Danke, danke...
Na, immer noch so bekannt? Schwitzend und um sich schlagend fuhr Lily in die Höhe. Ihr Herz klopfte wie wild, sie atmete schwer und zitterte am ganzen Körper. Sie benötigte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass sie sich in ihrem Bett befand. Die erschreckend realen Bilder ihres Traumes waren immer noch in ihrem Kopf und sie glaubte Jonas’ hämisches Lachen zu hören. Ihre klammen Finger umfassten den Saum der Bettdecke. Sie, die starke Liliane Friedrich, die das Idol von vielen jungen Mädchen war, die sie am Bühnentürl umschwärmten, und die sie für stark und selbstbewusst hielten, saß zitternd vor Angst in ihrem eigenen Bett. Sie wusste nicht, wozu ihr Exfreund wirklich fähig war, nach seinem Versuch sie zu vergewaltigen. Und das zerrissene Ultraschallbild kam einer Drohung gleich. Warum nur hatte sie nicht einfach auf Konstantin gehört, anstatt immer das Gute in den Menschen sehen zu wollen? Jonas hatte doch vor fünfzehn Jahren schon bewiesen, dass er keine Hemmungen hatte, ihr etwas anzutun.
Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder eines Abends, an dem sie mit den Kollegen noch etwas trinken gegangen war. Es war Konstantins Geburtstag gewesen, nur deshalb war sie mitgekommen. Sie wusste was ihr bevor stand, wenn sie zu spät nach Hause kam und diesmal zeigte die Uhr weit nach Mitternacht, obwohl sie nicht lange geblieben war.
„Wo bist du gewesen??“ knurrte Jonas wütend.
Lily schluckte hart. „Es tut mir leid… Konstantin hatte doch Geburtstag. Wir haben noch etwas getrunken. Sei bitte nicht böse.“
„Nur etwas getrunken, ja klar…“ Er kniff die Augen zusammen. „Du hast dich mit deinem Kollegen ein bisschen vergnügt!“
„Nein, das ist nicht wahr…“ Weiter kam sie nicht, ehe ein wuchtiger Schlag sie gegen die Wand des Zimmers schleuderte. Reflexartig versuchte sie ihr Gesicht mit den Armen vor seinen Angriffen zu schützen, doch sie konnte auch diesmal nicht verhindern, dass er weiterhin auf sie einprügelte und nach ihr trat, als sie bereits am Boden lag. Vor Schmerz wimmend wurde sie an den Haaren wieder auf die Beine gezogen. Jonas packte sie an den Handgelenken und zerrte sie ins Schlafzimmer, zwang sie aufs Bett.
„Lass mich… bitte… hör auf…“, flehte sie, sich angsterfüllt in seiner eisernen Umklammerung windend.
Doch er dachte gar nicht daran, sondern öffnete hastig ihre Hose. „Ach, so ist das! Für den verdammten Schönling machst du die Beine breit wie eine läufige Hündin und mir, deinem Freund, verweigerst du dich.“
„Aber ich habe nicht mit ihm…“ stammelte Lily verzweifelt, während er ihr gierig zwischen die Beine fasste. Sie hatte keine Kraft mehr, um ihn davon abzuhalten, sie mit Gewalt zu nehmen. Es interessierte ihn nicht, dass sie danach mit schmerzendem Leib auf dem Bett liegen blieb, unfähig sich zu bewegen, und sich nur noch wünschte in einen Schlaf zu fallen, aus dem es kein Erwachen gab.
Stumme Tränen liefen ihre Wangen hinab und sie schlang die Arme fest um ihren bebenden Körper. Dieses Ereignis hatte sie all die Jahre verdrängt, doch jetzt durch das, was im Auto beinahe geschehen war, brach alles wieder aus ihr hervor. Sie glaubte fast seine gierigen Hände erneut auf ihrem Körper zu spüren und Übelkeit regte sich in ihr. Obwohl es mitten in der Nacht war, stellte sie sich unter die Dusche. Das heiße Wasser ließ sie sich langsam entspannen.
Merklich ruhiger legte sie sich danach wieder ins Bett, um noch ein bisschen Schlaf zu finden, ehe ein neuer Tag begann. Behutsam glitt ihre Hand über die leichte Wölbung ihres Bauches, die sie unter dem Stoff des Nachthemds deutlich spürte. Auf einmal fühlte sie etwas in ihrem Inneren, eine federleichte Bewegung wie kleine tanzende Luftbläschen. Es war völlig neu und doch wusste sie genau was es war. Zum allerersten Mal spürte sie ihr Baby in sich. Dieses Kind war ein Geschenk und sie würde nicht zulassen, dass Jonas alles zerstörte.
Jetzt wo die Sommerpause angebrochen war, wollte Lily die warme Zeit in vollen Zügen genießen. Sie verabredete sich mit Wolfgang für den kommenden Samstag zum Essen und Tanzen gehen, jetzt hatte sie ja an den Abenden Zeit für Unternehmungen, während der EDV-Techniker unter der Woche tagsüber in seinem Laden arbeitete. Sie trafen sich in der Stadt und suchten sich zunächst ein nettes kleines Restaurant.
„Euer Stück ist wirklich schon aus?“ stellte Wolfgang während des Essens bedauernd fest. „Ich hätte dich gern auf der Bühne gesehen.“
Lily hielt zwischen zwei Bissen ihrer Käsespätzle inne, insgeheim fühlte sie sich geschmeichelt. „Du magst also Theater? Vielleicht hast du im Sommer in Triest noch die Gelegenheit. Wir haben da eine Woche ein Gastspiel vor dem Schloss Miramare. Es ist nur eine Konzertante, ich schätze deswegen wollen sie immer noch, dass ich spiele. Wird bestimmt amüsant aussehen. Sie wollen die neue Besetzung dann erst nach der Sommerpause einführen, das geht mich dann nichts mehr an.“
Der braunhaarige Mann lächelte ein wenig verlegen. „Eigentlich bin ich nicht so der Theatermensch, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Triest hört sich gut an, Benni war noch nie am Meer, er findet das bestimmt großartig!“
„Ja, ganz sicher! Zum ersten Mal das Meer sehen, ist schon etwas Besonderes.“ Sie dachte an den Griechenland-Urlaub damals während der Ausbildung mit ein paar Freunden zurück und es stellte sich heraus, dass auch Wolfgang seine erste Begegnung mit dem Ozean im Land des Tzatzikis und des Rezinas gehabt hatte. Für eine Weile beschränkten sich ihre Gespräche auf die dortigen Erlebnisse, die mitunter recht abenteuerlich gewesen waren.
Später ließen sie den Abend in einer Tanzbar ausklingen. Lily fühlte sich wohl in Wolfgangs Nähe, sie genoss es zu einem langsamen Schmusesong eng umschlungen mit ihm zu tanzen, den Kopf an seine Brust gelehnt. Sein Aftershave roch so gut. Es war weit nach Mitternacht, als sie wieder auf die Straße traten. Es regnete und hatte stark abgekühlt, was ihre erhitzten Gemüter zunächst kaum berührte. Erst als der Guss noch heftiger wurde, stellten sie sich in einem Hauseingang unter.
„So ein blödes Wetter“, lachte Wolfgang. Sie konnten sich beide gut vorstellen, welch amüsanten Anblick sie boten. Zwei im wahrsten Sinne des Wortes begossene Pudel. „Es ist nicht weit zu mir nach Hause, von dort kann ich dich dann mit dem Auto heim fahren.“
Sie willigte ein, doch weil Wolfgang seine Wagenschlüssel nicht dabei hatte, gingen sie zunächst nach oben zu der Wohnung im fünften Stock, in der er mit seinem Sohn lebte. Die Tür quietschte ein wenig und Lily sah sich neugierig um, während der dunkelhaarige Mann eins von Bennis Spielzeugen vom Boden aufsammelte.
„Entschuldige die Unordnung“, murmelte er verlegen.
„Soll das ein Witz sein? Ich finde es wunderschön bei euch.“ Lily lächelte leicht. Hier herrschte genau das Leben, das sie in ihren eigenen vier Wänden immer vermisste. Ihr Blick fiel auf zwei Türen an der hinteren Wand des Wohnbereichs, auf einer davon stand in großen bunten Lettern ‚Benni’.
Wolfgang hielt ihr ebenfalls grinsend die Autoschlüssel unter die Nase. „So, bereit zum Aufbruch. Aber wenn es dir so gut gefällt, kannst du auch gern hier übernachten.“