Stille

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Sisi Silberträne
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Stille

Beitragvon Sisi Silberträne » 05.01.2008, 23:40:05

Diese werdet ihr teils schon kennen, sie ist leider mit einigen anderen älteren Themen verschwunden, darum poste ich sie noch einmal. Hoffe ihr habt nix dagegen ^^

Inhalt: Kurzgeschichte aus der Sicht einer Musicaldarstellerin. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind wie immer rein zufällig und nicht beabsichtigt ^^

Genre: Tragik gewürzt mit Silent

Disclaimer: es werden keinerlei Namen genannt, also alles meins *hrhr*

Dedication: für Coco und Amadé, inspirierende Gesprächspartnerinnen, treue Betaleserinnen und einfach liebe Menschen *knuddel*

~~~~~~~~~~


Stille

von Sisi


Stürmischer Applaus und begeisterte Rufe erfüllen das Theater. Die Lautstärke hebt sich noch etwas, als ich mich zu meinen schon auf der Bühne stehenden Kollegen geselle, um mich zu verbeugen. Es war eine großartige Vorstellung diesen Abend, und wir alle hatten wie immer viel Freude daran auf der Bühne unser Können unter Beweis zu stellen. Trotzdem bin ich froh, als ich mich endlich in die Ruhe der Garderobe zurück ziehen kann. Wirklich still ist es aber auch hier nicht. Meine Kolleginnen, die sich den Raum mit mir teilen, plaudern in sichtlicher Hochstimmung. Ich folge der Unterhaltung nicht. Um zumindest den Eindruck zu erwecken, ich wüsste worüber sie sprechen, gebe ich nur ab und zu ein tonloses ‚ja’ oder ‚hm’ von mir, wenn ich meinen Namen höre.

Mit jedem Stück vom Kostüm, das ich ablege, streife ich auch meine Rolle ab, bis der Spiegel mir nur noch eine Frau mittleren Alters in Jeans und einem dunkelroten Strickpulli zeigt, deren graue Augen seltsam glanzlos wirken. Nach dem Eindrehen für die Perücke ist mein dichtes braunes Haar im aufgelösten Zustand so wirr, sodass ich es eine Weile hartnäckig mit der Bürste bearbeiten muss. Irgendwann gelange ich zu dem Entschluss, dass es nicht mehr besser wird, schnappe mir meinen Mantel und meine Tasche und mache mich auf den Weg zum Ausgang. Noch bevor ich die Tür ins Freie erreiche, höre ich das Stimmengewirr der draußen wartenden Fans. Ich seufze leise. Eigentlich will ich nur noch ins Bett.

Als das erste Mitglied der wartenden Schar an mich heran tritt, setze ich mein gewohntes Lächeln auf. So wollen sie mich alle sehen. Die Meisten wollen nur ein Autogramm, ein paar auch ein gemeinsames Foto. Vor fast fünfzehn Jahren spielte ich meine erste große Rolle. Vielleicht die Rolle meines Lebens, die die Leute später untrennbar mit meinem Namen verbinden sollten. Ich war nur eine junge Frau, die es in die Fremde verschlagen, und die eine große Chance bekommen hatte. Den ganzen Wirbel verstand ich damals noch nicht. Doch mit der Zeit war er ein Teil meines Seins geworden. Meistens ist es auch eine sehr schöne Sache. Diese mir unbekannten Gesichter freuen sich, wenn ich für sie meinen Namen schreibe auf was immer sie mir geben. Autogrammkarten, große Fotos, Programmhefte, CDs.

Manche von den Gesichtern kenne ich inzwischen. Das sind die, die immer wieder kommen, nur um mich zu sehen. Die, die mich in ihrem Stammbuch unterschreiben lassen und mir kleine Geschenke mitbringen. Auch jetzt sind wieder ein paar von diesen Fans da, und ehe ich mich versehe, sind wir in eine Unterhaltung verstrickt. Heute kann ich ihnen aber genauso wenig folgen wie zuvor meinen Kolleginnen. Ich versuche mein Bestes jedem die passende Antwort zu geben und dabei gut gelaunt zu wirken. Ob sie wohl bemerken, dass mein Lächeln dieses Mal nur Fassade ist? Vielleicht glauben sie mich zu kennen, doch wissen sie nicht, wie es in mir wirklich aussieht. Sie nehmen nur das wahr, was ich bereit bin ihnen zu zeigen.

Es dauert eine Weile, bis ich schließlich meinen Weg allein fortsetzen kann. Mein Auto parkt nur eine Gasse weiter. Obwohl sich niemand in der Nähe befindet, höre ich im Kopf immer noch das Stimmengemurmel der wartenden Fans. Ich versuche nicht daran zu denken, setze mich hinter das Steuer und drehe den Zündschlüssel um. Der Motor tuckert kurz, dann stirbt er wieder ab. Dies wiederholt sich noch vier Mal. Verärgert stoße ich einen Fluch aus. Auch das noch! Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich anders auf den Heimweg zu machen. Es sind nur ein paar Stationen mit der U-Bahn, doch beim Gedanken an die vielen Menschen im Zug wird mir seltsam zumute. Dort herrschen wieder nur Lärm und Hektik. Ich entschließe mich dazu, einfach zu Fuß zu gehen. Mit jedem Schritt lasse ich das Theater und meine Rolle weiter hinter mir.

Regentropfen beginnen auf mein Gesicht zu fallen. Der dunkle Himmel über mir ist von schwarzen Wolken verhangen, kein einziger Stern vermag sie zu durchdringen. Bisher ist mir das noch nicht aufgefallen, ich war zu sehr in Gedanken. Aber nun werden die Tropfen rasch dichter, jeder wie ein eisiger Nadelstich, bis es in Strömen gießt. Ich renne nicht, wozu auch? Die Hälfte des Weges habe ich noch vor mir, wenn ich daheim ankomme, werde ich ohnehin nass bis auf die Knochen sein. Der Regen ist eiskalt auf meiner Haut und mein Haar hängt feucht und schwer herab. Trotzdem beschleunige ich meine Schritte kein bisschen. Zu Hause erwartet mich nichts, das dies lohnen würde. Nur leere dunkle Räume. Es gibt niemanden, der auf mich wartet, und der mich mit einem Kuss begrüßt, wenn ich zur Tür herein komme.

Nach etwa einer halben Stunde bin ich endlich im Trockenen und steige die Treppen zu meiner Wohnung hinauf. Drinnen schmeiße ich meine Tasche in die Ecke, ziehe Jacke und Schuhe aus, ohne wirklich darauf zu achten, dass alles seinen Platz erreicht. Halbherzig werfe ich im Vorbeigehen einen Blick in den kleinen Spiegel im Vorraum. Mein eigenes Gesicht erschreckt mich. Durch den Regen ist das Make-up verlaufen. Wie schmal und müde ich aussehe. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr ich immer noch vor Kälte zittere. Während dampfend heißes Wasser in die Badewanne läuft, schäle ich mich aus der völlig durchnässten Kleidung, bis das einzige was ich noch am Körper trage meine Lieblingskette ist.

Tag für Tag habe ich so viele Menschen um mich herum, und doch bin ich im Grunde allein. Ich will gewiss nicht undankbar sein, im Leben habe ich einiges erreicht mit dem ich sehr zufrieden sein kann. Aber was nützt das, wenn es niemanden gibt, der dieses Glück mit mir teilt? Genauso wenig, wie ich jemanden habe, dem ich meine Sorgen und Ängste anzuvertrauen vermag. Meine Kolleginnen reden oft über ihre Familien, Mann, Kinder, und es ist nicht schwer zu erkennen, wie glücklich sie sind. Tief in meinem Inneren beneide ich sie sehr darum. Vielleicht ist es ausgleichende Gerechtigkeit. Damals vor fünfzehn Jahren verwehrte ich meinem Kind das Leben, weil mir meine Karriere wichtiger war. Und jetzt da ich mir nichts sehnlicher wünsche als eine zweite Chance, ist es wahrscheinlich schon zu spät, ich werde nicht jünger.

Das warme Wasser weckt meine Lebensgeister wieder ein wenig. Lange schaffe ich es jedoch nicht in der Wanne zu verweilen, sodass der Inhalt halb ausgekühlt unter lautem Plätschern und Glucksen abfließt. Ich höre das Tappen meiner bloßen Füße auf dem Boden, und das Surren des Eiskastens in der Küche. Mein Nachbar sieht wieder einmal viel zu laut fern. Das Schnattern der Fans vorm Bühneneingang hallt in meinem Kopf. Es ist hier genauso wenig ruhig, wie anderswo. Etwa in der Garderobe im Theater. Selbst in meinen Träumen nicht. Nur ein bisschen Stille, das ist alles was ich im Augenblick will. Als ich in mein Nachthemd schlüpfe, fällt mein Blick auf die flache Packung, die auf der Kommode liegt.

Langsam ergreife ich sie und drücke eine kleine weiße Tablette heraus. Anfangs hat das genügt, aber mittlerweile brauche ich zwei. Oder vielleicht besser drei, damit es wirklich still wird. Rasch schlucke ich sie mit etwas Wasser, sie schmecken entsetzlich bitter. Ich lege mich aufs Bett, schließe die Augen. Meine Glieder werden schwer, ich erwarte die Dunkelheit, die sich über mich senkt. Doch etwas ist anders. Ich sehe mich selbst, wie ich regungslos und blass daliege. Dann wird es ruhig um mich herum. Bevor mich endlose Schwärze überschwemmt, begreife ich plötzlich, dass diese Stille ewig ist. Mein letzter Gedanke gilt jenen, die mich heute so bewundern. Werden sie sich in ein paar Jahren noch an mich erinnern?
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Beitragvon Coco » 05.01.2008, 23:44:43

:cry: :cry: :cry: Du bist so grausam Babsi :cry: :cry: :cry:

Kenne die Story zwar schon, aber trotzdem *sfz* Wirklich schön geschrieben *snief*

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Beitragvon Heldin » 05.01.2008, 23:50:16

Ja, wirklich toll!!
Ist da alles erfunden?

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Beitragvon Sisi Silberträne » 05.01.2008, 23:52:54

Ja, frei meiner Drama-Queen-Phantasie entsprungen ;)
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Beitragvon Elphaba » 06.01.2008, 02:14:47

*schnüff* Wirklich sehr schön und ergreifend (sorry, blödes Wort, ich weiß) geschrieben Sisi!

Wirklich wunderschön! :)
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Beitragvon ChristineDaae » 06.01.2008, 13:02:45

Oh, schon wieder eine so traurige Geschichte... :cry: *schnief*
Aber wirklich toll geschrieben Sisi! :)
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Beitragvon Gaefa » 06.01.2008, 13:03:47

Eine sehr traurige Geschichte! :(
Aber ich kann mich nur anschließen, wirklich sehr sehr schön geschrieben. Man kann sich genau in sie hereinversetzen und wird somit auch nachdenklich und ein wenig traurig.
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Beitragvon Kitti » 06.01.2008, 13:31:46

Ich kenne die Story auch schon, aber halte deine düsteren Ideen durchaus für realistisch. Wunderbar geschrieben!
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