Schön, eure gemischten Reaktionen zu lesen!
Ich dachte tatsächlich, es kann nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen sein, und auch jemand wie Anouk ist mal zickig, egoistisch etc. Deswegen gibt's jetzt schon den nächsten Teil:
Warum bemerkte man nur erst, wie sehr man jemanden liebte, wenn er fort war – oder wenn man sich vorher auch noch gestritten hatte? Ich lag im Bett, die Decke trotz Wärme bis ans Kinn gezogen, und starrte missmutig an die Decke. Einfach alles war schief gegangen. Heute Morgen hatte ich mich nicht getraut, das Bett zu verlassen und mich zu verabschieden, obwohl Liam sich mit der Abreise Zeit gelassen hatte. Ich schämte mich unendlich, und nach einer trotz allem sehr ausgeruhten Nacht kam ich mir noch dümmer vor als gestern Abend, und als ich Liams Schritte hörte, schloss ich rasch die Augen und stellte mich schlafend. Er blieb kurz im Zimmer und gab keinen Laut von sich, und ich platzte fast vor Neugier – aber um herauszufinden, was er tat, hätte ich meine Deckung aufgeben müssen. Und ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie er auf mich reagieren würde. Dann war er gegangen, die Haustüre hatte geklappert, und ich glaubte sogar, seinen Motor zu hören, wie er sich langsam entfernte und schließlich verstummte, aber vielleicht dramatisierte ich alles auch nur.
Der Elisabeth-Kater war mit einem Schlag verschwunden – genau so wie meine Erleichterung über das freie Wochenende. Ich war einfach nur noch Anouk, was plötzlich gar nicht mehr so erstrebenswert schien, und der Tag lag trostlos lang vor mir.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich ging das Gespräch, den Streit, abermals durch und konnte Liam eine gewisse Teilschuld immer noch nicht absprechen – auch wenn ich mich völlig daneben benommen hatte. Hätte ich doch von vornherein gesagt, wie müde ich sei, hätte ich eine Lüge, einen Vorwurf gespart, und wir hätten das Dinner verkürzen können, ohne verkrampft zu wirken. Und hätte ich doch nur weniger von mir gesprochen, als meine Sorgen sachlich darzulegen! Ich war immer noch ängstlich, was unseren Umzug nach London anging, und ich hatte Anlass zur Sorge, dass wir länger bleiben würden – besonders jetzt, nachdem Liam klar und deutlich gesagt hatte, dass es für ihn an der Zeit sei, endlich sein volles Potential auszuschöpfen. Ich setzte mich auf und rieb mir die Schläfen. Gott, ich hatte wirklich zu viel verlangt von ihm! Nie hatte er sich beschwert, hatte für mich sogar ein Engagement in London fallen lassen, und er hatte mir verziehen, nachdem ich und Alexej… Ich stand auf und machte mich fertig, mit automatisierten Bewegungen. Die Angst, dass ich es zu weit getrieben, dass ich ihn enttäuscht hatte, lähmte mich schier. Was für eine grausame Ironie das wäre – wir beide in London, in vielversprechenden Engagements, aber getrennt und verfeindet! Die Vorstellung trieb mir die Tränen in die Augen, und ich wusste, ich musste das klarstellen, ich musste irgendetwas unternehmen, und zwar nicht durchs Telefon.
Der Düsseldorfer Hauptbahnhof war voll und laut, wie immer. Ich hetzte durch die Menge, stieß mir die Zehen an so vielen Kofferrädern, dass ich gar nicht mehr zählen konnte, und erreichte in letzter Sekunde den RE, der mich nach Bielefeld fahren würde.
Ich hatte keine Ahnung, was ich da tat, nur, dass ich dringend alles richten musste.
Die zwei Stunden Fahrt verstrichen quälend langsam, aber als ich endlich am Bahnhof stand wünschte ich mir, sie würde ewig dauern. Ich schlug mich gar nicht lange mit Bussen herum, sondern rief nach einem Taxi. Mein „Zum Stadttheater, bitte“ klang gepresst und atemlos, und als ich endlich da war, konnte ich mich kaum an die Fahrt erinnern.
Natürlich wurde ich im Theater abgefangen, von einer irritierten, aber durchaus freundlichen Dame, die gerade irgendetwas kaute.
„Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und schluckte.
„Ja“, sagte ich, „ich muss bitte sofort Liam sprechen, Liam Jordan.“ Mir wurde bewusst, wie verrückt ich wirken musste – hektisch, etwas zu laut, geschwollene Augen, das Haar vom ständigen Durchkämmen strubbelig. Vermutlich hielt sie mich für einen verrückten Fan.
„Tut mir leid“, sagte sie befremdet, „aber die Künstler dürfen vor der Vorstellung nicht gestört werden. Wenn Sie ein Autogramm wollen…“
„Aber nein!“, erwiderte ich hastig. „Ich bin seine Freundin. Lebensgefährtin.“ Das hörte sich albern an. „Anouk Steger“, sagte ich schließlich und besann mich meiner Person, „sicherlich haben Sie schon von mir gehört.“ Ich nestelte an meinem Portemonnaie und kramte meinen Ausweis hervor. „Sehen Sie, Steger. Es ist dringend, es geht um… private Angelegenheiten, die unser nächstes Engagement betreffen.“
Sie sah nicht überzeugt aus, aber sie schien mich zu erkennen, was mir einen Vorteil verschaffte.
„Warten Sie bitte hier“, erwiderte sie und verschwand. Nervös tigerte ich auf und ab und sah mich um, ohne etwas zu sehen; dann kam sie wieder.
„Mr. Jordan möchte Sie sprechen“, sagte sie. Es gefiel mir, dass sie ihn Mister nannte, aber sie ließ es klingen, als sei nicht ich hergekommen, um mit ihm zu sprechen, sondern als habe er mich herbestellt.
Liam erwartete mich an der Bühnentür des Theaters, die Hände in den Taschen und schon kostümiert – zumindest vermutete ich, dass dieser legere Anzug sein Kostüm war. Er sah konzentriert und ein bisschen finster aus, und als die Dame mich verließ, einige Meter vor ihm, blieb ich unsicher stehen. Erst als er den Kopf hob, bemerkte er mich.
„Hallo“, sagte ich unsicher und spielte an meinem Blusenknopf. „Ich… hoffe ich störe nicht?“
„Nein“, antwortete er, „es ist ja noch etwas hin bis zur Show. – Lass uns raus gehen.“
Warum redet er so neutral? Will er nett sein? Ist er mir böse? Bereitet er sich auf die Trennung vor? Ich folgte ihm nach draußen, er hielt mir die Tür auf –
er will einen letzten, guten Eindruck machen! Eine höfliche Trennung! Draußen war es warm, beinahe heiß. Einige Darsteller lümmelten an der Hauswand, und wir entfernten uns einige Meter, bis ihr Gerede nicht mehr zu uns drang.
„Also“, sagte er nach einigem Schweigen, „warum bist du extra hergekommen?“
„Das weißt du doch“, erwiderte ich und starrte auf meine Schuhe. „Ich möchte mich entschuldigen. Ich komme mir ganz dumm vor, dass ich all diese Sachen gesagt habe. Und anderes nicht.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um mich sicherer zu fühlen, ließ sie aber sofort wieder fallen, um nicht abwehend zu wirken. Was auch kommen mochte, ich wollte es über mich ergehen lassen. Liam schob einen Zigarettenstummel zwischen den Schuhspitzen herum.
„Du hast dich
wirklich dumm benommen“, sagte er schroff. „Ich habe mich selbst wie ein Idiot gefühlt, als du mich so angeschrieen hast. Das Essen hatte ich mir anders vorgestellt.“
„Ja“, sagte ich vorsichtig, „ich… war sehr müde und hatte vor, sofort schlafen zu gehen. Weißt du, es gibt so viel zu tun wegen London, und Elisabeth… Aber ich will nicht wieder von mir sprechen.“
„Vielleicht solltest du das aber“, entgegnete er, nicht unfreundlich diesmal, „damit wir uns endlich aussprechen können.“ –
Wir, er hat wir gesagt! „Na ja“, begann ich und fühlte mich unbehaglich, „ehrlich gesagt… wächst mir grad alles irgendwie über den Kopf. Du weißt ja, Elisabeth ist irgendwie schwer für mich, emotional gesehen, und… und wegen London bin ich ganz schön aufgeregt.“
„Aber es ist doch schon so vieles geklärt. Wir haben eine Unterkunft, und Arbeit.“
„Ja, stimmt. Aber… als du mir sagtest, du hättest diesen Job, da fühlte ich mich so vor den Kopf gestoßen, weil… ich habe es mit dir besprochen, weißt du, das mit Love never dies. Ich wollte deine Meinung. Und ich kann verstehen, dass du mir damit eine Freude machen wolltest, und ich bin auch unglaublich froh, dass du dich bemühst und dich so freust, aber… ich hatte plötzlich das Gefühl, du würdest eine längere Sache daraus machen wollen, ohne etwas mit mir abzusprechen. Verstehst du, ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Ich ziehe in ein fremdes Land, zum ersten Mal, ich muss eine andere Sprache sprechen und in einem Stück spielen, das sehr umstritten ist, und alle setzen so große Erwartungen in mich, dass ich ganz nervös werde. Alle sagen mir, die Produktion geht nur sehr kurz, und daher dachte ich, gut, dann kann ich direkt wieder nach Deutschland, es ist so wie Urlaub, aber jetzt… Ich weiß nicht, ob ich so lange von hier fort sein kann. Und jetzt wo ich weiß, dass du es hier nicht mehr aushältst, mache ich mir Sorgen.“ Ich starrte während des gesamten Monologs auf den Boden, und Liam unterbrach mich nicht einmal.
„Worüber machst du dir Sorgen?“, fragte er. „Ich meine, hast du nur Angst, dass wir lange in London bleiben?“
„Ich habe Angst, dass
du lange in London bleibst“, erwiderte ich, „und dass ich zurück muss oder will, warum auch immer. Es kann vieles passieren – Love never dies läuft nicht gut, ich bekomme ein besseres Engagement in Deutschland… Ich will nicht so weit von dir getrennt sein. Aber ich habe auch Angst, dass ich Heimweh bekomme oder nicht Fuß fassen kann.“ Jetzt fing ich doch an zu weinen; die ganze Zeit hatte ich meine dummen Tränen herunter geschluckt, aber jetzt war ich einfach nur noch müde und traurig. Ärgerlich wischte ich mir über die Augen, und Liam nahm mich in den Arm, so fest, dass ich mich losgemacht hätte, wäre ich nicht so erleichtert gewesen.
„Ich verspreche, wir werden eine Lösung finden, wenn es so kommen sollte“, sagte er in mein Ohr. „Egal was, irgendetwas wird sich finden. Aber… warte doch erst mal ab.“ Er machte sich von mir los, nahm mich fest bei den Schultern und sah mich an. „Du bist immer so pessimistisch. Was wäre denn, wenn Love never dies ein großer Erfolg wird und London dir gefällt? Was dann?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich… weiß nicht. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“
„Aber ich. Ich habe versucht, alles im Blick zu behalten. Ich wusste ja nicht, dass dir das alles solches Kopfzerbrechen bereitet! Wenn du mir schon im Auto gesagt hättest, dass dich der Job stört-“
„Er stört mich ja nicht“, lenkte ich ein. „Er kam nur… überraschend.“
„Das hättest du vielleicht früher sagen sollen. Ich kann dir nämlich nur vor den Kopf gucken, weißt du. Auch wenn ich mir oft Mühe gebe, auch das Dahinterliegende zu entschlüsseln.“
Ich lächelte schwach. „Es tut mir so leid. Ich schäme mich entsetzlich.“
Er nahm mich wieder in den Arm. „Wir haben noch ein wenig Zeit“, sagte er. „Wenn du über Nacht bleibst, werden wir morgen alles in Ruhe durchgehen.“
Über Nacht bleiben? Das musste er nicht zwei Mal fragen.
„In Ordnung“, sagte ich, „danke!“
„Nichts zu danken“, erwiderte er. „Siehst du, jetzt, wo alles gesagt ist, können wir etwas tun. Das ist wie im Theater:
erst reden, damit der Zuschauer alles kapiert,
dann machen.“
Diesmal lachte ich wirklich.
„Und damit du auch wirklich entspannen kannst heut Abend, versuche ich, dir noch irgendeinen Platz zu sichern. Zur Not hinter der Bühne.“