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Es ist eine kleine Geschichte, aus der Sicht einer Familienangehörigen einer (Fast-)Musicaldarstellerin. Ich weiß nicht, besonders gelungen ist sie vielleicht nicht, aber vielleicht gefällt sie euch ja trotzdem.
![Embarassed :oops:](./images/smilies/icon_redface.gif)
Ich bin es nicht
Eigentlich wollte ich am liebsten gar nicht mitgehen. Es würde ja doch wieder auf das Gleiche wie immer hinauslaufen: Jede menge Menschen, die dich nicht kennen und denen als einzige Frage einfällt: „Was machen Sie denn so? Studieren sie? Oder machen sie etwas anderes?“
Darauf kann ich eigentlich nur mit „nichts“ antworten, denn ich mache ja auch nichts. Ich bin als Mitglied dieser Gesellschaft - das muss ich leider zugeben - ziemlich nutzlos. Ich hangele mich von einer Therapie zur nächsten und versuche mein Leben in den Griff zu kriegen. Aber das kann ich natürlich nicht sagen. Statt dessen schiebe ich - wie immer- mein „Pseudo-Studium“ vor und dass ich noch nicht weiß, was ich danach mal machen will. Nicht aufregend, aber immerhin nichts Verwerfliches. Mit meiner Schwester, dem angehenden Musical-Star, kann ich mich natürlich nicht messen. Nicht nur, dass sie überall, vor allem in ihrer Ausbildung, nur Lorbeeren erntet und offenbar schon jetzt der „Star“ an ihrer Schule ist (zugegeben, sie ist auch wirklich gut!), nein, sie ist auch noch wunderschön! Schlank und grazil mit kastanienbraunen Haaren und großen blauen Augen mit langen Wimpern.
Ich dagegen bin pummelig, klein mit undefinierbarer Augen- und Haarfarbe um nicht zu sagen: Ein kleines fettes Schweinchen.
Naja, man hat mich schon immer versucht mit den Worten zu trösten: „Dafür hast du die Intelligenz deines Vaters geerbt!“ Na toll!!! Ehrlich gesagt hätte ich darauf gut verzichten können, wobei ich noch nicht mal finde, dass meine Schwester weniger intelligent ist. Was hätte ich (soweit ich mich erinnern kann schon immer) dafür gegeben, einmal so zu sein wie meine Schwester! Aber es war eben schon immer so: Sie kommt nach meiner Mutter und ich nach meinem Vater, was leider auch das Äußerliche mit einschließt. Nicht dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht! Ich liebe meinen Vater. Wirklich! Aber so zu sein wie er… Das ist noch was anderes. Besonders in einer Welt wo eben mehr auf die Äußeren Werte geachtet wird. Da möchte man doch als junge Frau nicht unbedingt nach einem ziemlich korpulenten Mann mit Vollbart geraten sein…
Eine Zeit lang war ich auch mal schlank, um nicht zu sagen dünn. Da habe ich mir eingebildet, auf diese Weise an meine schöne Schwester herankommen zu können. Aber das ging auch nach hinten los. Und schön war ich da weiß Gott auch nicht! Aber lassen wir das besser…
Also, ich gehe natürlich doch mit. Das könnte ich meinem Vater ja auch nicht antun, bei seiner Pensionierungsfeier nicht anwesend zu sein. Also lächle ich gequält, ziehe einen unförmigen schwarzen Hosenanzug an (Wer hat mal behauptet, dass Schwarz schlank macht?! Naja, bei mir hilft das wohl auch schon nix mehr…) und mache mich zusammen mit meiner Familie auf den Weg zur Schule, an der mein Vater bisher unterrichtet hat.
Er hat sich schon so lange auf seinen „großen Tag“ gefreut und alles genau geplant. Das will ich ihm natürlich auf keinen Fall verderben. Meine Schwester soll, als ein Höhepunkt des Abends, ein paar Lieder singen. Klar, ihre Stimme ist, seit sie ihre Ausbildung macht, noch um einiges besser geworden als sie ohnehin schon war. Ich finde sie großartig! Ganz ehrlich! Mir hat mein Vater (wohl als „Trost“ damit ich auch was machen darf) die Aufgabe zugedacht, ich solle die Veranstaltung mit seiner Kamera filmen. Eigentlich bin ich ganz froh darüber. So kann ich mich wenigstens vor den unangenehmen Fragen nach meiner jetzigen Tätigkeit hinter meiner Kamera verstecken. Plötzlich muss ich an Mark Cohen aus „RENT“ denken, der sich auch hinter seiner Kamera verschanzt, um ja niemanden merken zu lassen, was in ihm wirklich vorgeht. Ein kurzes Lächeln huscht über mein Gesicht.
In der Schule angekommen bereiten wir alles vor, ich installiere meine Kamera und dann kommen auch schon die ersten Gäste und die Feier beginnt. Es wird gegessen, Reden werden gehalten und ich halte alles auf Band fest.
Die Strategie, sich hinter dem Objektiv zu verstecken, klappt eigentlich ganz gut, aber zwischendurch muss ich doch mal Pause machen, weil ja nicht immer etwas Interessantes passiert und ich mir auch irgendwann etwas zu Essen holen muss. Sonst wäre mein Vater enttäuscht. Also werde ich doch angesprochen…
Es ist fast schon grotesk, dass meine Gespräche mit den Gästen meines Vaters (zumeist seine Kollegen) fast alle gleich ablaufen: „Ach und Sie sind die Tochter? Sind Sie das, die etwas mit Musical macht?“ „Nein, das ist meine Schwester. Die steht da drüben.“ – „Ach, und Sie sind die angehende Musicaldarstellerin?“ „Nein, nein. Das ist meine Schwester. Da vorne ist sie!“ – „ Und Sie werden uns nachher noch etwas vorsingen?“ „Nein ich bin die Andere. Meine Schwester…“ – „Sind Sie das, die Musical stu…“ „Nein, das bin ich nicht. Sie meinen meine Schwester…“ …Und immer schön lächeln!... Danach erkundigen sie sich dann noch höflich nach meiner Tätigkeit (also eigentlich nichts) um anschließend schnell in Richtung meiner schönen Schwester zu steuern.
Schnell wieder zurück hinter meine Kamera! Puh! Ich entspanne mich wieder etwas. Ich überlege, wann wohl der richtige Zeitpunkt wäre, meinem Vater mein Bild zu überreichen, das ich im Nebenraum versteckt habe. Ich hatte mir das so gedacht: Wenn ich schon nicht singen oder sonst etwas tolles kann, so wollte ich doch wenigstens etwas vorbringen können und hatte mit viel mühe ein Portrait von meinem Vater mit Aquarellfarben gemalt (naja, es war nur von einem Foto abgeguckt, aber ich war einigermaßen zufrieden damit und fand, dass es in dem silbernen Rahmen schon etwas hermachte). Ich wollte ein paar Worte dazu sagen und es vor allen Leuten meinem Vater überreichen. Quasi als „Gegengewicht“ zur Darbietung meiner Schwester. Ja, so hatte ich mir das gedacht.
Da unterbricht mein Vater meine Überlegungen und kündigt stolz an, dass seine jüngere Tochter, die ja zur Zeit fern der Heimat eine Musicaldarsteller-Ausbildung mache und extra eingeflogen wäre, nun ein paar Lieder vortragen werde.
Und da steht sie, meine kleine, große Schwester (sie überragt mich um fast 20 Zentimeter!) in einem schicken, figurbetonten schwarzen Kleid mit ihren langen Beinen, auf hohen schicken Schuhen und nimmt das Mikrophon in die Hand. Und dann singt sie. Und wie sie singt! Wirklich toll! Ich bin richtig stolz auf meine kleine, große Schwester.
Und wirklich: Auch wenn es vielleicht nicht so scheint: Ich liebe sie von ganzem Herzen! Sie kann ja nichts dafür, dass ich so eifersüchtig auf sie bin!
Zuerst ein paar Musical-Songs und schließlich noch „One Moment in Time“ welches sie, wie sie vorher sagt, ganz allein ihrem lieben Papa widmet… Tosender Beifall. Meine Eltern haben Tränen der Rührung in den Augen. Ich halte natürlich alles auf Band fest!
Die Feier geht weiter und meine Schwester wird von allen Seiten zu ihrem tollen Auftritt beglückwünscht. Auch ich schließe mich da natürlich nicht aus.
Später, als es wieder etwas ruhiger ist, spreche ich mit ihr und sage, dass ich vor hätte, vielleicht noch mein Bild für meinen Vater zu überreichen. „Super!“ sagt sie. Dann kann ich ja gleich mein Bild mit überreichen!“
Ich schaue sie einen Moment lang verdutzt an. „Welches Bild denn?“ frage ich. „Naja, ich hab da so eine Collage aus Fotos gemacht und eingerahmt.“
„Ja, ähm, mal sehen, ob sich nachher eine Gelegenheit ergibt… Vielleicht gebe ich es ihm auch doch erst später…Mal sehen…“ Plötzlich hatte ich irgendwie keine Lust mehr, mein Bild öffentlich zu überreichen…
Etwas geknickt gehe ich zurück zu meiner Kamera. Na gut, denke ich, was musst du auch einen eigenen „Auftritt“ haben? Gibst du ihm eben dein Bild in Ruhe nach der Feier. Zu deiner Schwester kannst du ja sagen, es hat sich eben keine passende Gelegenheit ergeben…
Es werden noch so einige Reden gehalten an diesem Abend und es wird viel gelacht. Ich selbst kann mir nicht wirklich erklären, warum ich die ganze Zeit einen Kloß im Hals habe…
Weit nach Mitternacht sind schließlich auch die letzten Gäste gegangen und wir räumen das „zweckentfremdete“ Lehrerzimmer wieder auf.
Nachdem wir damit fertig sind, atme ich einmal tief durch, und gehe in den Nebenraum, um das Bild zu holen. Meine Schwester folgt mir. Auch sie hat, wie ich erst jetzt bemerke, eine Plastiktüte im Nebenraum deponiert. Aus dieser holt sie nun einen riesengroßen Bilderrahmen (etwa die vierfache Größe von meinem) heraus. Neugierig gucke ich, was sie da wohl gebastelt hat… Wow! Das Bild ist echt der Hammer! Eine Zusammenstellung von unzähligen Fotos, die das große Bild bis in die kleinste Lücke ausfüllen. Alle zeigen sie meine Schwester in einem schicken schwarzen Tanz-Dress, in den verschiedensten Ballett- und anderen anmutigen Haltungen. Sie „schwebt“ durch den Raum, sie verbiegt ihre grazilen Glieder, ihr schönes Haar wirbelt herum, sie schaut keck in den Spiegel, sie singt, sie tanzt, sie…
Oh Mann, sie ist wirklich wunderhübsch!
Staunend betrachte ich ihr Werk. Sie lächelt. „Die Fotos hat Michael alle neulich mit mir bei uns im Ballettsaal gemacht!“
„Toll!“ Mehr bringe ich in dem Moment nicht heraus.
„Kommst du?“ fragt sie mich und steuert zur Tür.
„Ja…ich komm gleich…geh schon mal vor…“ sage ich.
Sie geht zurück ins Lehrerzimmer zu unseren Eltern. Ich hole meinen Rahmen aus der Plastiktüte, öffne ihn und nehme das Bild heraus.
Dann zerreiße ich es.
- ENDE -