Vielen Dank für eure lieben Kommis
Als kleines Dankeschön gibts gleich eine extra-lange Fortsetzung.
Ich hoffe, dass sich darin auch einige Fragen beantworten^^
@Kitti: Es hat niemand gesehen, weil es eine Seitenstraße neben dem Theater war... Kam das nicht richtig raus?
An diesem Abend war ich mit meinen Gedanken völlig neben der Spur. In der Vorstellung spulte ich meinen Text automatisch ab, und obwohl ich mir alle Mühe gab, trotzdem in meiner Rolle authentisch zu wirken, sahen Jan und meine anderen Kollegen mich hinter der Bühne mehr als einmal stirnrunzelnd an, weil ich abwesend wirkte. Noch nie in den letzten zwei Jahren hatte ich eine Show als so kräftezehrend empfunden.
Als wir nach der Show zu meinem Auto gingen, sagte Jan nichts, aber ich fühlte seinen prüfenden Blick auf mir ruhen. Unbehaglich wich ich ihm aus und die erste Hälfte der Heimfahrt verging schweigend.
„Deine Yvonne scheint nett zu sein“, sagte ich schließlich; erleichtert, ein unverfängliches Thema gefunden zu haben. „Wird das was Ernstes mit euch?“
Jan runzelte die Stirn, ging dann aber zum Glück auf das Thema ein. „Ich denke schon. Ist natürlich schwer zu sagen, nach den ersten zwei Tagen. Aber wir verstehen uns wirklich gut, sie ist etwas Besonderes. Sicher, sie kann etwas zickig wirken mit ihrem Style, aber im Grunde ist sie ein guter Mensch. Ich glaube, dass sie hinter ihrem vielen Make-up eine große Unsicherheit verbirgt, und wenn man sie etwas aus ihrer Schale herausholt, ist sie sehr liebenswert.“
Ich nickte; das konnte durchaus sein. Ich wollte kein Urteil über sie sprechen, nur weil ich in ihrer Nähe ein ungutes Gefühl hatte. Yvonne konnte nichts für meine Zerstreutheit in den letzten Tagen.
„Aber glaubst du wirklich, dass sie eine gute Schauspielerin werden kann?“, wandte ich ein. „Du weißt doch so gut wie ich, dass man Ausstrahlung nur zu einem sehr geringen Anteil trainieren kann.“ Jan zuckte seufzend mit den Schultern. „Das stimmt wohl. Aber es gibt viele Leute – zu denen gehörst du übrigens auch –, denen man im Alltag ihre Ausstrahlung gar nicht so sehr anmerkt. Erst vor Publikum tritt sie richtig zum Vorschein, und dann ist es einfach umwerfend. Du kannst Menschen auf der Bühne verzaubern“, fuhr er mit einem angedeuteten Lächeln fort, „aber, nichts für ungut – im privaten Leben bist du von deiner Ausstrahlung her ziemlich durchschnittlich. Es sei denn, du legst es darauf an, bemerkt zu werden. Das funktioniert bei dir ein bisschen wie mit einem An-Aus-Schalter.“ Er lächelte verlegen. „Wenn ich ehrlich bin, ich hoffe, dass das bei Yvonne so ähnlich ist.“
Ich schwieg einen Moment; unsicher, was ich zu dieser Erklärung sagen sollte. Zwar wusste ich, dass ich meine eigene Ausstrahlung durch Körperhaltung und eine gewisse Konzentration um ein Vielfaches verstärken konnte. Aber dass ich privat ganz durchschnittlich war, kratzte mein Selbstbewusstsein zugegebenermaßen ziemlich an.
„Du kannst Yvonne ja testen“, erwiderte ich schließlich. „Stell sie auf eine Bühne und schau, ob sich dadurch was ändert.“ Nach einer kurzen Pause fügte ich kläglich hinzu: „Aber bitte sag mir, dass ich im Alltag nicht so bin wie sie!“ Ich sah Jans erschrockene Miene und fuhr fort: „Ich meine, sie ist nett und alles, aber spannend erzählen kann sie wirklich nicht.“
Jan lachte. „Da hast du leider Recht. Und nein, so bist du nicht. Was du erzählst, ist immer sehr interessant.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, grinste ich und hielt an, um Jan aussteigen zu lassen.
„Bis übermorgen?“, fragte ich. Am nächsten Tag hatte ich spielfrei.
Er hob überrascht die Augenbrauen. „Kommst du morgen nicht zu Dianas Geburtstagsparty?“, fragte er verwundert. „Doch!“, erwiderte ich schnell. Die Feier meiner Zweitbesetzung hatte ich völlig vergessen. „Hab grade nicht drangedacht. Also, bis morgen Abend“, lächelte ich. Jan hob die Hand zum Gruß und schloss die Autotür; ich fuhr weiter zu meiner Wohnung.
Dort angekommen schloss ich erleichtert die Tür hinter mir. In letzter Zeit war ich immer froh, nach der Vorstellung meine Ruhe zu haben – vor allem wegen meiner, ähm…
ungewöhnlichen Erlebnisse in den letzten zwei Tagen. Ich hoffte inständig, dass er nicht schon wieder in meiner Wohnung stand; ich musste in Ruhe nachdenken.
In der Küche setzte ich heißes Wasser für eine Kanne Tee auf und suchte im Küchenschrank nach meiner Lieblingstasse.
Kaum zu glauben, dass ich dem Tod begegnet sein sollte. Und der wirklich so aussah wie in dem Musical – so aussehen
konnte, korrigierte ich mich mit einem Schaudern, als ich an heute Nachmittag dachte. Viele seiner Gestalten waren für mich kein schöner Anblick gewesen.
Das Wasser begann zu sieden und ich hängte zwei Beutel meines Lieblingstees (Kirsch-Erdbeere) in eine Kanne.
Ich sollte also eine wiedergeborene Version der Kaiserin Elisabeth sein… Ich dachte an die vielen Biographien, die ich in Vorbereitung auf meine Rolle gelesen hatte. Trotz vieler Spekulationen hatte letztendlich niemand sagen können, wie Elisabeth wirklich gewesen war. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. Ich war lange nicht so geheimnisvoll. Die meisten Menschen wussten sofort, woran sie bei mir waren. Auch ich behielt Privates zwar gern für mich; meine Gefühle verstellte ich jedoch nur auf der Bühne und nicht im wahren Leben.
Das nun kochende Wasser riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaltete den Wasserkocher ab und füllte das heiße Wasser in die Teekanne um. Gedankenverloren zupfte ich an den Teebeuteln herum, sodass sich das Wasser schnell rot färbte und der fruchtige Geruch, den ich so liebte, die Küche erfüllte.
Dennoch… Einige Gemeinsamkeiten hatte ich schon bemerkt zwischen mir und Elisabeth. Der gleiche Name – okay, das war ein witziger Zufall. Gesetzt den Fall, es gäbe Wiedergeburten, trügen die Leute doch bestimmt nicht immer den gleichen Namen wie in ihrem letzten Leben. Sonst hießen vermutlich alle „Kevins“ und „Ambers“ dieser Welt stattdessen „Fitzgerald“ oder „Clothilde“. Ich musste grinsen und schenkte mir eine erste Tasse Tee ein.
Aber wie Kaiserin Elisabeth war auch ich sehr freiheitsliebend. Ich erinnerte mich noch gut, wie sehr ich unter der strengen Privatschule, die ich besuchen musste, gelitten hatte. Wie Elisabeth war auch ich schon immer gern geritten; die Stunden auf dem Pferderücken waren die freiesten in meiner Kindheit und Jugend. Ich schüttelte traurig den Kopf bei den Gedanken, wie lange ich schon nicht mehr im Sattel gesessen hatte. Die Musicalausbildung und die Arbeit auf der Bühne hatten zu viel von meiner Zeit geraubt. Nicht, dass ich es bereute – aber in den letzten Jahren hatte ich einfach andere Prioritäten gehabt.
Ich lächelte versonnen.
Träumen und Gedichte schreiben, oder reiten mit dem Wind… Tatsächlich beschrieben diese Zeilen gut, was ich am liebsten tat. Zwar schrieb ich neben Gedichten auch Kurzgeschichten und Zeitungsartikel – auch wenn diese nicht veröffentlicht wurden –, aber das Hobby des Schreibens hatte ich mir bewahrt.
Ich trank einen ersten Schluck Tee und verzog das Gesicht – er war eindeutig noch zu heiß. Mit einem Stirnrunzeln versuchte ich mich an weitere Details aus Elisabeths Leben zu erinnern.
Aber so sehr ich mich bemühte – ich kam auf keine neuen Ideen mehr. Freiheitsliebe, eine gewisse Sturheit, Reiten, Gedichte, träumen, Suche nach einer eigenen Identität… Ich hatte ihre Rolle schon so lange gespielt, dass ich mich kaum erinnern konnte, welche dieser Charaktereigenschaften wirklich meine waren und welche ich von meiner Rolle übernommen hatte. Und gab es noch weitere Gemeinsamkeiten?
„Du hast ihre Augen“, ertönte eine leise Stimme hinter mir und ich schnellte herum, sodass ich den heißen Tee über meine Hand verschüttete. Mit einem leisen Fluch stellte ich die Tasse ab und griff nach einem Küchentuch.
„Was willst du hier?“, fragte ich. „Hat dir die Gruselvorstellung heute hinter dem Theater noch nicht gereicht? Willst du mich hier noch mehr erschrecken? Was soll das?“
Angesichts meiner bösen Miene hob er amüsiert eine Augenbraue. „Sag bloß, das war so schlimm. In deinem früheren Leben hast du ganz andere Dinge aushalten müssen, Elisabeth.“ „Nennst du mich so, weil ich so hieß, oder weil ich jetzt so heiße?“, sprudelte es aus mir heraus. „Wenn du meinen jetzigen Namen meinst, wäre mir Lia nämlich lieber. Elisabeth klingt so lang und umständlich.“
Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Interessante Frage. Ein bisschen von beidem, glaube ich. Wenn du möchtest, kann ich mich natürlich umgewöhnen, aber ich muss sagen, diese modernen, kurzen Namen gefallen mir nicht sonderlich.“
Ich verdrehte die Augen. „Was soll ich da sagen? Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dich ansprechen soll. ‚Guten Abend, Herr Tod, wie lief denn das Geschäft heute?‘ Das klingt bescheuert.“ Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf.
Zu meiner Überraschung musste er grinsen. „‘Herr Tod‘ klingt doch sehr vornehm. Aber wie wäre es, wenn du dir einen Namen für mich ausdenkst, wenn du unbedingt einen willst? Dein ganzes letztes Leben hast du es geschafft, mich mit gar keinem Namen anzureden.“
Ich runzelte die Stirn. „Im Musical nennt Elisabeth dich einmal ‚schwarzer Prinz‘…“
Er lächelte. „Das klingt sogar gar nicht schlecht; wenn du willst, nenn mich so. Das schmeichelt meinem Ego; auch wenn ich nicht von aristokratischer Abstammung bin.“ Bei den letzten Worten schlich sich leise Ironie in seine Stimme. „Leider hast du das in Wirklichkeit nicht zu mir gesagt. Ein wenig künstlerische Freiheit müssen die Autoren ja haben… Übrigens erscheine ich dir jetzt auch nur in dieser Gestalt, weil das Musical mich so aufgegriffen hat. Früher sah ich anders für dich aus.“
„Wie denn?“, fragte ich neugierig. Seine neue, plötzliche Offenheit überraschte mich zwar, gefiel mir aber deutlich besser als die mysteriösen Andeutungen der letzten Tage.
Aber anscheinend hatte ich zu viel gefragt – er schüttelte nachsichtig den Kopf. „Vielleicht zeige ich es dir eines Tages… Wenn du dich wieder erinnern kannst. Aber für heute sollte ich dich allein lassen. Wir werden uns wiedersehen, Elisabeth – Lia“, korrigierte er sich mit einem kleinen Lächeln.
„Warte!“, rief ich. „Eine Frage habe ich noch.“
Er blieb stehen und sah mich fragend an.
„Warum bist du erst jetzt erschienen?“, fragte ich. „Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Warum hast du mich nicht früher gefunden?“
Er zögerte. Ich sah ihm an, dass er nachdachte; konnte aber nicht sagen, ob er überlegte, wie viel er mir sagte, oder ob er gar nicht antworten würde. Vergeblich versuchte ich, die Antwort in seinem Gesicht zu lesen, und wartete gespannt.
„Ich hatte keinen Anhaltspunkt“, gab er schließlich zu. „Du hättest in jedem Land der Welt wiedergeboren werden können; als Junge oder Mädchen. Es dauert eine Weile, alle Kinder deines Jahrgangs abzusuchen. Ich konnte erst sicher sein, als ich dir in die Augen sah – denn darin erkenne ich deine Seele.“
Er schwieg abrupt, als hätte er zu viel gesagt.
„Gute Nacht. Wir werden uns bald wieder sehen.“
Und bevor ich noch etwas erwidern konnte, war er ein weiteres Mal mit den Schatten der Wände verschmolzen.