Endlich wieder eine Fortsetzung, das lange kreative Tief ist vorbei
Viel Spaß – wenn man das hier wünschen kann...
22. Kapitel
Ich war zurück in der Hofburg und starrte teilnahmslos aus dem Fenster. Ich wusste nicht, wie lange ich schon wieder da war. Die Zeit verging langsam und zäh in immer wieder gleichen Abläufen.
Immer wieder trat Franz zu mir und fragte mich leise, ob ich etwas essen wollte, aber ich lehnte ab. Von den Zimmermädchen ließ ich mich waschen, ankleiden und frisieren und abends legte ich mich ins Bett, wo ich traumlos einschlief.
Ich aß nichts, trank nur wenig und erledigte keine Staatsgeschäfte. Ich ließ die Welt nur über mich ergehen und wartete darauf, dass er wiederkommen und mich mitnehmen würde, damit ich meine kleine Tochter endlich wiedersehen konnte.
Gisela hatte unter meinem Zustand zu leiden. Später erzählte mir Franz, dass sich nur Kindermädchen um sie gekümmert hätten und sie mich in dieser Zeit sehr vermisst hatte, aber in meiner damaligen Verfassung war ich nicht in der Lage, mich um Gisela zu kümmern, die meiner Sophie so ähnlich sah.
Ich war nicht ich selbst. Ich sah mich wie einen fremden Körper, der tat, was andere ihm sagten, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Ich war das, was ich nie hatte sein wollen – eine Marionette.
Eines Tages wurde ich endlich aus meinem Trübsal gerissen. Es war ein Nachmittag, an dem ich – wie in der letzten Zeit immer – am Fenster saß. Das Wetter war wunderschön. Der helle Kies im Hof strahlte förmlich in der Sonne, die Luft war warm und duftete nach den blühenden Rosen, die sich im Park endlich geöffnet hatten. Vögel sangen und die Blätter der vielen Bäume rauschten im Wind.
Ich sah das alles teilnahmslos an. Was kümmerte es mich, wie die Welt aussah? Ohne meine kleine Sophie hatte sie ihren Sinn verloren. Das Einzige, was ich wirklich geliebt hatte, war für immer fort.
Es tat weh, das wundervolle Wetter und die gut gelaunten Menschen zu sehen. Sie waren eine grausame Ironie zu meinem Kummer. Es schien fast, als wäre ich die Einzige, die um meine Tochter trauerte.
Ich fühlte einen Luftzug hinter mir und hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, aber ich drehte mich nicht um. Wozu auch?
»Elisabeth«, ertönte eine leise, klare Stimme. Sie klang sanft und fast unwiderstehlich – fast.
Ich fuhr herum, von einer plötzlichen Wut gepackt.
»Was willst du?« Meine Stimme klang so eiskalt, dass ich beinahe selbst fröstelte, und in seinen unergründlichen Augen zeigte sich Bedauern, aber das konnte mich nicht erweichen.
»Willst du auch noch sehen, was du bei mir angerichtet hast? Musstest du mir das Einzige nehmen, das mir das Leben hier erträglich gemacht hat? Weißt du überhaupt, was du mir damit angetan hast? Sophie war das, was ich auf dieser Welt wirklich geliebt habe, und das weißt du auch. Warum? Warum hast du das getan?«
Er ging wortlos auf mich zu und nahm mich in den Arm. Jetzt erst fiel mir auf, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Ärgerlich wischte ich sie fort und stieß ihn zurück. »Hör auf damit!«
»Elisabeth«, flüsterte er traurig. »Ich habe das nicht getan, um dich zu verletzen. Ihre Zeit war um.«
»Aber meine ist nicht um!«, rief ich heftig. »Das ist es doch, oder? Du willst mich hier so lange quälen, bis ich verrückt werde und freiwillig zu dir komme. Aber verstehst du denn nicht, dass du das schon längst erreicht hattest? Ich wäre mit dir gekommen, wohin auch immer. Ich wäre dir doch bis ans Ende der Welt gefolgt – und noch weiter...«
»Nein, das wärst du nicht«, widersprach er ruhig. »Nicht ohne deine Kinder.«
Ich setzte zu einer Erwiderung an, biss mir dann aber auf die Lippen und schwieg. Er hatte Recht.
»Warum?«, flüsterte ich wieder. »Warum?«
»Ihr Zeit war gekommen«, wiederholte er. »Sie musste gehen.«
»Aber sie war doch noch so jung...«
»Das Alter hat damit nichts zu tun. Deine Tochter ist sehr weise, Elisabeth. Die Menschen gehen aus dieser Welt, wenn sie genug gelernt haben.«
»Was muss ich denn noch lernen?«
Er schwieg lange.
»Das musst du selbst herausfinden«, antwortete er schließlich. »Ich kann es dir nicht sagen.«
»Aber warum?« Langsam hatte ich das Gefühl, kein anderes Wort mehr zu kennen.
»Es ist deine Aufgabe. Wenn ich es dir sage, würdest du es mir ohnehin nicht glauben. Du musst deine eigenen Erfahrungen machen.«
Er seufzte. »Elisabeth... Ich wünsche mir so sehr, du könntest mit mir kommen...«
Langsam wich ich zurück. »Ich werde dir nicht folgen«, erwiderte ich kalt. »Niemals. Du hast einmal gesagt, du kannst mich nicht zwingen. Und freiwillig werde ich nicht mit dir kommen. Nicht, nachdem du mir das angetan hast. Deine Chance ist verwirkt. Geh – und komm nicht wieder.«
Abrupt drehte ich ihm den Rücken zu und sah wieder aus dem Fenster. Eine große Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben und ich sah, wie die Soldaten, die im Hof patrouillierten, die Köpfe vor den ersten Regentropfen einzogen.
Ich sah zu, wie die dicken Tropfen den Kies im Hof dunkel färbten und sich die ersten Pfützen bildeten.
Erst nach einer halben Ewigkeit, wie es mir schien, drehte ich mich wieder um. Er war verschwunden.
Erleichtert wandte ich mich wieder um und öffnete das Fenster. Ich wich überrascht einen Schritt zurück, als mir ein kräftiger Windstoß den Regen entgegenfegte. Ich seufzte. Das Gefühl frischer Luft auf meinem Gesicht hatte ich vermisst. Einem jähen Impuls folgend trat ich nach draußen auf den Balkon, beugte mich über das Geländer nach vorne und ließ mich vom Wind umwehen.
Innerhalb weniger Sekunden war ich bis auf die Haut durchnässt, aber das störte mich nicht. Ich hörte Donnergrollen, aber ich dachte nicht daran, wieder hinein zu gehen.
In Gedanken versunken schloss ich die Augen und fühlte, wie mir das Regenwasser das Gesicht und die Haare hinunter rann.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich um und erwartete, einen besorgten Franz zu sehen, der mich hineinholen wollte. Aber stattdessen blickte ich in Augen, die ich nur zu gut kannte – geheimnisvolle Augen, braun wie flüssiger Honig und so tief, dass man sich nicht in ihnen spiegeln konnte.
Ich wich hastig zurück und stieß mit der Hüfte gegen das Balkongeländer.
»Was machst du hier? Ich habe dir gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!«
»Ich hole dich ab«, erwiderte er ernst.
»Wohin?« Ich drückte mich gegen das Geländer, um möglichst großen Abstand zu ihm zu wahren.
»In meine Welt. Dorthin wirst du jedenfalls kommen, wenn du dich noch weiter über das Geländer lehnst.«
Ich wich trotzdem noch weiter von ihm zurück – und verlor plötzlich das Gleichgewicht. Meine von der Kälte klammen Finger rutschten von dem nassen Geländer ab und ich wäre beinahe abgestürzt – hätte er mich nicht in letzter Sekunde festgehalten und an sich gezogen.
Ich verkrampfte mich, hielt aber still. Das fiel mir ungeahnt schwer, denn als ich so in seinen Armen lag, fühlte ich plötzlich den Wunsch, das Geländer loszulassen und mich einfach fallen zu lassen.
Ich schloss die Augen, entspannte endlich meine Hände, die das Geländer umklammerten – und landete auf meinem Bett.
Verwundert riss ich die Augen auf und sah gerade noch, wie er sich umdrehte und verschwand.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich seine Stimme zu hören; er flüsterte, diesmal sei es für immer.
Dann war alles still.