Life still goes on

Eure musicalischen Stories oder Fanfictions könnt ihr hier posten.

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Coco

Life still goes on

Beitragvon Coco » 04.01.2009, 16:21:51

So, habe mich entschlossen, doch mal etwas von mir zu posten. Es ist in der Hinsicht etwas Besonderes, als das es etwas ganz persönliches ist. Auch wenn die Figur keinen Namen hat.
Die Geschichte ist eine Hausaufgabe, von unserem Gesangslehrer. Jeder Jahrgang sollte eine Geschichte aus seinem Leben schreiben und die Personen umbenenen, oder namenlos lassen. Alles hat sich also ganz genau so abgespielt.
Hoffe es gefällt euch =)



Danke fürs Betalesen Babsi. Bin froh das ich dich hab *knuffel*


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Life still goes on...


Bewegungslos saß sie auf ihrem Stuhl in der Klasse und starrte die Wand an. Wie durch Watte drangen die Worte des Lehrers an ihr Ohr, den Sinn verstand sie nicht. Für sie hörte es sich an, wie das leise Rauschen eines Flusses. Ja, das würde es sein. Sprudelndes Wasser, das all ihre Gedanken und Gefühle mit sich trug, bis sie leer war. Vollkommen leer.
Sie stellte sich vor, dass sie irgendwo an einem wunderschönen Ort war. Irgendwo am Meer, in einem sonnigen Land, wo sie unbeschwert das Leben genießen konnte. Fast schon konnte sie die wärmende Sonne auf ihrer Haut spüren und die salzhaltige Luft riechen und schmecken. Möwen zeichneten sich am wolkenlosen Himmel ab. Das hier war die Realität, das andere war sicher nur ein ganz normaler Albtraum, versuchte sie sich verzweifelt einzureden. Das alles war nicht wirklich passiert...
Das Klingeln der Schulglocke riss sie jedoch wieder zurück in die grausame Wirklichkeit des grauen Novembertages. Die Schüler um sie herum jubelten, dass der lange Schultag endlich vorbei war, aber sie wäre gerne noch länger hier geblieben. Die Wände hier beschützten sie vor der Außenwelt. Hier konnte sie einfach sitzen und sich in eine andere Welt flüchten, nur um nicht mit der kalten Grausamkeit des echten Lebens konfrontiert zu werden.
Mechanisch stand sie auf, ließ sich von ihren Füßen, neben ihren Freundinnen her, zur Bushaltestelle tragen. Sie wollte nicht nach Hause. Dort würde sie alles doppelt und dreifach einholen. Sie wollte einfach nur weg, weit weg von hier.
Mit leerem Blick starrte sie auf die Felder, die am Fenster vorbeizogen, während der Bus durch die Dörfer fuhr. Immer näher brachte er sie an ihr Zuhause.
Das Bild vor ihrem Auge verschwamm, veränderte sich und sie sah das freundliche Gesicht ihrer Oma vor sich. Ihr ganzes bisheriges Leben hatte sie sie begleitet. Hatte auf sie aufgepasst, wenn ihre Eltern arbeiten mussten. Hatte ihr gezeigt, wie man kochte, bügelte, die Waschmaschine bediente. Und all das sollte nicht mehr sein?
„Kopf hoch... Wir sehen uns morgen wieder“, riss die leise Stimme von Anne sie aus ihren Gedanken. Sofort verblasste das Bild und wurde von den Feldern der Realität abgelöst. Sie nickte leicht, brachte aber keinen Abschiedsgruß über ihre Lippen. Alles war wie betäubt. Mit den Augen verfolgte sie einen Regentropfen, der langsam an der Scheibe des Busses hinablief, bis er auf dem Boden zerplatzen würde. Ja, auch ihre bisherige heile Welt war an diesem Morgen zerplatzt, als ihre Mutter den Raum betreten hatte. Sie hatte sofort gewusst, dass etwas Schlimmes passiert war. Ihr Unterbewusstsein hatte es schon geahnt, als sie in der Nacht aufgewacht war. Sie hatte sich schlecht gefühlt. Etwas hatte an ihrem Inneren genagt und einen bitteren Beigeschmack hinterlassen, als sie wieder eingeschlafen war.
Und jetzt wusste sie es. Jetzt hatte sie die Gewissheit. Sie würde ihre Großmutter nicht mehr wiedersehen. Würde nicht mehr mit ihr backen. Würde ihre Stimme niemals wieder hören können. Würde die Schritte in der Wohnung über ihnen nicht mehr hören. Das Leben ihrer Großmutter existierte in dieser Welt nicht mehr. Ausgelöscht! Von einer Sekunde auf die andere.
Wieder fragte sie sich, was nach dem Tod wohl auf einen warten würde. Würde man einfach in ein schwarzes Nichts fallen? Oder wurde man dort wirklich von diesem weißen Licht empfangen, von dem so viele Menschen sprachen. Würde man auch weiterhin ein Bewusstsein haben, oder würde gar nichts mehr existieren? Würde man einfach ganz plötzlich aufhören zu fühlen, als wäre man niemals auf dieser Welt gewesen?

Eine Woche war vergangen. Eine Woche, in der ihr Leben nicht mehr so gewesen war, wie früher. Sie war ganz normal zur Schule gefahren, war nachmittags im Stall bei ihrem Pferd gewesen und hatte alle Aufgaben gewissenhaft erledigt. Sie hatte versucht, das Leben einfach so weiterzuleben, als wäre nie etwas geschehen, aber der Tag der Beerdigung und somit die Gewissheit, dass etwas in ihrem Leben für immer fehlen würde, rückten mit jeder Stunde näher.
Am Tage der Beerdigung war sie wieder so betäubt, wie am ersten Tag in der Schule. Die Worte des Pfarrers brannten sich trotz allem tief in ihr Gedächtnis. Es waren schöne Worte. Worte über das Leben ihrer Großmutter von Kindesbeinen an. Es gab zahlreiche Stellen, an denen sich ein Lächeln auf ihr Gesicht schlich und sie sich gerne erinnerte. Sie und ihr Bruder hatten darauf bestanden, dass das Jahr der 'Oh-Weihnachten' mit einbezogen wurde. Was hatten sie damals gelacht. Den ganzen Abend hatte ihre Großmutter nur in 'Achs' und 'Ohs' gesprochen. Bei jedem Geschenk, das sie auspackte, wurde ein lautes 'Oh' ausgestoßen. Und auch heute, in der Kirche, musste sie grinsen, als der Pfarrer diesen Tag ansprach. Ja, sie hatte wunderschöne Jahre mit ihrer Großmutter erlebt, die ihr niemand nehmen konnte.
Eine einzelne kleine Träne lief ihr über die Wange. Wütend wischte sie diese fort. Sie wollte nicht weinen. Ihre Großmutter hätte das nicht gewollt.

Auf dem Weg zum Friedhof dachte sie daran, wie ihre Großmutter ihr noch wenige Tage vor ihrem Tod gezeigt hatte, wie man ein Hemd aufhängt, ohne das es Falten schlägt. Hatte sie an diesem Tag schon geahnt, dass sie bald nicht mehr sein würde? Hatte sie ihrer Enkeltochter deshalb an diesem Tag noch zahlreiche Ratschläge gegeben? Hatte sie sie deshalb immer wieder eines der Hemden aufhängen lassen?
Sie grinste leicht, als sie an das Ergebnis dachte. Ihre Hemden hätten, nachdem sie getrocknet waren, wahrscheinlich ausgesehen, wie der neuesten Mode entsprechend in Crinkle-Optik. Aber ihre Großmutter hatte unermüdlich Ratschläge gegeben, bis das letzte Hemd endlich so hing, dass es keine Falten schlagen würde.
„Du kümmerst dich doch um deinen Großvater, oder?“, hatte sie danach zu ihr gesagt. Natürlich hatte sie genickt. Schließlich liebte sie ihren Großvater genauso, wie ihre Großmutter. Aber sie hatte sich keine Gedanken darum gemacht, warum ihre Großmutter gerade jetzt davon sprach. Wie hätte sie wohl reagiert, wenn sie gewusst hätte, dass ihr nur noch wenige gemeinsame Tage mit ihrer Großmutter blieben? Sie konnte es nicht sagen...

Der Rest der Beerdigung verging wieder wie im Traum, aus dem sie erst ein paar Tage später wieder erwachte. Sie hatte die Schule schleifen lassen, hatte nicht auf ihre Freunde reagiert, hatte höchstens Streit mit ihnen gesucht, bis alle nur noch genervt von ihr waren. Natürlich verstanden sie alle ihre Freundin, aber sie hatten trotz allem keine Lust, sich nur von ihr anzicken zu lassen. Der einzige Lichtblick in dieser Zeit, waren die wenigen Stunden im Stall bei ihrem Pferd. Zwar ließ sie auch dort das Dressurtraining, dass der Wallach so dringend benötigte, schleifen und ritt stattdessen aus, aber sie war abgelenkt und konnte wenigstens für eine absehbare Zeit in eine andere Welt eintauchen.

Wieder einmal streifte sie alleine mit ihrem Fuchswallach durch den Wald und beschwerte sich bei ihm über ihre Freunde. Wollte sie denn keiner verstehen, oder war sie wirklich so schlimm, wie sie es heute gesagt bekommen hatte? Stieß sie wirklich allen absichtlich vor den Kopf?
Nachdenklich zügelte sie den Wallach und ließ ihn ein wenig Gras rupfen, während sie nachdachte. Was hätte ihre Großmutter jetzt wohl gesagt? Mit einigen Tränen in die Augen schaute sie nach oben in den dichten Blätterwald, als plötzlich ein einzelner goldener Lichtstrahl durch die Wolkendecke brach und auf ihr Gesicht fiel. Sie lächelte leicht und schloss für einen Moment die Augen.
Ja, ihre Großmutter hätte nicht gewollt, dass sie ihretwegen mit ihren Freuden stritt und sich hängen ließ. Sie musste das Leben anpacken und so nehmen wie es kam. Trotz aller Schläge hatte es auch immer wieder wunderschöne Dinge parat, die sie nur erleben musste.
Mit neuem Mut gab sie sich kurz darauf dem Wind hin, der ihr ins Gesicht schlug, als sie mit ihrem Wallach durch den Wald galoppierte.
Wie sangen Queen doch in einem ihrer Lieder? 'Life still goes on'. Und auch ihr Leben würde weitergehen. Die Erinnerung an ihre Großmutter würde ihr niemand nehmen können und so würde sie trotzdem noch irgendwie weiterleben, auch wenn sie sie nicht sehen konnte.

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Re: Life still goes on

Beitragvon Sisi Silberträne » 04.01.2009, 16:26:22

Bitte gern, bei so tollen Geschichten doch immer =)

Das hast du wirlich schön geschrieben, sehr berührend, man kann sich auch als Außenstehender so in die Figur hinein fühlen, ganz einfach weil man merkt, dass es auf realen Erfahrungen beruht *sob*
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Re: Life still goes on

Beitragvon Gaefa » 04.01.2009, 17:56:24

Wirklich eine schöne, rührende Geschichte. Man kann sich komplett in die Situation reinversetzen und fühlt mit ihr mit. Echt toll geschrieben!!
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Re: Life still goes on

Beitragvon Heldin » 04.01.2009, 18:24:36

Wirklich eine tolle Geschichte! Da ich inzwischen im letzten Jahr auch zwei Menschen durch den Tod verloren habe, ist es auch sehr leicht sich in die Person hineinzuversetzen, dass wäre es ansonsten aber auch! =)

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Re: Life still goes on

Beitragvon Coco » 05.01.2009, 23:53:41

Vielen Dank ihr drei =)

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Re: Life still goes on

Beitragvon Mary » 06.01.2009, 14:03:41

Ich find die Geschichte echt toll geschrieben! Du umschreibst und beschreibst die Dinge so schön! Toll!
Jetzt ist der Wirsing aber am dampfen!

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Re: Life still goes on

Beitragvon Kitti » 06.01.2009, 17:51:36

Ich kann mich nur anschließen. Die Story berührt durch ihre lebensnahen Beschreibungen und ich kann ebenfalls an einigen Stellen nur zu gut verstehen, warum die Person so fühlt. *knuffel*
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