Das andere Gesicht

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Das andere Gesicht

Beitragvon Sisi Silberträne » 27.11.2007, 01:48:15

Inhalt: Ein Ficlet und ein bisschen eine Songfic zu "Am Fluss", so eine wollte ich schon lang schreiben. Zwei Stunden bekommt man auf der Bühne ein fröhliches Gesicht zu sehen, aber was wenn es nur eine Fassade ist? Ich habe mich an einer etwas anderen Erzählweise versucht, hoffentlich sagt es euch zu.

Genre: Drama, Drama und noch mehr Drama

Disckaimer: Es werden keine Namen genannt, folglich alles meins! *hrhr*

Dedication: Für Coco, Kitti und Sascia, kurz den Drama-Queens Club

~~~~~~~~~~


Das andere Gesicht

von Sisi


Es ist nur ein kleiner Saal, vielleicht dreihundert Leute finden Platz, und einige Reihen sind frei, aber das ändert nichts an der Stimmung. Die ist immer großartig, wenn sie auf der Bühne steht. Ich muss es wissen, schließlich bin ich oft bei ihren Konzerten, wann immer ich es einrichten kann. Damals als ich ein Mädchen gewesen war, hatte sie mich im großen Musicaltheater beeindruckt, vom ersten Moment an, indem sie ins Scheinwerferlicht und in mein Leben getreten war. Strahlend schön. Mit einer Stimme, die mich bis heute, nun da ich eine junge erwachsene Frau bin, nicht losgelassen hat.

Wieder einmal gehen zwei Stunden viel zu schnell vorbei, während sie ausgelassen auf der Bühne singt und tanzt. Sie ist immer so fröhlich. Zusammen mit den anderen verlasse ich den Saal. Draußen im Foyer haben sich schon einige Fans um den Tisch geschart, an dem sie nun in Kürze Autogramme geben würde. Ich geselle mich dazu und wartee. Nach etwa zehn Minuten kommt sie, ihr leuchtend rotes Bühnenoutfit bereits gegen Hose und Shirt in erdig matten Farben getauscht. Sie geht an mir vorbei, mittlerweile kennt sie mich, und lächelt mir zu.

Nachdem alle ihre Autogramme haben, natürlich auch ich, verlässt sie ihren Platz hinter dem Tisch. Sie geht zum Buffet, um sich ein Getränk zu kaufen. Mit ihrem Wasserglas stellt sie sich an einen der Tische. Allein. Ab und zu nähert sich einer, der noch kein Autogramm hat, oder ihr etwas sagen möchte. Auf der Bühne war sie noch so fröhlich, doch nun wirkt sie nicht mehr besonders glücklich. Ich überlege hinüber zu gehen. Doch was kann ich ihr schon sagen?

Nach einer halben Stunde etwa nimmt sie sich ihre blaue Winterjacke, um zu gehen. Die noch Anwesenden nehmen über ihrem Geplauder kaum Notiz davon.
„Bis in zwei Wochen bei der Gala“, sage ich leise zu ihr, als sie erneut an mir vorbei kommt. Sie hält inne, sieht mich an und nickt. Doch sie wirkt seltsam abwesend. Ein Blick auf die Uhr hält mich vom Nachdenken ab. Ich werde den Zug zurück in die Stadt verpassen!

Hastig eile ich durch die nächtlichen Straßen, doch ich erreiche den Bahnhof zu spät. Der nächste Zug fährt erst in zwanzig Minuten, mir bleibt nichts anderes übrig als in der Kälte zu warten. Glücklicherweise gehe ich niemals ohne meinen MP3-Player aus dem Haus, so kann ich die Zeit mit Musik ein wenig verkürzen. Natürlich höre ich an diesem Abend nur ihre Lieder.

Zur vereisten Brücke, wo ich stehe,
dringt des Flusses leise Melodie.
Aus den Wellen ruft mich eine Stimme.
„Komm doch zu mir“, so murmelt sie.


Endlich kommt der Zug. Drinnen ist es schön warm, ich setzte mich und lausche weiterhin der Musik, während vor dem Fenster schattenhafte Häuser und Bäume vorbei ziehen. Meine Pechsträne endet damit jedoch noch nicht, denn wenn ich endlich in der Stadt ankomme, wird die letzte U-Bahn schon weg sein. Nein, die Uhr war noch nie mein bester Freund.

Von der Bahnstation habe ich es nicht allzu weit nach Hause, in einer halben Stunde schaffe ich es auch zu Fuß. Bald erreiche ich den Fluss. Um diese Zeit sind nur vereinzelte Autos unterwegs, sodass ich das leise Rauschen des Wassers hören kann. Milchig weiß spiegelt sich der Mond auf der glatten Oberfläche, er war erst in der letzten Nacht voll. Ich beschleunige meine Schritte, mir ist kalt. Krampfhaft denke ich an den hellen warmen Saal zurück, an ihre Stimme und ihr Gesicht.

Urplötzlich entdecke ich kaum drei Meter von mir entfernt eine Gestalt, die am Geländer der Brücke lehnt und die dunkle Tiefe hinab blickt. Offenbar ist sie vollkommen in ihre Gedanken versunken, sie nimmt keine Notiz von mir, als ich mich nähere. Sie trägt eine blaue Jacke. Dann erkenne ich in dieser schmalen Frau, deren ganze Haltung unsagbar traurig wirkt, die gleiche, die noch vor nicht allzu langer Zeit auf der Bühne so fröhlich zu sein schien.

„Lass mich deinen kalten Weg begleiten.
Finde deinen Trost in meinem Lauf.
Komm zu mir und sei meine Gefährtin.
Wir werden eins, geh in mir auf.“


Vorsichtig trete ich noch näher an sie heran, ich möchte sie auf keinen Fall erschrecken. Sie ist im Begriff über das metallene Geländer hinweg zu klettern. Ich habe keine Ahnung was ich unternehmen soll, mit aller Kraft versuche ich einen klaren Kopf zu bewahren.
„Tu das bitte nicht…“, sage ich schließlich.
Sie dreht sich um, sieht mich an. Auf ihren Wangen glitzern feuchte Tränen. Sie erkennt mich. „Nenn mir einen Grund…“
In mir zieht sich etwas zusammen. Wie verzweifelt sie wirkt, als hätte sie bereits mit allem abgeschlossen. Ja, wahrscheinlich hatte sie bereits gleich nach dem Konzert vor hierher zu kommen, vielleicht schon davor, oder wer weiß wie lange. Deshalb diese eigenartige Reaktion auf die Erwähnung jener Gala. Sie hatte nicht vor, dort noch aufzutreten.

„Es gibt doch so viel Schönes jeden Tag“, antworte ich ihr, etwas Besseres fällt mir nicht ein. „Sei es nur Vogelgezwitscher frühmorgens, oder die Farben eines schönen Sonnenuntergangs…“
„Das ist doch alles bedeutungslos… mein Kind ist tot. Wofür soll ich noch leben? Meine letzte Chance ist vorbei.“ Sie wendet sich ab und will über das Geländer steigen. Was soll ich bloß tun? Bevor sie das Übergewicht nach vorne bekommt, stürze ich zu ihr, packe sie um die viel zu schmale Taille und ziehe sie zurück. Beide landen wir auf dem kalten Asphalt.

„Sieh nur wie die Flocken auf mir schmelzen,
und versinken in die Dunkelheit.
Wag den Schritt und komm zu mir, mein Liebling.
In meinem Arm schweigt alles Leid.“


Sie richtet sich abrupt auf, sieht mich an, als wäre sie gerade aus einer Trance erwacht. „Du… du hast mir das Leben gerettet“, murmelt sie. „Ich habe nicht erwartet, dass mich einer davon abhält es zu Ende zu bringen… Es würde doch erst jemandem auffallen, wenn ich nicht zu den Proben für die verdammte Gala erscheine.“
„Das glaube ich nicht… was ist mit deiner Familie, deinen Eltern? Und deinem Freund?“ Ich beiße mir auf die Zunge, weil ich mich dunkel daran erinnere gerüchteweise gehört zu haben, dass sie sich kürzlich von ihm getrennt hatte.
„Er hat mich sitzen lassen… Er wollte keine Kinder. Ich hätte es auch ohne ihn bekommen, aber nun ist es zu spät, viel zu spät.“ Tränen treten ihr wieder in die Augen, sie schluchzt.
Bemüht energisch schüttle ich den Kopf. „Es ist nie zu spät! Irgendwo da draußen ist der Mann, den du suchst. Denk doch an das Kind, das du noch bekommen kannst… Wenn du es jetzt beendest, verwehrst du ihm die Chance, dich als Mutter zu haben.“ Ich weiß nicht, was ich ihr noch sagen soll, darum lege ich vorsichtig die Arme um sie. Ihr schmaler Körper zittert so.

Ich habe keinen Begriff davon, wie lange wir so auf dem kalten Boden kauern. Sie weint leise, aber ich spüre wie sie langsam ruhiger wird. Habe ich es geschafft sie von ihrem schrecklichen Vorhaben abzubringen? Ich hoffe es. Als sie mich nach einer Weile wieder ansieht, gebe ich ihr ein Taschentuch. Dieses verweinte Gesicht hat kaum mehr etwas gemein mit der starken Frau, die ich schon als Mädchen so bewundert habe, und die ich vor ein paar Stunden noch auf der Bühne sehen konnte.

Schließlich helfe ich ihr auf die Beine, sie wirkt noch wackelig. Das wundert mich nicht, auch meine Knie fühlen sich weich an. Während wir endlich die Brücke verlassen, schweigt sie. Es sind keine Worte nötig, ich weiß auch so, dass es mir gelungen ist, sie wachzurütteln. Die lockende Stimme des Flusses ist verstummt. Die Wege des Schicksals sind unergründlich. Es war ein Ärgernis den letzten Zug zu verpassen, aber vielleicht geschah das nur aus dem einen Grund, um ihr auf der Brücke zu begegnen. Eines wissen wir beide. Jede von uns hat in dieser Nacht eine Freundin gewonnen.
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Beitragvon Carrie2401 » 27.11.2007, 07:22:43

Hallo Sisi,

deine Story ist eine wirklich tolle Idee, es hat unheimlich viel Spaß gemacht sie zu lesen.
Eine Frage habe ich allerdings: Die Darstellerin sagt:
...mein Kind ist tot
und die Ich-Erzählerin
Denk doch an das Kind, das du noch bekommen kannst… Wenn du es jetzt beendest, verwehrst du ihm die Chance, dich als Mutter zu haben.
Den Zusammenhang habe ich nicht genau verstanden.

Großes Lob, tolle Geschichte

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Beitragvon Sisi Silberträne » 27.11.2007, 11:01:03

Will heißen, dass sie ihre letzte Chance noch nicht vertan hat (auch wenn sie es glaubt) ...
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Beitragvon Kitti » 27.11.2007, 12:04:37

Oh, wie schön, ein ganz neues Werk von meiner Drama-Kollegin! :D Danke für die kleine Widmung. :wink: Wieder finde ich deine Story sehr gelungen, düster, aber schön geschrieben. Die Songtexte passen sehr gut in den Verlauf der Handlung und die Ich-Perspektive finde ich auch sehr interessant!! :)

Der Schnee und das Hinabstarren in die Tiefe erinnert mich aber ein bisschen an den Anfang von meiner FF. *g*

Edi: Ach ja, den Titel find ich klasse! :)
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Beitragvon Coco » 27.11.2007, 15:20:48

*sich geehrt fühlt :oops: *

Muss Kitti in alle ihren Punkten zustimmen.
Hast du wieder super geschrieben. Die ganze Stimmung wird toll rübergebracht. Lief alles wie ein Film vor mir ab :)
Finds super, dass du mal aus einer anderen Perspektive geschrieben hast :D

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Beitragvon ChristineDaae » 27.11.2007, 15:39:03

Ich finde deine neue Geschichte auch total toll. Sehr traurig geschrieben, aber so denkt man auch mal daran, dass das Leben von Musicalstars nicht immer nur aus Glitzer und Glamour besteh. Gefällt mir sehr gut! :D
Freue dich, wenn es regnet – wenn du dich nicht freust, regnet es auch.
(Karl Valentin)


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Beitragvon Heldin » 27.11.2007, 16:12:31

Die Geschichte ist wirklich gut :)

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Beitragvon Carrie2401 » 27.11.2007, 17:11:39

Sisi, jetzt hab ich es verstanden. Hatte am Anfang gelesen "das Kind, dass du bekommen hast" :oops:

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Beitragvon June » 27.11.2007, 17:26:13

So, jetzt habe ich endlich auch mal etwas von dir gelesen. :D
Die Idee ist richtig gut, gefällt mir. :D

Nur irgendwas hat mich beim Lesen von Anfang an gestört, wusste erst gar nicht so genau was mich stört...du schreibst in der Präsentsform, was für mich ungewohnt ist und mich persönlich beim Lesen stört...
auf der andren Seite kann ich Coco nur zustimmen, es ist unheimlich mitreißend geschrieben.Man hat wirklich richtige Bilder im Kopf! Toll, ich liebe es, wenn Leute so schreiben, dass ich automatisch Bilder dazu im Kopf habe!!!
Doch immer, wenn ich nach dem Leben greif,
spür ich, wie es zerbricht.
Ich will die Welt verstehen und alles wissen,
und kenn mich selber nicht.

Doch die wahre Macht, die uns regiert,
ist die schändliche, unendliche, verzehrende,
zerstörende und ewig unstillbare Gier.

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Beitragvon Sisi Silberträne » 27.11.2007, 17:45:06

Kitti + Coco> danke, Fellow-Drama-Queens *knutscha* :D

Christine + Pia> danke auch euch fürs Lesen und reviewen!

Carrie> *lach* Verleser sollen vorkommen ;)

June> die Erzählweise war auch eher nur ein Experiment, ich schreibe sonst nie in der Gegenwart. Aber bei der Story bin ich irgendwie wie von selbst dazu übergegangen.
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