Mich trägt mein Traum

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Ophelia
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 20.12.2014, 15:15:10

Heute gibt's auch von mir einen neuen Teil:

Mein Entschluss, mich bei Elisabeth zu bewerben, zog Konsequenzen mit sich, an die ich nicht gedacht hatte. Erst am nächsten Montag, pünktlich zu Lindas Gesangsstunde, wurde mir klar, dass ich sie nicht mehr unterrichten könnte, falls sie keine Schule fand. Ich beschloss, ihr erst einmal nichts von meinen Plänen zu verraten, und setzte mich stattdessen mit ihr zusammen, um über den Ausschreibungen diverser Schulen zu brüten.
„Die Music&Art Academy kann ich dir auf jeden Fall empfehlen“, sagte ich. „Im Sommer gebe ich dort einen Workshop für Interessierte, aber ich fürchte, es ist schon zu spät, um sich noch eintragen zu lassen.“ Trotzdem machte ich mir eine Notiz – vielleicht gelang es mir ja, sie noch dazwischen zu schieben. „Wann willst du dich bewerben?“
„Ich gehe zu den Aufnahmetests im Herbst“, antwortete sie nervös. „Wenn ich für nächsten Sommer aufgenommen werde, habe ich ein ganzes Jahr lang Zeit, um zu arbeiten.“ Sie lächelte stolz. „Ich habe einen Job bekommen, vier Tage in der Woche je fünf Stunden helfe ich im Nachhilfezentrum aus. Mathe und Englisch. Wenn ich ordentlich spare, werde ich meine Eltern finanziell entlasten können, wenn ich die Ausbildung machen sollte.“ Sie klang zweifelnd.
„Du wirst bestimmt aufgenommen!“, sagte ich bestimmt. „Bei deinem Talent.“
„Na ja“, erwiderte sie bedrückt, „ich glaube, im Tanzen bin ich nicht sehr gut.“
„Besser als ich damals auf jeden Fall“, versicherte ich ihr. „Im Tanzen war ich eine absolute Null. – Sieh mal hier, in Köln gibt es auch eine Schule, die hört sich ziemlich gut an.“
„Köln ist ganz schön weit weg!“, gab sie zu bedenken. Ich unterdrückte ein Lächeln. Linda war so aufgeregt und besorgt und so eifrig – ich bemerkte, dass ich wohl etwas verpasst hatte: mein reibungsloses, überraschendes Stipendium hatte mir zwar viel Stress, aber auch viel Vorfreude vorenthalten.
„Hast du dir schon überlegt, was du singen möchtest?“, schnitt ich ein anderes Thema an.
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete sie. „Es gibt so viel… Ich würde gern etwas singen, das nicht so bekannt ist.“
„Das ist auch immer besser so. – Ist es in Ordnung, wenn ich ein paar Songs aussuche, die zu dir passen könnten?“
„Das wäre super!“, antwortete sie dankbar. „Ich weiß ja gar nicht, wo ich anfangen soll!“ Sie runzelte die Stirn. „Glaubst du, ich sollte für jede Schule neue Songs einüben? Und auf welcher sollte ich mich nun bewerben?“
Womit wir wieder beim Ausgangsthema waren – das schien Linda verständlicherweise nicht loszulassen. Ich wandte mich wieder den Ausdrucken zu, auf denen die einzelnen Schulen vorgestellt waren.
„Falls du nicht so weit weg möchtest“, schlug ich vor, „wäre Hamburg auch noch eine sehr gute Option.“
Sie beugte sich wieder über die Papiere, und bei ihren leuchtenden Augen wurde mir ganz warm ums Herz. Ich gönnte ihr die Ausbildung wirklich aus vollem Herzen!

Dann musste ich mich auch noch dringend um den Workshop kümmern! Nach einigem Nachdenken und Nachfragen bei den Kollegen fand ich es am besten, einfach etwas aus Tanz der Vampire mit den Interessierten einzustudieren – erstens, weil ich das Stück sehr gut kannte, zweitens, weil es lange Songs gab, die sich gut aufteilen ließen und sowohl Ensemble- als auch Einzelarbeit zuließen. Ich entschied mich dazu, den Workshop mit einfachen Aufwärmübungen zu beginnen, nach denen sich auch jeder kurz vorstellte. Dann würde ich mir von allen ein paar Strophen eines selbstgewählten Liedes vorsingen lassen, um die Jungen und Mädchen dann in Arbeitsgruppen aufzuteilen: Zwei Jungen und zwei Mädchen würden Totale Finsternis einzustieren, Sechs weitere der Teilnehmer Die Roten Stiefel und Das Gebet. Ich würde natürlich aktiv mithelfen, aber ich wollte, dass die Jugendlichen sich die Rollen größtenteils selbst erarbeiteten. Ich tippte sorgfältig mein Konzept ab, schickte es an meine alte Schule und bekam auch kurz darauf das Okay: am siebten August würde ich Hannover einen Besuch abstatten. Ich freute mich schon sehr darauf und war gespannt, wie die Schüler mitarbeiten würden.
Am folgenden Tag rief mich meine Agentin an.
„Ich habe einen Auditiontermin für dich“, eröffnete sie mir am Telefon. „Für Elisabeth. Am siebzehnten September um halb drei in Düsseldorf, genaueres schicke ich dir alles noch per Mail. – Du solltest Emmanuel bescheid geben, damit er Bescheid weiß. Übrigens habe ich eben erfahren, dass Tanz der Vampire die Spielzeit nun doch verlängert“ – es hatte einige Diskussionen darüber gegeben – „allerdings auch nur noch bis Anfang Mai nächsten Jahres. Du würdest also eh bald etwas neues brauchen.“
„Oh“ war alles, was mir dazu einfiel. Mein geheimer Traum, zu den Vampiren zurückzukehren, zerplatzte erst einmal. Aber es blieb gar keine Zeit, über einen möglichen Abschied Tränen zu vergießen, denn meine Audition machte mich ganz nervös. Als Lukas erfuhr, dass ich vorsingen würde, als Elisabeth, war er völlig aus dem Häuschen – und als treuer Freund schaffte er es auch, seinen Termin auf den gleichen Tag wie meinen zu legen. Ich rief Liam an, teilte ihm die Neuigkeiten mit und schlug ihm vor, als Tod vorzusingen.
„Wunderbar!“, rief er in den Hörer. „Das werde ich auch noch! Ich suche schon seit Tagen nach Auditions, aber in Deutschland sieht es rar aus. Jesus Christ Superstar kommt nach Bad Hersfeld, und vielleicht schaff’ ich es ja ins Ensemble von Nacht der Musicals. Aber sonst…“
Meine Alarmglocken hatten bereits angefangen loszubimmeln. „Hier in Deutschland?“, fragte ich nach. „Hast du etwa noch woanders geschaut?“
„Na ja“, antwortete er, plötzlich verhaltener, „ich bin mir noch nicht sicher, ob ich’s durchziehen soll, aber… - Also, immerhin bin ich gebürtiger Engländer!“, sagte er bestimmter. „Und soll ich etwa die Chance verpassen, bei Miss Saigon mitzumachen? Ehrlich, Anouk, das kannst du mir nicht ausreden!“ Er klang wirklich vorwurfsvoll.
„Also“, entgegnete ich belustigt und eigenartigerweise ganz ruhig, „vielleicht hast du das nicht bemerkt, aber… ich rede dir ja gar nichts aus!“
Er schwieg. Dann sagte er langsam: „Ich dachte eben, das wäre… nicht okay für dich.“
„Seltsamerweise ist es das“, erwiderte ich. „Ich meine, ich werde dich noch mehr vermissen als jetzt und überhaupt… Aber wenn du meinst, dass du das tun willst, dann tu es!“
Er atmete erleichtert auf. Und als ich auflegte, wurde mir bewusst, dass etwas im Gange war. Etwas würde sich ändern – für mich, für ihn, vielleicht für uns beide.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 20.12.2014, 16:19:04

Schön, dass Anouk sich weiter um Linda und den Workshop kümmert. Allerdings finde ich, dass sie Liam etwas arg spät von der Elisabeth-Audition erzählt. Und England? Das ist noch mal eine ganz andere Entfernung, aber so wirklich oft sehen sich die beiden ja eh irgendwie nicht... Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es mit den Auditions weitergeht und wer welche Rolle nun wann und wo bekommt. Bitte bald weiter!
Achso, ein ganz persönlicher Rat von mir an Liam: Bad Hersfeld hat immer sehr merkwürdige Inszenierungen, mir hat da bisher noch kein Stück richtig gut gefallen, also lieber nicht ;)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 08.01.2015, 18:48:44

So, nach langer Zeit wieder mal ein, wenn auch kurzer, Teil. Jetzt geht es ein wenig regelmäßiger weiter ;)

Es war eigenartig, wieder zurück an meiner alten Schule zu sein. Der Weg, die Eingangstür, sogar der Geruch – alles war noch dasselbe. Und alles machte mich wieder zu der verschüchterten, aber entschlossenen Schülerin, die ich vor zwei Jahren noch war. Besonders, als ich Mrs. Paige wiedertraf.
„Wie schön, sie mal wiederzusehen!“, sagte sie herzlich und gar nicht mehr streng. Zumindest noch zu mir – als sie eine Schülerin sah, die einen Becher Kakao trank, unterbrach sie das Gespräch und jagte dem armen Mädchen hinterher.
„Annika, ich habe Ihnen schon letzte Woche gesagt, dass Sie mehr auf Ihre Ernährung achten müssen!“, mahnte sie. „Wir haben gleich eine Gesangsstunde, und Sie wissen, was Milchgetränke mit Ihrer Stimme anstellen!“ Kopfschüttelnd kam sie zurück. Ich verkniff mir ein Lachen.
„Also, Sie haben ja schon einiges geschafft!“, sagte sie, während wir zu den Tanzräumen gingen. „War Sarah nicht Ihre Traumrolle?“
„Oh ja, allerdings“, lächelte ich.
„Schön, schön! Und, schon weitere Pläne?“ Sie hielt mir eine Tür auf.
„Ich gehe zu einer Audition für Elisabeth“, erwiderte ich und wartete nervös auf ihr Urteil. Sie sah mich streng an. „Als Elisabeth, hoffe ich?“
Ich nickte erleichtert, und sie klopfte mir auf die Schulter. „Sie machen das, Anouk. Immer noch so unsicher?“
„Äh – es geht“, entgegnete ich. „Es ist schon besser.“
„Das ist auch wichtig.“ Sie führte mich durch die vertrauten Gänge bis zum größten aller Tanzräume. „Die Schülerinnen und Schüler treffen um neun Uhr ein“, informierte sie mich. Also hatte ich noch eine gute Stunde Zeit für Vorbereitungen. Langsam betrat ich den Raum und sah mich um, und kurz sah ich meine ganze Abschlussklasse vor mir, wie wir lärmend, steppend, singend und lachend auf dem Boden saßen oder uns unterhielten. Ich lächelte. Ich hatte wirklich eine schöne Zeit gehabt!

Der Workshop war sehr interessant. Die Teilnehmer waren allesamt sehr gut, und ich bedauerte es ein wenig, dass es mir nicht mehr gelungen war, Linda irgendwie in den Kurs zu schleusen. Aber die zwölf Mädchen und Jungen brauchten ständig meine Hilfe, und ich dachte, dass es mir schwer gefallen wäre, Linda nicht zu bevorzugen, wenn sie da wäre. So konnte ich mich ganz auf „meine“ Schüler konzentrieren und eine Menge mit ihnen erarbeiten. Ich war am Ende des Tages sehr zufrieden mit ihnen und mir. Mrs. Paige und ich fanden noch etwas Zeit zum Reden. Sie kam wieder auf meine anstehende Audition zurück.
„Es würde mich sehr stolz machen, wenn Sie die Elisabeth werden“, bemerkte sie.
„Ach“, erwiderte ich verlegen, „ehrlich gesagt glaube ich gar nicht, dass ich es schaffe.“
„Wenn Sie es nicht glauben, dann wollen Sie es nicht“, schlussfolgerte sie.
„Ich fühle mich ganz wohl bei Tanz der Vampire“, stimmte ich ihr durch die Blume zu. Sie nickte.
„Es gibt immer ein Engagement, das für einen Darsteller besonders wichtig ist“, sagte sie. „Aber klammern Sie nicht zu sehr an einer Rolle. In Ihnen steckt so viel Potenzial, Anouk. Nutzen Sie es!“
„Meinen Sie nicht“, fuhr ich mit meinen Befürchtungen fort, plötzlich froh, eine Fachfrau vor mir zu haben, „dass ich ein wenig zu jung bin für so eine große Rolle?“
„Aber kommt es denn darauf an?“, konterte sie ruhig. „Wie alt waren Sie bei Rebecca?“
„Gerade zwanzig.“
Sie nickte. „Sehen Sie. Es kommt nicht auf Ihr Alter an, Anouk, nur auf Ihre Stimme. Und die eignet sich wunderbar für Elisabeth.“ Sie lächelte. „Denken Sie daran, wenn Sie zur Audition gehen: Sie werden genommen, ganz sicher.“
„Danke, Mrs. Paige!“, sagte ich, auch wenn ich ihren Worten nicht recht Glauben schenken konnte.
Am nächsten Tag traf ich auf der Heimreise Anja Behring im Zug, die bei Rebecca die Mrs. Van Hopper gespielt hatte. Erstaunt und erfreut über diesen Zufall setzten wir uns zusammen und unterhielten uns leise über aktuelle und anstehende Engagements.
„Ja, Elisabeth ist in aller Munde!“, seufzte sie. „Ich habe das Gefühl, dass sich mein halbes Ensemble dort bewirbt.“
„Oh je!“, murmelte ich und sah meine Chance, Elisabeth zu werden, deutlich schrumpfen.
„Janine singt als Gräfin Esterhazy vor“, erzählte sie – Janine hatte damals Beatrice gespielt. „Und Marius natürlich als Tod.“
„Tatsächlich?“, sagte ich erstaunt. „Wir haben länger nicht miteinander gesprochen, aber das hätte er mir ruhig sagen können!“
„Ja, er wurde sogar zur Audition eingeladen“, betonte sie und verdrehte die Augen. „Da wird er bestimmt genommen!“
„Abwarten“, erwiderte ich leise. „Die Konkurrenz schläft nicht.“ Ich dachte an Liam. Er muss es einfach schaffen! Die Vorstellung, ich könnte mit ihm auf der Bühne stehen, war mehr als angenehm. Heimlich drückte ich ganz fest die Daumen, und mit einem Mal konnte ich die Audition kaum abwarten.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 08.01.2015, 20:54:53

Juhu es geht weiter - das erfreut mich! Aber ich kenne diese Phasen, in denen man nicht voran kommt nur zu gut. Ich habe heute Nachmittag auch nach einer gefühlten Ewigkeit endlich mal wieder einen neuen Teil produziert.
Aber nun zu Anouk: Schön, dass der Workshop ein Erfolg war! Und ich bin ganz gespannt, wie es mit der Audition läuft. Liam, Marius... beide wären sicherlich toll als Tod und Anouk würde sicherlich mit beiden toll zusammenspielen. Aber es gibt ja auch nicht nur Erstbesetzungen! Vielleicht schaffen es ja sogar beide als Tod genommen zu werden. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf die Audition und hoffe, dass der nächste Teil bald kommt!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 09.01.2015, 15:37:55

Schön, dass es weitergeht!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon little miss sunshine » 11.01.2015, 15:53:15

Juhuuu, es geht weiter!
NAtürlich wäre es schön, wenn Anouk mit Liam (und Marius) bei "Elisabeth" spielen könnte - allerdings würde dann auch alles etwas ZU GLATT laufen, oder? :think: ^^
Ich bin gespannt, wie es weitergeht...
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 25.01.2015, 11:25:07

Weiter geht's.

Der siebzehnte September kam schneller, als erwartet. Die Zeit in Berlin verging wie im Flug – ich absolvierte noch zwei weitere TV-Auftritte, wir sangen auf verschiedenen Veranstaltungen und bald war mein Terminkalender so voll, dass ich kaum mehr für die Audition lernen konnte. Liam, der zwei Tage vor mir vorgesungen hatte, schilderte mir alles bis ins kleinste Detail.
„Die Jury schien ziemlich nett, aber penibel“, erzählte er. „Weißt du übrigens, wer da war? Marius Hübert! Gegen den hab ich doch schon jetzt verloren, die Berühmten werden immer bevorzugt.“
„Abwarten. Du bist das Phantom, also auch keine Kleinigkeit mehr. – Was hast du gesungen?“
„Was aus Jekyll&Hyde, aber ich glaube, ich hab’s versaut. Ich war einfach so aufgeregt! Übermorgen muss ich schon wieder los, nach London. Ich würde dich zu gerne mitnehmen! Vielleicht habe ich ja bei Miss Saigon mehr Glück! – Was singst du vor?“ Er ließ mich kaum zu Wort kommen.
Ein neuer Tag“, antwortete ich, „aus Artus. Ich hab auch noch Memory vorbereitet und Green Finch and Linnett bird aus Sweeney Todd. Man weiß ja nie.“
„Ich drücke dir ganz doll die Daumen!“, erwiderte er enthusiastisch. „Ehrlich, wenn ich jetzt so drüber nachdenke, bist du eine perfekte Elisabeth!“
„Übertreib mal nicht.“
„Ich kann mir das richtig vorstellen! – Ich muss jetzt dringend packen. Sag mir Bescheid, sobald du morgen fertig bist, ja?“
„Okay“, stimmte ich zu. „Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen!“
Ich zumindest machte mir immer noch keine großen Hoffnungen. Lukas begleitete mich zur Audition, und es tat gut, nicht allein zu sein. Auch, wenn er viel aufgeregter war als ich. Ständig ging er seinen Text durch, hörte sich Aufnahmen von sich an, machte sich letzte Bemerkungen auf seinem Textblatt. Ich dagegen fühlte eine eigenartige Ruhe – vielleicht, weil ich wusste, dass mir ein Misserfolg nicht wehtun würde. Im Gegenteil – heimlich trauerte ich meiner aktuellen Rolle nämlich jetzt schon nach. Im Gebäude, in dem die Audition stattfand, eine Theaterakademie, mussten wir uns dann allerdings bald trennen: die Räume für das Vorsingen waren strikt nach Rollen geteilt. Alle, die sich für Elisabeth interessierten, mussten in den zweiten Stock. Während ich so zwischen den angereisten Damen saß, zweifelte ich an meiner Songauswahl. Ein neuer Tag – Memory – Green Finch and Linnet Bird? Sicherlich waren das Songs, die sehr gut zu meiner Stimme passten, aber passten sie auch zu Elisabeth?
Es blieb kaum Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Denn zwanzig Minuten später wurde ich in einen kleineren Vorraum und schließlich in den Auditionraum gerufen. Er war nicht sehr groß, das Klavier und die Jury passten gerade so herein. Ich wurde freundlich begrüßt. Es ging alles recht schnell: ich sang den Song einmal vor, wurde aber in der Mitte unterbrochen und gebeten, den langen Ton bei „nichts das uns trennen kann“ noch einmal zu wiederholen, danach sang ich ohne Unterbrechung weiter. Es gab keine Kritik, keine Anmerkung, nur ein schlichtes, aber durchaus nettes „Wir melden uns, schönen Tag noch.“
Und dann stand ich auch schon wieder draußen und wartete auf Lukas, beinahe eine Stunde lang, bis er völlig durcheinander bei mir auftauchte.
„Und?“, fragte ich, als wir losgingen. Er schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, ich war gut, aber sie haben nichts gesagt. Bei dir?“
„Dasselbe.“
Wir schwiegen kurz gemeinsam.
„Na ja“, meinte er, „dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten.“

Und warten mussten wir tatsächlich, zwei ganze Wochen lang. Ich übte vorsichtshalber weitere Songs ein, ich entschied mich, Memory auf Deutsch zu singen. Außerdem Somewhere over the Rainbow. Dann, genau vierzehn Tage später, ging plötzlich alles ganz schnell: Lukas und ich waren beide eine Runde weiter, ebenso wie Liam. Wir mussten hektisch unsere Sachen packen und überstürzt abreisen, denn die nächsten Termine waren alle knapp hintereinander angesetzt: noch drei weitere Runden standen uns bevor, ehe die endgültige Auswahl fallen würde. Das einzig positive an all der Hektik war der Umstand, dass ich Liam endlich persönlich treffen würde. Zu dritt brachen wir also auf, jeder in seine Gedanken vertieft. Ich war einerseits stolz, die erste Runde überstanden zu haben, allerdings auch überrascht und nicht sehr zuversichtlich, dass ich weiterkommen würde.
Aber ich kam weiter. Ebenso wie Liam. Und diesmal händigte die Jury uns Songs aus, die wir bis zur nächsten Woche vorsingen sollten.
„Ich habe Der letzte Tanz!“, stöhnte Liam. „Wie soll ich das in einer Woche auswendig schaffen?“ Er starrte auf den Text und die beiliegenden Noten. Ich nahm seine Hand.
„Mir haben sie die Irrenhausballade verpasst“, entgegnete ich. „Auch nicht sehr einfach. – Ich werde versuchen, bis nächste Woche frei zu bekommen. Dann könnte ich Bertelin einen Besuch abstatten, er wird mir sicher helfen.“
Liam nickte. „Gute Idee“, murmelte er. „Ich werde sofort mit meiner Agentin sprechen.“
Natürlich bekamen wir so lange nicht frei. Es folgte wieder eine stressreiche Woche voller Proben – noch stressiger, weil Emmanuel fand, dass die Energie im Ensemble nachließ und deshalb eine Sitzprobe einschob. Ich fühlte mich völlig überfordert, auch, weil ich an einigen Stellen Schwierigkeiten mit dem Song hatte. Am Mittwochabend aber war für diese Woche meine letzte Show; ich reiste am nächsten Morgen gemeinsam mit Liam und Lukas nach Düsseldorf. Im Zug hatten wir Zeit für Gespräche, obwohl ich eigentlich ein bisschen schlafen wollte.
„Und, wie sitzt der Song?“, wollte Lukas wissen.
„Es geht“, erwiderte Liam. „Ich fühle mich noch nicht sicher.“
„Oh. Na, das wird noch. – Bist du der einzige, der aus eurem Ensemble mitmacht?“
„Zum Glück, so konnten sie mir frei geben. Bei euch war es wohl ganz schön stressig?“
„War es“, antwortete ich an Lukas’ Stelle. „Ich würde deshalb gern schlafen.“
„Du kannst zuhause schlafen“, konterte Liam. „Weiß deine Mutter eigentlich, dass ich bei euch Quartier beziehen werde?“
„Ich hab’s ihr auf jeden Fall gesagt. Sie wird dich aber niemals vor der Türe sitzen lassen.“ Ich gab den Versuch, mich zu erholen, auf und setzte mich wieder richtig hin. Ich fühlte mich nervös und müde zugleich. Und immer noch nicht sehr zuversichtlich, was meine Zukunft bei Elisabeth betraf.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 25.01.2015, 11:50:23

Juhu ein neuer Teil! Sehr schön, wie du die Audition bescheibst und toll, dass alle drei gemeinsam auf dem Weg sind. Ich bin wirklich gespannt, wer dort eine Rolle bekommen wird. Bitte bald weiter!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 26.01.2015, 11:28:57

Das ist mal ein richtig realistischer Teil! Schön!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 01.02.2015, 12:34:05

Ich habe es endlich mal geschafft, ordentlich zu schreiben, daher werden die Teile nun etwas regelmäßiger kommen. Ich hoffe, ihr habt noch Interesse an der Geschichte.

Meine Mutter war die Ruhe selbst und eine perfekte Gastgeberin. Schon am letzten Mittag, als wir ankamen, hatte sie den Tisch gemütlich gedeckt und Tee gekocht. Und am nächsten Morgen überraschte ich sie, als sie Frühstück machte – um halb acht.
„Musst du nicht arbeiten heute?“, fragte ich sie.
„Ich hab mir gedacht, ich bummele mal meine Überstunden ab“, erwiderte sie und drückte mich kurz. „Aber solltest du nicht ein bisschen ausschlafen? Wann ist die Audition?“
„Um drei Uhr bin ich dran“, antwortete ich. „Ich will um zwei da sein, man weiß nie, wer kurzfristig abspringt.“
„Also noch fünf Stunden, bis du los musst. Leg dich doch noch was hin.“
„Lieber nicht.“ Ich setzte mich und nahm mir ein halbes Brötchen. „Außerdem hab ich Liams Wecker gestellt“, fuhr ich fort und musste ein Lachen unterdrücken. „Er wird also gleich auch aufstehen.“
Tatsächlich stand er kurz darauf in der Türe, müde und ein bisschen genervt.
„Anouk, wir hätten noch gut zwei Stunden schlafen können!“, beschwerte er sich. Offenbar war ich die einzige, die vor Aufregung fast umkam!
„Hätten wir nicht!“, gab ich also scharf zurück. „Wir müssen unseren Song üben. – Ich will es zumindest. Und hast du nicht gestern noch behauptet, du wärest noch nicht ganz sicher mit deinem Lied?“
Damit hatte ich ihn eiskalt erwischt. Er setzte sich neben mich, nahm sich ein Brötchen und konnte es dann kaum schnell genug herunterbringen, um endlich üben zu können.
„Toll“, sagte er, nachdem wir unsere Lieder einige Male durchgegangen waren. „Jetzt hast du mich total nervös gemacht.“ Er runzelte die Stirn. „Ich fühle mich ziemlich schlecht vorbereitet.“
„Aber der Song hört sich doch gut an!“, entgegnete ich – auch wenn selbst ich seine kleinen, aber auffälligen Fehler und Unsicherheiten nicht überhören konnte.
Gut ist die kleine Schwester von Scheiße“, entgegnete er.
„Nein, nett ist die kleine Schwester von… Ist doch egal!“ Ich packte energisch meine Sachen ein.
„Ja, dir kann es egal sein. Du hast den Song perfekt drauf“, grummelte er. Ich streckte mich und küsste ihn.
„Ich fahre jetzt los“, sagte ich. „Ich warte solange, bis du auch durch bist. Und drücke dir ganz fest die Daumen!“
„Danke“, erwiderte er und drückte mich ganz fest. „Viel Glück!“

Diesmal waren die Reihen der Damen gelichtet. Ich unterhielt mich mit einer Frau namens Sandra, die erst im Sommer ihren Abschluss bekommen hatte und es kaum glauben konnte, hier zu sein.
„Ich meine, es hat doch bestimmt etwas zu bedeuten, oder?“
„Was?“
„Na, dass sie so viele… unerfahrene und junge Darstellerinnen weiter lassen“, erklärte sie beschwörend. „Sieh dich mal um: kennst du irgendjemanden hier?“
„Wenige“, gab ich zu und warf einen raschen Blick auf die Uhr. Zehn vor drei.
„Siehst du! Das kann nur heißen, dass sie etwas frischen Wind in ihre Produktion bringen wollen – das wird doch schon ewig von den Fans gefordert! Obwohl ich glaube“, sie senkte die Stimme, „dass der Tod schon längst entschieden ist.“
Hier spitzte ich die Ohren. „Wirklich?“
Sie nickte ernst. „Ja. Ich meine, Marius Hübert – den können sie gar nicht links liegen lassen! Außerdem ist das doch eine gute Taktik: eine Elisabeth, die niemand kennt, und einen total berühmten Tod zu nehmen – damit haben sie alle Forderungen erfüllt: einerseits wollen sie Neuen eine Chance geben, und gleichzeitig wird die Berühmtheit die Fans anziehen. Für jeden was dabei.“ Sie hielt kurz inne. „Mensch, ich hätte zur Werbung oder so gehen sollen!“
„Ich sehe das ganz anders“, mischte sich eine ungefähr dreißigjährige Darstellerin ein. „Nichts gegen Marius Hübert, er ist toll und hat ein großes Talent, aber seien wir ehrlich: er hat überall seine Nase drin! Irgendwann merkt man doch selbst, dass man weniger als Darsteller sondern vielmehr als… Zugpferd fungiert!“ Sie nahm mich jetzt erst richtig wahr. „Hast du nicht mal mit ihm gespielt?“
„Ja, in Rebecca!“, stimmte ich zu.
„Oh…“ Sie schien ein wenig peinlich berührt, aber ich winkte ab.
„Ich verstehe, was du meinst“, sagte ich. „Mein Freund bewirbt sich auch als Tod, also… Wäre es mir sehr lieb, wenn Marius diese Rolle einmal nicht bekommt.“
Die anderen lachten, und ich lachte mit. Dann wurde ich aufgerufen.
„Viel Spaß!“, wünschten mir die beiden Mädels, und als ich den Auditionsaal betrat, hörte ich noch die Anfänge einer neueren Diskussion: ob es wohl stimmte, dass man für diese Produktion wieder das originale Bühnenbild übernehmen wollte?

Es regnete in Strömen, und ich hatte keinen Schirm dabei. Also wartete ich im Gebäude auf Liam. Nass wurden wir trotzdem auf dem kurzen Weg zur Bahn.
„Wie war es bei dir?“, fragte er.
„Oh, eigentlich ganz gut. Sehr gut sogar“, antwortete ich unbefangen. „Ich hab den Song ganz flüssig durchgesungen und zum ersten Mal eine richtige Kritik bekommen. – Lass uns mal eben in den Zeitungsladen gehen, wir haben noch etwas Zeit.“
„Klar. – Was haben sie bei dir gesagt?“
Ich durchforstete die Musik-Abteilung und blätterte ziellos durch einige Musicalzeitschriften. „Ihnen hat meine Interpretation des Liedes gut gefallen, meinten sie. Und meine hohen Töne sprechen sie wohl sehr an. Was sagten sie noch mal? Ach ja: ’Sie klingen auch in der Höhe sehr weich und haben gleichzeitig ein sehr angenehmes Belting. Das hört man nicht oft.’ Hört sich gut an, nicht?“
„Doch, schon.“
Ich sah ihn von der Seite an. „Bei dir? Nicht so gut?“
„Total schlecht!“, antwortete er niedergeschlagen. „Ich hab den Song total verpatzt.“
„Oh, Liam! Das tut mir echt leid!“ Ich legte die Arme um ihn. „Aber vielleicht hat es der Jury trotzdem gefallen?“
„Wörtlich sagten sie: ’Wie lange haben Sie an dem Song gearbeitet?’ Und als ich sagte: ’Eine Woche’, da meinten sie nur: ’Aha…’.“ Er seufzte. „Das war’s wohl, schätze ich.“
Ich drückte ihn noch einmal. „Abwarten“, sagte ich. „Diese Kritik heißt noch gar nichts.“
Aber als wir zuhause waren, wartete meine Mutter bereits mit bedrücktem Gesicht auf uns.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 01.02.2015, 13:48:09

Juhu, es geht weiter und dann sogar mit der Ankündigung, dass es wieder regelmäßig neue Teile gibt - ich freu mich!
Ich bin sehr gespannt, wie die Audition letztendlich ausgegangen ist für die beiden. Oo der letzte Satz klingt nicht besonders erfreulich... Bitte ganz schnell den nächsten Teil!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 01.02.2015, 14:35:57

Wieder si ein gemeiner Cliffhanger! ;-)

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 06.02.2015, 16:22:33

Es geht schon weiter, wegen Zeitmangels etwas früher als geplant:

„Sie hätten mir auch dort sagen können, dass ich raus bin!“, sagte Liam wütend. Ich saß ein bisschen niedergeschlagen auf der Couch und sah ihm zu, wie er unruhig auf und ab lief.
„So ein verdammter Mist! Haben sich wahrscheinlich nicht getraut, diese Dummköpfe!“
„Du hast noch keine Antwort von Miss Saigon“, entgegnete ich. „Du musst einfach abwarten.“
„Ich muss mich weiter umsehen“, widersprach er. Er ließ sich resigniert neben mich plumpsen. „Also, hast du Lust, mit mir nach Angeboten zu sehen? Mir ist nicht so danach, mit meiner Agentin zu sprechen.“
„Klar“, antwortete ich. Er tat mir wirklich leid!

Lukas, Liam und ich trafen uns am nächsten Vormittag – denn am Nachmittag schon würde es in die nächste Runde gehen. Diesmal hatten die Übriggebliebenen ein Duett zugewiesen bekommen – ich hatte Die Maladie, was mich einerseits freute, weil ich dieses kraftvolle und emotionsreiche Lied sehr mochte, andererseits fürchtete ich mich gerade wegen dieser Impulsivität und Ausdrucksstärke des Liedes davor. Lukas war ebenfalls in der letzten Runde und malte sich schon in den buntesten Farben seine Zukunft als Kronprinz aus.
„Ich bin sicher, ich bin dabei“, sagte er. „Ganz sicher! Ich habe keinen einzigen Patzer gehabt, und die Jury war geradezu euphorisch! Mann, bin ich glücklich!“ Sein Blick fiel auf Liam, der ganz und gar nicht glücklich war mit der Wendung seines Schicksals. „Oh, tut mir leid!“, sagte er zerknirscht. Liam zuckte mit den Schultern.
„Nichts zu machen.“
Immerhin hatten wir am Vorabend einige Auditions aufgetan – unter anderem für eine kurze Produktion von Jekyll&Hyde. Ich wusste, dass die Songs ihm sehr gut lagen, und als ich ihm das sagte, schöpfte er zumindest ein bisschen Mut.
„Uff, das ist ziemlich viel verlangt, diesen Song bis heute zu können!“, sagte ich.
„Nicht perfekt“, ergänzte Lukas. „Wir sollen ihn ansatzweise können. Die Jury will bestimmt mit uns dran arbeiten.“
So war es denn auch. Jedem Bewerber war eine Präsentationszeit von 45 Minuten eingeräumt, und diese waren gefüllt mit einer schnellen, aber intensiven Charakterstudie, einigen Überarbeitungen der gezeigten Emotionen und Verbesserungen der Stimmführung. Mein Duettpartner war ein netter, selbstsicherer und vergleichsweise kleiner Darsteller, dessen Namen ich peinlicherweise zweimal nachfragen musste und trotzdem immer wieder vergaß.
„Anouk, das hat uns sehr gut gefallen. Großes Lob an Ihre Improvisationskünste!“, war das Urteil er Jury. „Wir werden mit Ihnen in Kontakt treten, voraussichtlich übermorgen. Sind Sie so lange noch hier?“
„Ich glaube nicht, nein“, antwortete ich. „Ich werde morgen wieder nach Berlin reisen müssen.“
„Verstehe. Wir werden dann mit dem Intendanten sprechen, seien Sie also darauf gefasst, dass wir uns hier eventuell in zwei Tagen sehen werden.“
„Ja, danke“, antwortete ich – innerlich allerdings beschimpfte ich die Jury. Anscheinend glaubten sie, ich hätte meine Zeit im Lotto gewonnen. Das sagte ich auch Marius, den ich draußen traf.
„Tja, so ist das Leben“, sagte er nur. „Und, wie schätzt du dich ein?“
„Keine Ahnung“, antwortete ich ehrlich. „Ich kann mich wirklich nicht einschätzen.“
Er schüttelte den Kopf und lachte. „Anouk, du bist unverbesserlich!“
Was das heißen sollte, wusste ich allerdings nicht.

Wieder zwei anstrengende Tage, die mir aufgrund der Hektik wie eine Woche vorkamen: die Audition war an einem Freitagmittag. Noch am Abend reiste ich, diesmal nur mit dem nötigsten Gepäck, zurück nach Berlin und kam gerade noch pünktlich zur Show an. Am Samstag kam dann, zwischen den Shows, der ersehnte Anruf. Wir saßen in einer kleinen Gruppe im Backstagebereich, halb geschminkt und mit zurück geklammerten Haaren. Alexej versuchte gerade, eine Cola zu trinken, ohne sein Make-up zu verschmieren, als ein Mitarbeiter mit dem Telefon kam. Ich wusste natürlich sofort, wer es war.
„Frau Steger, haben Sie eine Minute Zeit?“, erklang es aus dem Hörer.
„Zwei sogar“, erwiderte ich großzügig. „Ich muss erst in einer halben Stunde auf die Bühne.“
„Sind Sie also wieder in Berlin?“
„Ja, ich spiele gleich schon die dritte Show.“
„Ein stressreiches Wochenende, das tut uns leid. Trotzdem müssen wir Sie noch einmal zurück nach Düsseldorf holen.“
„Ich weiß“, entgegnete ich, „das drohte man mir bei der Audition schon an. Macht ja nichts.“
„Wie sieht es aus, wann spielen Sie morgen?“
„Normale Sonntagszeiten, vierzehn Uhr und achtzehn Uhr.“
Tanz der Vampire, richtig? Hm, lassen Sie mich nachrechnen… Vierzehn Uhr… Siebzehn Uhr… Einen Augenblick, bitte…“ Ich hörte das Geklapper von einer Tastatur, Gemurmel, einige Male ein Klicken. „Nein, Frau Steger, das würde wohl morgen nicht mehr klappen… Aber Montag um zwölf, das könnten Sie schaffen wenn Sie morgen Nacht den Nachtexpress nehmen.“
Ich schluckte den Ärger zusammen mit der Aufregung herunter. „Sicher“, sagte ich, „das wird gehen.“
„Sehr schön. Dann wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Show!“ Er legte auf, ehe ich mich verabschieden konnte. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass Lukas neben mir stand und ein wenig fassungslos auf das Telefon in meiner Hand starrte.
„Was… was hat er gesagt?“, fragte er angespannt.
„Montagmorgen soll ich da sein“, antwortete ich. „Um zwölf.“ Ich schnaubte. „Das heißt, eine lange Nacht im Zug. Mal wieder.“
„Hat er gar nicht… nach mir gefragt?“
„Oh. Nein.“ Peinlich berührt sah ich zwischen ihm und den anderen Darstellern hin und her, die sich ebenfalls unwohl zu fühlen schienen. Vermutlich hörten sie, genau wie ich, Lukas’ euphorische Worte: „Ihr werdet sehen, ich habe die Rolle so gut wie in der Tasche! So ein gutes Gefühl hatte ich noch nie! Ich sage euch, das viele Üben hat sich gelohnt!“
„Nun. Na ja.“ Er rammte die Hände in die Hosentaschen, zumindest wollte er das, bis ihm auffiel, dass sein Kostüm keine Taschen hatte.
„Vielleicht melden sie sich noch… gleich…“ Ich wusste selbst, wie blöd das klang. „Tut mir so leid.“
„Nein. Macht ja nichts“, erwiderte er steif. „So ist das eben. – Ich. muss mal eben… das... Dings holen…“ Er fuhr sich durch die Haare, drehte sich um und verschwand in Richtung Bühne. Ich fühlte mich sehr unbehaglich. Ja, ich hatte geradezu ein schlechtes Gewissen, weil Lukas, der diese Rolle so gerne wollte, sie nicht bekam, und ich, die doch eigentlich nur bei den Vampiren bleiben wollte, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Rolle in Elisabeth ergattert hatte.
Was ich rette, geht zu Grund
Was ich segne muss verderben
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 06.02.2015, 16:47:53

Oh juhu ein neuer Teil! Wenns nach mir geht, können die Teile auch noch schneller hintereinander kommen ;)
Sehr schön geschrieben und ich fiebere immer wieder mit Anouk und den anderen mit. Aber das klingt ja auch ganz nach einem Kopf an Kopf rennen bei Elisabeth. Und wer weiß, vielleicht hat Lukas die Rolle so sicher, dass er nicht wieder hin muss ;)
Bitte ganz schnell weiter!!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 06.02.2015, 20:10:41

Blöde Situation, klar - aber ich drücke Anouk trotzdem die Daumen!

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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 12.02.2015, 11:52:17

Und schon sind wieder 6 Tage um, seit ich den letzten Teil gepostet habe :shock: Hier geht es weiter, viel Spaß!

Trotz all des Ärgers und der wirklich gedrückten Stimmung fühlte ich mich kribbelig vor Aufregung und Neugierde. Am Montag war ich erschöpft und unausgeschlafen, denn nach der Show hatte ich zum Bahnhof sprinten müssen, um den Zug zu erreichen, der auf halber Strecke eine Panne hatte und mich so erst um halb drei Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof absetzte. Um vier Uhr lag ich im Bett, und um acht Uhr saß ich schon wieder beim Frühstück. Trotz allem putzmunter.
„Das ist der Schlafmangel“, meinte meine Mutter, ehe sie arbeiten ging. „Erst bist du total wach. Aber warte mal, bis du gleich Bescheid weißt – dann lässt dich dein Adrenalin gnadenlos im Stich.“ Sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Viel Glück, mein Schatz.“
Die Zeit bis zur Abfahrt nutzte ich, um mit Liam zu telefonieren. Die Audition für Miss Saigon war um einiges besser, so meinte er, und das machte mich abwechselnd erleichtert und besorgt. London war schließlich ein paar Ecken von Düsseldorf entfernt. Aber das sagte ich ihm nicht.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als ich das Gelände des Capitols betrat – zu meiner Linken das Tanzhaus NRW, vor mir das Theater. Ich wurde im Foyer abgefangen und durch einige schwarze und graue Türen in die Büroräume des Theaters gebracht. Dort erwartete mich bereits ein ergrauter, etwas rundlicher, aber sehr netter Herr im Anzug, dessen Namen ich vor Aufregung mal wieder total vergaß.
„Setzen Sie sich doch“, sagte er. Ich nahm ihm gegenüber Platz und knöpfte meine Jacke auf. Im Gegensatz zu draußen war es hier angenehm warm.
„So, hatten Sie eine angenehme Reise?“
„Von dem zweistündigen Pannenstop mal abgesehen, ja“, antwortete ich.
„So etwas. Zwei Stunden!“ Er sah mich mitleidig an. „Nun, da brauchen Sie wohl dringend eine Entschädigung?“ Er lachte und zog den gefürchteten Papierstapel aus der Schreibtischschublade. „Das ist Ihr Vertrag“, lächelte er. Ich versuchte, mich schon einmal selbst zu beglückwünschen: du bist im Ensemble! Mit etwas Glück vielleicht die Gräfin Esterhazy!
„Sind Sie sehr aufgeregt?“
„Es geht“, antwortete ich. Er grinste noch mehr.
„Das kommt sicher noch. Wenn Sie für uns spielen.“
Ich atmete laut aus. „Oh. Gut! – Als wer?“
„Na, als Elisabeth natürlich!“, erwiderte und lachte mich an. „Herzlichen Glückwunsch, Frau Steger!“
Ich starrte ihn kurz völlig geplättet an. „Elisabeth?“, echote ich. „Unglaublich, wirklich?“ Mir kamen doch tatsächlich die Tränen vor lauter Überraschung. „Oh Mann. Tut mir leid. Aber das ist… Das hätte ich ja nie gedacht! Elisabeth! – Moment mal, als Cover oder…?“
Er schüttelte den Kopf. „Erstbesetzung, Anouk – ich darf doch Anouk sagen? Erstbesetzung, wirklich und wahrhaftig!“
Ich atmete tief ein und starrte auf meinen Vertrag. „Sagen Sie mir doch bitte ganz genau, warum“, bat ich.
„Können Sie es denn so schwer glauben?“
„Ehrlich gesagt dachte ich bis eben noch, ich sei bloß im Ensemble. Vielleicht die Gräfin, aber… nie und nimmer Elisabeth!“ Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Er stützte sein Kinn auf die Hände und sah mich eindringlich an.
„Die Produktion soll eine frische werden“, erklärte er. „Sie zeichnet sich nicht durch altbekannte, berühmte Stimmen aus wie… nun, wie die meisten anderen Inszenierungen in Deutschland. Sie gibt jungen Talenten eine Chance. Wenn Sie einen Blick auf die Besetzungsliste werfen, werden Sie kaum Berühmtheiten sehen – dafür aber jede Menge frische Absolventen. Wir wollen Energie, Frau Steger, Energie und eindrucksvolle, ausdrucksstarke Stimmen. Kurz und bündig: wir wollen Frische!“ Er stand auf und gab mir die Hand. „Sie haben auf ganzer Linie schauspielerisch und gesanglich überzeugt“, sagte er zum Abschied. „Wir hätten Sie liebend gern direkt genommen, aber wir mussten ja alle Runden durchziehen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen.“ Er führte mich aus seinem Büro.
„Also, Frau Steger!“ Lächelnd und sichtlich zufrieden reichte er mir die Hand. „Dann auf eine gute Zusammenarbeit!“
„Eine Frage noch!“, fiel ich ihm ins Wort, denn mir fiel etwas wichtiges ein. „Sie… informieren Sie nur die, die genommen sind? Oder werden auch die Darsteller angerufen, die… doch keine Rolle bekommen?“
„Ah, ein enttäuschter Kollege, was?“, erriet er sofort. „Aber nein, unser Zeitmanagement lässt das nicht zu. Wir kontaktieren nur, wer mitspielt.“
„Ah. Ach so. Na ja, das ist… Ein bisschen unhöflich, finden Sie nicht?“
Sein Lächeln verlor etwas von seiner Intensität. „Ich kann Sie verstehen, Frau Steger“, antwortete er, „aber Sie werden sicher verstehen, dass wir nicht immer über hundert Bewerber kontaktieren können, nur um ihnen eine Absage zu erteilen.“
Ich wollte sagen, dass es ja nicht so schwer war, eine Sammelmail zu erstellen und einen Verteiler einzurichten, aber ich biss mir auf die Zunge und nahm diese Ungerechtigkeit, die ja doch nur eine von vielen in unserem Milieu war, schweigend hin.

Ich traute mich noch nicht sofort nach Hause. Ich setzte mich in die Bahn und fuhr eine Weile ziellos durch die Stadt, bis ich am Rheinufer ankam. Es war kalt und windig, aber strahlender Sonnenschein, und ich kaufte mir eine heiße Schokolade und starrte auf das blau-graue Wasser, lauschte den Unterhaltungen der Passanten und dem Quengeln der Kinder und fühlte mich ganz eigenartig. Als schwebte ich in einer großen Seifenblase, mitten in der Wirklichkeit und doch komplett von ihr abgeschnitten. Nur langsam begriff ich, dass sich etwas ändern würde, mal wieder. Ich überlegte, wen ich zuerst anrufen sollte: Bertelin, Sarah, Lukas, Emmanuel, Liam… Meine Wahl fiel letztendlich auf Marius. Irgendwie war er immer das Bindeglied gewesen zwischen der Schauspielerin und dem Menschen in mir.
„Hallo, ich bin’s“, meldete ich mich, als er dranging. „Anouk. Hast du kurz Zeit?“
„Sicher“, erwiderte er, wenn auch etwas überrascht. „Was gibt es?“
„Ich wollte nur irgendjemandem davon erzählen“, begann ich zögernd.
„Wovon?“
„Dass ich… nun, dass ich Elisabeth bin.“ Ich wartete, aber es herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Elisabeth, verstehst du? Die Hauptrolle. Nicht ein Cover oder so, ich bin. Ich bin die echte Elisabeth! – Natürlich nicht die echte“, korrigierte ich. „Was sagst du dazu?“
„Was ich dazu sage?“
Ich wartete gespannt und mit klopfendem Herzen.
„Was ich immer gesagt habe: dass du ein Potenzial hast, das seinesgleichen sucht – und dass du es endlich, endlich voll ausschöpfen kannst! Bravo, Anouk!“
Ich musste grinsen. „Du bist auch nicht sauer, dass du nicht genommen bist?“, fragte ich.
„Woher weißt du denn das?“, fragte er, aber ich erkannte, dass es scherzhaft gemeint war.
„Weil der Intendant meinte, dass nur junge Darsteller genommen werden. – Nicht, dass du alt wärst“, fügte ich hastig hinzu, aber er hatte das Fettnäpfchen natürlich bemerkt und musste lachen.
„Na, das werde ich mir merken!“, sagte er. „Ich hätte gerne mal wieder mit dir gespielt, Anouk. Aber ich bin eigentlich ziemlich neugierig auf die kommende Produktion. Neue Gesichter tun der Branche gut. – Und jetzt solltest du ganz schnell allen Bescheid sagen und dich von den Vampiren ordentlich feiern lassen!“
Ich lächelte. „Gut. Mache ich.“
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 12.02.2015, 15:58:07

Endlich ist die Bombe geplatzt! Sehr schöner Teil. Ich hatte den "Herrn im Anzug" so verstanden, dass sie die Besetzungsliste schon sehen kann? Er sagte ja, sie solle einen Blick auf die Besetzungsliste werfen... Ich bin auf jeden Fall gespannt, wer da noch so mitspielen wird. Bitte bald weiter!
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Ophelia » 20.02.2015, 15:16:09

Ja, die Besetzung wird auch bald bekannt gegeben ;)

Wie nicht anders zu erwarten, waren alle völlig aus dem Häuschen. Sarah hörte gar nicht auf, mich zu beneiden und zu beglückwünschen.
Meine Mutter, die inzwischen natürlich mit der Wichtigkeit des Musicals vertraut war, weinte wie ich ein paar Freudentränen.
Liam küsste mich den ganzen Tag und drückte mich ständig und meinte, er habe ein verdammtes Glück, mit der schönsten Königin aller Zeiten liiert zu sein.
Bertelin, den ich ja eigentlich nur noch anrief, um zu prahlen, lobte sich wieder selbst und betonte zum tausendsten Mal, dass er mein Entdecker sei – und ob es nicht möglich wäre, ein Patent auf mich zu beantragen?
Meine Agentin, die das ganze natürlich ein paar Minuten vor mir gewusst hatte, war ebenfalls reichlich stolz auf mich, und als ich am nächsten Tag auf dem Rückweg nach Berlin war, nahm ich mir ein Herz und schrieb sogar Mrs. Paige ein paar Zeilen: ich bedankte mich für ihre Unterstützung beim Workshop und ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten, das sich nun bezahlt gemacht hatte.
Kaum zurück in Berlin, zog ich auch Linda ins Vertrauen, als Entschuldigung für die vielen verkürzten oder ausgefallenen Stunden in den letzten Wochen.
„Wow, ich bin bereits jetzt ein richtiger Insider!“, lachte sie. „Hoffentlich kann ich das für mich behalten! – Übrigens habe ich alle Unterlagen für die Bewerbungen abgeschickt.“
„Wirklich? Alleine?“ Ich hatte von alldem nicht wirklich viel mitbekommen.
„Ganz allein!“, bestätigte sie stolz. „Im November geht’s los: Essen, Hannover, Hamburg, München, Wien, Salzburg.“
„Wow. Das ist eine Menge!“ Ich sah sie streng an. „Tja, Frau Savari, dann heißt es wohl: üben, üben, üben!“
„Hast du denn jetzt wieder mehr Zeit?“
Ich winkte beruhigend ab. „Mehr, viel mehr. – Zumindest hoffe ich das schwer!“

Als ich am Dienstagabend das Theater des Westens betrat, begrüßte mich mein Ensemble mit Applaus und Sekt. Letzteres allerdings erst, als Emmanuel wieder verschwunden und der Intendant sich ins Büro verabschiedet hatte.
„Ich denke nicht, dass wir etwas trinken sollten!“, widersprach ich vorsichtig.
„Ich denke, schon“, entgegnete Mareike und drängte mir ein Glas auf. „Und, wie fühlst du dich?“
„Noch ziemlich erschlagen“, gab ich zu. „Ich kann es noch gar nicht richtig glauben.“ Ich zögerte kurz, aber dann sprach ich es doch aus: „Ich bin gerne Sarah.“
Sie lächelte ein wenig mitleidig. „Ich weiß. Wir haben doch alle die eine Rolle, die uns am meisten bedeutet, warum auch immer.“ Sie dachte kurz nach. „Weißt du, was schon immer meine Traumrolle war? Meine absolute Traumrolle?“
„Nein“, entgegnete ich gespannt.
Sie grinste. „Erklär mich für verrückt, aber so ist es: ich wollte schon immer mal Fräulein Windisch sein.“
Ich musste trotz ihrer Warnung ungläubig lachen. „Fräulein Windisch? Die hat doch nur einen Auftritt!“
„Aber was für einen!“, erwiderte sie verträumt. „Ich sage dir, irgendwann werde ich sie spielen. Ganz bestimmt!“
„Na dann viel Glück damit!“, wünschte ich ein wenig zweifelnd. „Es tut mir nur so leid für Lukas. Er war sich seiner so sicher…“
„Ich weiß. Er ist auch noch ziemlich sauer.“ Sie zuckte mit den Schultern. „So ist das Leben. Wir müssen alle mal einstecken können.“

In den folgenden Tagen gab es viel Papierkram und viele Telefonate für mich. Am spielfreien Montag traf ich mich mit meiner Agentin Viktoria, und wir gingen in aller Ruhe meine Verträge, Probenpläne, Reisekosten… durch.
„Also, Elisabeth, ja?“, begrüßte sie mich beschwingt in einer weitgehend leeren Bar. „Herzlichen Glückwunsch!“
„Danke!“ Ich hievte seufzend die Mappe mit den Unterlagen auf den Tisch. „Aber erst müssen wir uns hier durchquälen, dann können wir uns freuen. – Wie kündigt man übrigens einen Mietvertrag?“
Sie lächelte. „Immer mit der Ruhe. Ich helfe dir.“
Punkt für Punkt gingen wir alles durch. Viktoria war wirklich Gold wert – sie half mir, alles vertragliche zu verstehen, klärte mich in Sachen Kündigungsfrist noch mal richtig auf und setzte auch noch mal ein Schreiben mit mir auf, in dem ich mich offiziell von der Berliner Bühne zurückzog – für die Proben musste ich die Vampire nämlich schon früher verlassen, als ich bedacht hatte: die Produktion würde bereits im April starten, und wir hatten Mitte Oktober!
„Das sieht wirklich nach einem Mammutprojekt aus!“, nickte Viktoria. „Wann fangen die Proben an, sagtest du? Im Dezember?“
Ich nickte. Mir war ein wenig unbehaglich zumute.
„Dezember… Januar… Februar… März… Hm, viereinhalb Monate. Aber hier steht es ja auch: Von Dezember bis Mitte Februar probt ihr sechs, anschließend sieben Tage die Woche.“ Sie sah mich an. „Das wird hart.“
„Ich schaffe das schon. Die Zeiten, in denen ich Schule und Theater unter einen Hut bringen musste, sind ja Gott sei Dank vorbei.“ Ich wusste heute gar nicht mehr, wie ich das geschafft hatte – Wicked und eine Ausbildung, und dann Rebecca und die zweite Ausbildung.
„Vermutlich hast du noch keine Wohnung“, vermutete Viktoria.
„Ich bin sicher, für die ersten Wochen werde ich bei meiner Mutter wohnen können“, versicherte ich ihr. „Bis ich was gefunden habe.“
„Ich werde mich trotzdem schon einmal umsehen.“ Sie schob mir einen Zettel hin. „Schreib mal auf, wie viel du bereit bist an Miete zu zahlen. Ich mach das.“
Ich war wirklich erleichtert: „Danke, Viktoria!“, sagte ich von ganzem Herzen.

Schnell, viel zu schnell, war auch mein Dernieren-Termin festgelegt: ich würde am Sonntag, den 22. November, meine letzte Show spielen. So hatte ich noch eine Woche Zeit, um umzuziehen. Texte, Abläufe und so weiter würde ich ja tagsüber lernen können – vor den Shows. Aber als ich unterschrieb, dass ich aufhörte, war mir ganz traurig-feierlich zumute – hiermit hatte ich das Ende einer sehr schönen Zeit eingeläutet.
Und so ein Ende kommt ja bekanntlich immer schneller, als man es sich wünscht.
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon Gaefa » 20.02.2015, 15:57:32

Sehr schöner Teil! Allerdings halte ich 4 Monate für etwas lang, um eine Produktion einzuüben. So wie ich es mitbekommen habe, gab es z.B. für den Castwechsel zu AIDA damals "nur" ca 6 Wochen Proben. Also so 2 Monate oder knapp 3 würde ich noch nachvollziehen können, aber viereinhalb ganze Monate, ist wohl ziemlich viel für ein bekanntes Stück. Korrigiert mich, wenn ich was falsch in Erinnerung habe, aber das ist so mein Eindruck.
Ansonsten freue ich mich sehr, dass die meisten es so gut aufnehmen, dass Anouk die große Rolle bekommen hat! Bitte ganz schnell weiter :)
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Re: Mich trägt mein Traum

Beitragvon armandine » 23.02.2015, 21:16:40

Die Probenzeit erscheint mir auch etwas lang. Aber ansonsten bon ich schon ganz gespannt, wen sie dort treffen wird als Kollegen.


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