Inhalt: so, in diesem Oneshot geht es ausnahmsweise mal nicht um Darsteller. Ihr könnt euch natürlich gern gewisse Leute je nach Geschmack hinein denken
Und bevor einer protestiert, ich weiß, dass es historisch völliger Schwachsinn ist ^^ Inspiriert zu dieser kleinen Geschichte hat mich jedoch das Buch "Der lange Schatten eines Sommers", das auf besagte Gerüchte Bezug genommen hat.
Genre: Drama
Rating: P12
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Meereslied
von Sisi
Eine Möve bin ich von keinem Land,
meine Heimat nenne ich keinen Strand.
Normandie, 1875
Die Wogen peitschten wild gegen die raue steinige Küste der Bucht. Ein Sturm zog herauf. Schon immer hatte ich im Meer meinen Geliebten gesehen, dessen Leidenschaft mich jedes Mal aufs Neue überwältigte, wenn er mich in seiner Umarmung fing. Es konnte auch ruhig und sanft sein, wie zärtliche Küsse auf der Haut. Seine Kraft ließ sich nicht bändigen, sie wartete nur den Moment ab, erneut mit Urgewalt auszubrechen. Welch Ironie es doch war, dass ich jetzt auf die schroffe Küste dieser einsamen Bucht hinaus blickte, weil es Männer gab, die so sehr waren wie das geliebte Meer.
Und von allen diesen hatte jener mein Herz gefangen, den ich am wenigsten begehren durfte! Eine Liebschaft der Kaiserin mit einem unbedeutenden jungen Adelsspross wäre des Skandals genug gewesen. Aber nein, ausgerechnet einer meiner engsten Vertrauten, den mein Mann hauptsächlich mir zuliebe auf den Stuhl des Außenministers gesetzt hatte, musste es sein. Käme die wahre Natur meines Verhältnisses zu ihm jemals ans Licht, bliebe dem Kaiser keine Wahl, als ihn seines Amtes zu entheben und mich als Gattin zu verstoßen. Als mein Mann sah er stets über meine Anwandlungen hinweg, aber er war auch immer noch der Kaiser und deswegen würde er es diesmal nicht können. Zu oft schon hatte ich ihn verletzt, ihn, den ich nicht als Gatten, jedoch als engen Freund schätzte und liebte. Das verdiente er nicht, er war ein guter Mann.
„Aber ich bin keine gute Frau“, flüsterte ich heiser.
Als eine neuerliche Welle der Pein mich überrollte, musste ich mich keuchend an der Wand abstützen. Über die letzten Stunden waren die Wehen so stark geworden, dass ich mich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte. Wiederholt hatte ich versucht mich hinzulegen, doch dann überkam mich sofort wieder der Drang mich zu bewegen. Erschöpft ließ ich mich schließlich auf das Bett sinken, das abgesehen von einem Schrank, einer schmalen Kommode und einem Stuhl die einzige Einrichtung des kleinen Zimmers im Haus einer Fischerfamilie war.
„Mama!“ Valerie, die bisher mit ihrer Lieblingspuppe auf dem Boden gesessen war, kam zu mir und sah mich mit großen Augen an. „Kommt es jetzt??“
Ich zwang mich zu einem Lächeln, während ich meiner Tochter über die dichten Locken strich. „Bald, mein Liebling...“
Ehrfürchtig legte sie ihre Hände auf meinen geschwollenen Leib. „Beeil dich, damit Mama nicht mehr Schmerzen hat.“ Nach einigen Augenblicken sah sie wieder zu mir auf. „Warum können wir nicht bei Papa in Wien sein?“
„Es geht nicht, das habe ich dir doch schon erkl...“ Ich krümmte mich stöhnend unter einer weiteren Wehe. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und meine Hofdame kehrte zurück. Ihr Gesicht war blass, sorgenvoll. Viel mehr als mich beschäftigte sie der Gedanke, was passieren würde, sollte jemand entdecken, dass nicht etwa ein schwerer Sturz vom Pferd für meinen Rückzug in dieses abgelegene Dörfchen verantwortlich war, wie die Leute es annehmen sollten.
„Ich glaube das Kind will jetzt kommen“, keuchte ich, als die Pein wieder nachgelassen hatte. „Marie, bitte bring die Kleine hinaus.“
„Aber ich will bei dir bleiben, Mama!“ protestierte Valerie sofort und klammerte sich demonstrativ an meinen Arm.
Sanft jedoch bestimmt löste ich ihren Griff. „Nein, mein Liebling, du musst jetzt mit Marie gehen. Sei bitte artig, versprich es mir.“
Das Mädchen zögerte, schüttelte trotzig den Kopf und hätte gewiss widersprochen, jedoch die Hofdame nahm es bei der Hand, ging mit ihm aus dem Zimmer. Es tat mir leid, meine kleine Tochter einfach wegzuschicken, doch die Geburt sollte sie auf keinen Fall mitansehen. Marie hatte ich aufgetragen bei ihr zu bleiben, um sie zu beruhigen. Obwohl ich wusste, was auf mich zukam, hatte ich Angst. Franz Joseph war bei der Geburt unserer Kinder jedes Mal an meiner Seite gewesen, hatte meine Hand gehalten, aber jetzt war ich allein. Von der Hebamme abgesehen, die Marie eben zu mir geschickt hatte.
Die Worte, die die ältliche gemütlich wirkende Frau an mich richtete, verstand ich kaum, weil Schmerz mein Denken vernebelte. Ich versuchte mich an die Begegnungen mit ihm zu erinnern, denen dieses Kind, das ich im Begriffe war zu gebären, seine Zeugung verdankte. Wir hatten uns immer wieder in einer aufgegebenen Jagdhütte getroffen, die wir erstmals als Unterstand genutzt hatten, als wir beim Ausritt von einem plötzlichen Gewitter überrascht worden waren. Unter einer weiteren Wehe verschwamm auch dieses Bild vor meinem inneren Auge. Der Druck in meinem Unterleib wurde so stark, dass ich glaubte zerspringen zu müssen. Ich hörte mich selbst schreien, bis die Pein auf einmal vorbei war und ein neues Geräusch erklang. Mein Kind schrie sich in diese Welt. Erschöpft und unglaublich erleichtert ließ ich mich zurück ins Kissen sinken. Die Hebamme legte mir behutsam das winzige zappelnde Geschöpf auf den Bauch.
„Meinen Glückwunsch“, sagte sie lächelnd. „Sie haben einen gesunden starken Jungen geboren.“
Liebevoll betrachtete ich den kleinen Buben, strich ihm vorsichtig über das weiche rabenschwarze Haar. Er war ein ausgesprochen hübsches Kind. Seine winzigen Finger schlossen sich um meinen, den ich ihm darbot, und er wimmerte leise. Bestimmt war er hungrig, seine erste so wichtige Mahlzeit sollte er von mir erhalten. Mit zittrigen Fingern öffnete ich die obersten Knöpfe des nass geschwitzten Hemds und legte ihn behutsam an die Brust. Er saugte gierig und kräftig. Valerie war damals viel vorsichtiger und scheuer gewesen, sie zu stillen hatte ich mir nicht nehmen lassen, nachdem mir bei meinen älteren Kindern erklärt worden war, das nicht tun zu müssen wäre ein Privileg.
Auf einmal kam meine Tochter zu mir gelaufen. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie wieder in das Zimmer gekommen war. Marie blieb für einen Moment in der Tür stehen, ehe sie sie sacht wieder schloss, um mir diesen Augenblick mit meinen Kindern zu geben.
Valerie betrachtete den Säugling ehrfurchtsvoll. „Oh, wie niedlich!“
„Adrien...“, flüsterte ich. Ja, diesen Namen sollte er tragen. Für immer sollte das geliebte Meer ein Teil von ihm sein. Das war das einzige Geschenk, das ich ihm mit auf seinen Lebensweg geben konnte.
„Kann er wirklich nicht bei uns bleiben?“ fragte meine Tochter leise.
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Du weißt, dass das nicht geht. Dein einziger Bruder ist Rudolf, etwas anderes darfst du niemals sagen! Das ist ganz wichtig. Bewahre die Erinnerung an diesen Moment gut in deinem Herzen auf. Es ist unser großes Geheimnis, deins und meins. Sprich nicht einmal mit Marie oder Ida darüber, auch wenn sie die Wahrheit kennen.“
„Wieso darf Papa denn nichts von ihm wissen? Er hat mich lieb, er würde ihn doch auch lieb haben.“
„Er kann nicht... Ich werde es dir erklären, wenn du ein wenig älter bist, mein Liebling.“ Die kindliche Unschuld meiner Tochter ließ mich bitter lächeln. Sie war noch viel klein, das zu verstehen, in ihrer Welt war alles so einfach. Eines Tages würde sie lernen wie schwierig das Leben sein konnte.
Inzwischen hatte Adrien sich satt getrunken, er gähnte herzhaft und schlief bald darauf ein. Er war der Prinz für Ungarn, den ich mir so gewünscht hatte, und sein Vater hätte ihn von Herzen geliebt, doch es durfte einfach nicht sein. Nicht in diesem Leben. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich ihm eindringlich gesagt, dass wir uns nicht mehr treffen konnten.
Nachdenklich studierte ich die Holzmaserungen an der Wand. Erst als ich seine Hand auf meiner Schulter spürte, sah ich auf. Es war Wochen her, dass wir zusammen hier in der Jagdhütte gewesen waren. Dies sollte das letzte Mal sein, auch wenn es mir unglaublich schwer fiel, ihn zurück zu weisen.
„Erzsébet, was beschäftigt dich so?“ fragte er ganz dicht an meinem Ohr. „Ist denn diese Wand interessanter als ich?“
Ich konnte mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, schüttelte den Kopf. „Gewiss nicht, mein Lieber.“ Rasch wandte ich mich ab, als er begann meinen Hals mit liebevollen Küssen zu bedecken. „Bitte... hör auf.“
Verwundert leistete er Folge, seine dichte Braue wanderten in die Höhe. „Willst du mir nicht verraten, was dich bedrückt?“
„Gyula... wir dürfen uns nicht mehr sehen, das muss aufhören!“
„Was?“ entgegnete er überrascht. „Aber wieso? Glaubst du, dass jemand Verdacht geschöpft hat? Ahnt dein Mann etwas?“
Ich stieß ein demonstratives Seufzen aus. „Nein, noch nicht jedenfalls. Aber wir sind zu unvorsichtig geworden, unser Zusammensein ist nicht folgenlos geblieben...“ Die Verwirrung stand dem armen Mann ins Gesicht geschrieben. Ich nahm seine Hand, legte sie auf die bereits fühlbare Rundung meines Bauches. „Dein Kind wächst in mir.“
Er riss ungläubig die Augen auf. „Erzsébet... ist das wahr?“
„Ja, und deshalb dürfen wir nicht so weiter machen! Verstehst du jetzt?“
„Du weißt ich würde es lieben, wenn es mir erlaubt wäre. Aber du kannst es nicht zur Welt bringen... ich wünschte du hättest es mir nie gesagt.“
Bestimmt hielt ich ihn davon ab seine Hand zurück zu ziehen, sah ihm in die Augen. „Doch, das werde ich tun, irgendwo an einem abgeschiedenen Ort. Das Kind trägt keine Schuld daran, dass es nicht ehelich gezeugt wurde. Es hat das Leben verdient, jedoch niemals als unser Fleisch und Blut.“
Sein Blick war unsagbar traurig. Ich wusste er würde sein Kind sofort zu sich nehmen, wäre es nur möglich. Seine Frau würde die Wahrheit als erste erkennen. Und ich hatte zu lange nicht mehr mit dem Kaiser das Bett geteilt, als dass er das kleine Wesen, das in mir wuchs, als seinen Nachkommen anerkennen konnte. Er durfte es niemals erfahren.
Die hölzernen Fensterläden ächzten unter dem Sturm, der jetzt seine volle Kraft erreicht hatte. Es blitzte und donnerte. Das Meer gebärdete sich wie ein rasender Gott, dessen Gewalt vollkommen entfesselt war. Adrien schlief davon unberührt in meinen Armen. Auch ich sehnte mich nach Ruhe, ich war so erschöpft, doch wollte ich die letzten Momente mit meinem Buben noch bewusst erleben. Valerie saß schweigend am Bettrand, betrachtete den schlafenden Säugling. Sie vergaß sogar sich vor dem Lärm des Gewitters zu fürchten, wie sie es sonst meist tat.
„Jetzt wo ich dich in den Armen halte, möchte ich dich am liebsten nicht mehr hergeben“, sagte ich leise zu dem Kleinen. „Du wirst für immer ein Teil von mir sein, auch wenn ich gezwungen bin, dich aufzugeben. Hier wird es dir besser ergehen als jemals bei mir... ich bin nie eine gute Mutter gewesen...“
Ich sah auf, als jemand den Raum betrat. Die Frau des Fischers war gekommen, um ihren Ziehsohn zu sich zu nehmen. Ein letztes Mal strich ich Adrien behutsam über das dichte dunkle Haar und drückte ihm einen federleichten Kuss auf die Stirn. Dann nahm sie ihn mir aus den Armen.
„Er wird es gut bei uns haben, das verspreche ich Ihnen.“ Sie bedachte mich mit einem aufmunternden Lächeln.
„Leb wohl, Adrien...“, flüsterte ich, schluckte und wandte mich um, als sie den kleinen Buben für immer aus meinem Leben fort trug. Stumme Tränen tropften auf das Kissen. Valerie kuschelte sich an mich.
Anm: die Zeilen zu Beginn stammen aus dem poetischen Tagebuch Elisabeths. Mit Marie ist die Gräfin Marie Festetics gemeint.