in der Bewegung brach sie ab. Sie spürte, dass es noch nicht der richtige Moment war, um von Problemen der sexuellen Orientierung zu sprechen.
„Elphie…?“ flüsterte Galinda besorgt und stand vom Bett auf. „Elphie, du bist ja ganz blass! Geht es dir nicht gut? Möchtest du was trinken?“. Doch nun war es das grüne Mädchen, welches nicht reagierte. Beinahe traurig blickte sie ihre Zimmergenossin an.
„Du kannst mir alles sagen, das weißt du doch!“.
Elphaba fühlte, wie heiße Tränen in ihr aufstiegen, als sie Galinda das sagen hörte.
Wirklich alles?
Ohne die Hoffnung, einen vernünftigen Satz herauszubringen, ließ sie sich auf das Bett fallen, griff nach dem Stofftuch, das sie immer bei sich trug und wischte sich eilig über die Wangen. „Irgendetwas stimmt nicht mit dir, das sehe ich dir doch an!“. Keine Reaktion. „Elphaba, sprich doch mit mir, ich möchte dir helfen! Hat es etwas mit deiner Mutter zu tun?“.
Galinda setzte sich neben ihre Freundin und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass du das Fläschchen unter deinem Kissen lassen willst, aber…“.
„Nein.“ Brachte Elphaba leise hervor. „Was?“-„Nein, es… hat nichts mit Mutter zu tun.“.
Das blonde Mädchen lächelte seufzend. „Was ist denn los?“. Vorsichtig strich sie der weinenden jungen Frau neben sich über das Haar. Diese zuckte kurz zusammen, als sie die zärtlichen Berührungen wahrnahm. Es wirkte alles so unreal auf sie.
„Ich mag dich!“ sagte Elphaba tonlos, doch Galinda kicherte. „Ich weiß Elphie, sonst wären wir wohl auch kaum Freundinnen, oder?“.
Das Licht begann zu flackern und beide befürchteten einen weiteren Zauberanfall, doch dazu kam es glücklicherweise nicht. „Du bist einzigartig…Du verstehst mich und nimmst mich genau so, wie ich bin. Du erträgst meine furchtbaren Launen und bringst mich auf den Boden der Tatsachen zurück, sollte ich mich mal aufregen…“ begann Elphaba.
„Freundinnen“ Lächelte Galinda. Sie nahm die grüne Hand, um diese zu streicheln. Ihre blasse Haut fühlte sich zärtlich und warm auf der ihrer Zimmergenossin an. „Freundinnen sind so zueinander. Sie stellen keine Bedingungen oder spielen der anderen etwas vor. Und Freundinnen können einander alles erzählen, Elphie! Also, was hast du auf dem Herzen?“
„Puls steigt, Herz flirrt…“ sang eine leise Stimme in Elphabas Kopf erneut.
„Elphie, hörst du mich?“
"Plötzlich sprachlos..."
„Du bist wieder so blass!“
"Und verwirrt..."
Elphaba saß nur weinend da und starrte ins Leere. Sie zitterte unter dem emotionalen Leid, welches ihr Herz in zwei Hälften reißen wollte. Doch plötzlich spürte sie den warmen Atems Galinda an ihrem Gesicht, als jene ein Stück näher kam und dem grünen Mädchen einen Wangenkuss gab.
Ihr wurde schwindelig, das Zimmer schien sich langsam aufzulösen.
Mittlerweile nahm sie alles nur noch als entferntes Szenario wahr, als würde sie gar nicht selbst auf dem Bett sitzen. Elphaba zitterte nur stärker, als Galinda ihr wieder übers Haar strich.
"Elphaba..."
Die Stimme klang nur noch wie das ferne Echo eines verzweifelten Rufes. Verwirrt stieß sie sich von dem Bett ab, doch kaum hatte sie einen Fuß auf den Boden gesetzt, verließen Elphaba die Kräfte und ihr wurde schwarz vor Augen.