Wieder mal eine Fortsetzung Viel Spaß
Die hier ist für Elektra, weil sie meine Geschichten immer liest und kommentiert und weil sie auch tolle Geschichten schreibt, bei denen sie unbedingt weitermachen muss
6. Kapitel
»Wie – wir wissen es nicht?«, fragte Christine nach und merkte, dass ihre Stimme einen leicht hysterischen Klang angenommen hatte. »Heißt das, wir müssen etwas machen und wissen nicht, was?«
»Genau«, bestätigte Fiyero mit müder Stimme. »Fragen Sie mich nicht, was ich schon alles versucht habe. Nichts hat geholfen...«
Christine lehnte sich im Sessel zurück. Sie fühlte, wie ihr schwindelig wurde. Was, wenn sie nie wieder zurückkehren konnte? Sie dachte an Raoul, an sein zärtliches Lächeln. Hatte sie das wirklich erst gestern gesehen? Es schien Jahre her zu sein.
Sie atmete tief durch. Der klügste Mensch, den sie kannte, war Erik, ihr Lehrer. Ihr Engel. Er wusste für alles eine Lösung, wie unmöglich es auch schien. Sie musste einfach versuchen, wie er zu denken.
»Eine Aufgabe«, sagte sie langsam, die Augen immer noch geschlossen. »Eine Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Vielleicht eine Aufgabe für uns alle, vielleicht aber auch für jeden von uns eine Aufgabe. Es muss doch einen Hinweis geben!« Sie öffnete die Augen und sah in zwei verwunderte Gesichter. »Das ist doch offensichtlich«, fuhr sie fort. »haben Sie beide nie daran gedacht? Irgendetwas muss es sein; ein Hinweis im Buch oder im Musicante oder wie das heißt...«
»Musical«, warf Fiyero mit einem leichten Lächeln ein. »Gut möglich, dass Sie Recht haben. Ich habe schon immer gedacht, dass es eine bestimmte Aufgabe ist; etwas, dass mit uns zu tun hat. Aber so offensichtlich es ist, ich habe nie daran gedacht, direkt im Buch und im Musical zu suchen... Eine gute Idee.«
»Vielleicht müssen wir gar nichts tun«, fuhr Christine langsam fort. Die Idee war ihr gerade gekommen, aber als sie sie aussprach, fühlte es sich an, als hätte sie es schon immer gewusst. »Vielleicht müssen wir nur etwas lernen... Etwas, das für unser Schicksal von Bedeutung ist. Etwas, das wir in unserem Leben in der Wirklichkeit wissen müssen... Vielleicht müssen wir einfach Erfahrungen machen, die wir sonst nicht machen könnten...«
»Könnte sein«, murmelte Anne mehr für sich selbst.
Die drei saßen da; jeder starrte in eine andere Ecke und schien die jeweils anderen beiden nicht mehr wahrzunehmen.
Plötzlich sprang Fiyero auf. »Christine, du bist ein Genie«, strahlte er und drückte die verdutzte Christine fest an sich. »Du hast doch nichts dagegen, dass ich dich duze, oder? Gut«, fuhr er auf Christines verwundertes Kopfschütteln hin fort, »ich dachte schon, ich wäre zu taktlos gewesen. Jedenfalls, was du sagst, klingt plausibel. Ich dachte, wir müssten uns hier einleben oder die Sprache lernen oder sonst was – ich hab alles gemacht, was mir eingefallen ist, und nichts hat geholfen. Aber was liegt näher als das, was du sagst?«
Christine murmelte etwas. Fiyero hielt sie immer noch fest.
»Entschuldige bitte, ich hab dich nicht verstanden«, sagte er gut gelaunt.
»Keine Luft«, presste Christine hervor und Fiyero ließ sie erschrocken los.
»Entschuldige bitte. Aller in Ordnung?«
»Ja, ja«, sagte Christine ungeduldig. »Ich finde, wir sollten uns beeilen. Erst einmal müssen wir herausfinden, was wir lernen müssen, was wir im Musical oder Buch nicht lernen.«
Anne lachte bitter auf. »Da gibt es nur ein paar kleinere Probleme, kaum der rede wert.« Ihre Stimme triefte vor Ironie. »Erstens: Das dürften ein paar Millionen Dinge sein. Zweitens – was vor allem dich betrifft: Vom „Phantom der Oper“ gibt es, soweit ich weiß, acht Verfilmungen, das Musical, das Originalbuch und... mal überlegen... Ach ja: ein paar hundert Bücher à la „Das Leben des Phantoms der Oper“...«
Christine starrte sie entsetzt an. »Ist das dein ernst?«
»Wenn ich es doch sage!«
»Ruhe jetzt«, ging Fiyero dazwischen. »Ich bin dafür, dass wir Listen machen. Wir haben das Buch „Wicked“ hier, das Buch von den „Drei Musketieren“ und das „Phantom der Oper“. Jeder von uns muss die Stelle im Buch markieren, an der er herausgerissen wurde, sodass wir wissen, wer jetzt auf welchem geistigen Stand ist. Dann wird jedem ein Buch des anderen zugeteilt und wir lesen das Buch, um herauszufinden, was diese Leute noch lernen müssen. Alles, was einem einfällt, was übrig bleibt, schreiben wir auf.«
»Das wird eine Menge Arbeit«, erkannte Anne sofort.
»Haben wir eine andere Wahl?«, erwiderte Fiyero wie aus der Pistole geschossen.
»Ja«, entgegnete Anne und sah ihm gerade in die Augen. »Wir bleiben hier.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, entfuhr es Christine. »Hier bleiben? Nie im Leben! Ich will zurück zu Raoul!«
»Und ich will zu Glinda. Sie macht sich sicher Sorgen, wo ich bin«, schloss sich Fiyero an.
Anne seufzte. »Na schön. Also, wer schreibt die Liste für wen?«
»Könnte nicht jeder seine eigene Liste schreiben?«, schlug Christine vor, aber Anne schüttelte den Kopf.
»Die Idee finde ich nicht gut. Woher sollen wir denn etwas aufzuschreiben wissen, was wir erst noch lernen müssen? Das geht nicht.«
»Stimmt auch wieder«, gab Christine zu.
»Ich lese das „Phantom“«, erklärte sich Fiyero bereit.
»Gut«, befand Anne. »Dann wäre der Rest automatisch geklärt – Christine liest die „Musketiere“ und ich „Wicked“.«
Christine teilte schon die Bücher aus, die auf dem Tisch lagen, und suchte nach Papier und Stift, as Fiyero ihre Hand festhielt.
»Bitte nicht mehr heute«, bat er und deutete auf die Uhr. Christine riss erschrocken die Augen auf. Es war schon zwei Uhr nachts!
»Du kannst fürs erste hier schlafen«, erklärte Anne. »Ich habe ein kleines Gästezimmer. Nichts besonderes, aber es müsste reichen...«
Christine nahm dankbar an.
»Gute Nacht«, wünschte Fiyero. »Ich fahr jetzt mal nach Hause. Zum Glück ist jetzt Wochenende, da können wir morgen früh gleich anfangen. Sagen wir, ich bin um elf wieder hier?«
Christine lag noch lange wach und starrte auf die hellen Kringel, die das Mondlicht an die Zimmerdecke malte.
Obwohl es so spät war, konnte sie nicht schlafen. Sie konnte nur an eines denken: Würde sie jemals zurückkehren können? Oder war sie dazu verdammt, für immer an diesem beängstigenden Ort in dieser beängstigenden Zeit zu bleiben?
Sie wünschte sich mit ganzer Seele zurück an den Ort, an dem sie zu Hause war.