Kein Pardon
Musikalische Komödie Leipzig – Donnerstag, 15.6.2017, 19.30 Uhr
Nachdem ich das Stück immerhin zweimal in Düsseldorf gesehen hatte, war ich erfreut über die Gelegenheit, das Stück wieder sehen zu können. Die Ankündigung des Theaters, das Musical mit größerem Ensemble und „richtigem“ Orchester umsetzen zu wollen, ließ eine gewisse Spannung und Vorfreude aufkommen. Wo und wie werden die zusätzlichen Darsteller eingesetzt werden? Wie wird die Musik statt von einer Band von einem Orchester gespielt klingen?
Das Mehr am Ensemble entpuppte sich als Mitglieder des Hausballetts, die das Fernsehballett darstellten. Entsprechend haben sie nicht gesungen, sondern die anderen Ensemblemitglieder, teils im Hintergrund, teils backstage. Das ist logisch, singt doch so ein Fernsehballett in „Echt“ auch nicht. Auf der Musicalbühne mutet es aber manchmal komisch an, wenn man Leute tanzen sieht und Stimmen singen hört, die singenden Personen aber nicht.
Der Abgang von Heinz Wäscher in zweiten Akt wird mit dem verfügbaren Personal nun deutlich opulenter umgesetzt. Da tritt sogar das Fernsehballett für ihn bzw. mit ihm nochmal auf. Für sich genommen sieht es erstmal nett aus. Ob es Sinn macht, jemandem, der gerade gefeuert wurde und nun eigentlich allein da steht, nochmal die große Bühne zu bieten? Auch dass hier der Heinz Wäscher dem Dirigenten noch Anweisungen geben darf, während er durch das Publikum den Saal verlässt, geht mir etwas zu weit.
Wie die Musik gespielt von einem Orchester klingt, kann ich immer noch nicht sagen. Denn leider entpuppte sich die Tontechnik als absolute Katastrophe! Die Musik kam als ein einziger, undifferenzierter, schwammiger Klangbrei daher, in dem es fast nicht möglich war, Instrumente oder die Größe des Orchesters herauszuhören. Lediglich bei den rockigeren Songs von Ulla konnte man anfangs die E-Gitarre vernehmen, die aber im Laufe der Lieder auch wieder im Klangbrei unter ging. Zudem klang dieser wabernde Musikteppich oft auch sehr dumpf.
In einer Szene wurde dies als Kunstgriff absichtlich noch verstärkt. Als Heinz Wäscher das erste Mal auftrat, wurde der Klang so verändert, dass er wie aus dem alten Fernseher klang. Das macht Sinn und ist dann auch recht witzig.
Leider litt in dieser Tonabmischung auch der Gesang. Die Hauptdarsteller waren bei ihren Soli überwiegend gut zu verstehen. Sobald mehrere Stimmen gleichzeitig ertönten, war es mit der Verständlichkeit schnell vorbei. So gingen so einige Passagen der Solisten völlig unter, der Text des Ensembles war oft genug eher zu erahnen.
Durch das Erahnen konnte ich immerhin bemerken, dass einige Textpassagen im Vergleich zur Düsseldorfer CD-Aufnahme überarbeitet wurden. Der eine oder andere Witz ist dabei auch unter gegangen, darunter auch der Tagesschau-Jingle am Ende des Finales oder das „Mein Gott“ von Opa Schlönzke, ein paar andere Sprüche kamen dazu. Aber auch so funktionierte die Version.
Das Ende des ersten Aktes kommt weiterhin nach Peters Wutausbruch während der Fernsehsendung, hier jedoch nicht als plötzlicher Abbruch („technische Störung“), sondern schlicht als Ende einer Szene. Heinz Wäscher darf noch versuchen, die Szene zu retten, indem er das Talent des Jahres auch ohne Briefchen aufruft. Dann geht der Vorhang runter. Merkwürdig, wo sich der Fernsehmoderator sonst nie was ohne Schilder merken kann.
Schwieriger ist die Idee der Regie, das Stück nun mit dem Glücksmelodie-Automaten anfangen zu lassen. Peter Schlönzke fährt mit dem Rad zufällig auf der Bühne an dem Automaten vorbei, lässt sich seine Glücksmelodie geben, fährt wieder von der Bühne und im nächsten Moment sind wir schon bei der Familie Schlönzke zu Hause. Die alte Eröffnungsszene mit dem kleinen Peter vor dem Fernseher sowie das Lied „Bottrop Beach“ sind ersatzlos gestrichen. Dadurch wird aber bis in den zweiten Akt hinein gar nicht klar, wo das Stück spielt. Erst als Hilde Schlönzke im zweiten Akt von ihrem Sohn „Uns Peter aus Bottrop“ singt, erfährt man beiläufig den Handlungsort. Leider sorgte dies zwischendurch im Publikum für Verwirrung, insbesondere dann, wenn die Mutter ganz klar mit ruhrgebietlerischer Aussprache daher kam (Ihr „Dat“ war am auffälligsten). So richtig deutlich wurde der Handlungsort erst ganz am Ende des Stücks, als Opa Schlönzke in seinem Song vom Ruhrgebiet sprach. Das war spät.
Alle anderen Rollen hielten sich mit Akzenten oder Dialekten eher zurück. Leider gilt das auch für Heinz Wäscher, dessen hessisches Gebabbel eher in Spurenelementen vorkam. Während in den Liedern der eine oder andere Ausdruck hessisch angehaucht daher kam, war in den Sprechpassagen davon kaum etwas zu hören.
Angepasst wurde natürlich das Anheizen des Publikums. Da die Rolle des Hardy Loppmans gestrichen wurde, durfte Walter diesen Part übernehmen. Statt des alten, typisch Düsseldorfer Klischees zwischen Köln und Düsseldorf, durften hier nun die Dresdener für die Stufe 1 des Applauses her halten.
Das Bühnenbild ist gut gemacht, sieht schön nach 80er Jahre aus und ist meist recht schnell umgebaut. Teilweise ergeben sich durch die Umbauten merkwürdige Solo-Einschübe, bei denen eine Rolle nochmal extra „Tralala“ singt oder eine weitere Drehung tanzen darf, bis dahinter das neue Bühnenbild steht. Die meisten dieser Momente wirken einfach nur hilflos. Man sieht ihnen den Zweck der Überbrückung sehr deutlich an.
Auch wirkt die Bühne recht eng zugestellt. Besonders das Haus der Familie Schlönzke steht sehr weit vorne, so dass scheinbar viel Tiefe der Bühne verschenkt wird.
Die Kostüme passen zu den 80er Jahren, sehen sehr realistisch und typengerecht aus, ohne durchgeknallt oder zu trist zu wirken.
Die Besetzung:
Peter Schlönzke: Benjamin Sommerfeld
Bei seinem ersten Solo fiel seine deutliche Atmung durch die Nase sehr auf. Die Teens hinter mir veranlasste es, das Schnaufen zu imitieren. Keine Ahnung, ob das Absicht war oder die Folge einer verschnupften Nase. Als Stilmittel kann ich es jedenfalls nicht empfehlen, zumal dies bei der Tontechnik sehr gut zu hören war.
Heinz Wäscher / Uschi Blum: Cusch Jung
Wie bereits oben geschrieben, habe ich den hessischen Dialekt vermisst. Als Uschi Blum fand ich seinen Auftritt fast beeindruckender. Hier kam in dem kurzen Moment fast mehr an Ausdruck rüber als beim Fernsehstar. Dieser wurde eigentlich erst ganz am Ende des Stücks greifbar. Selbst sein Abgang (siehe oben) war eher wegen dem Drumherum interessant.
Hilde Schlönzke: Iris Schumacher
Sie hat die Rolle bereits in Düsseldorf gespielt und das merkte man auch. Sie war einfach versiert in allen Facetten des Charakters und in der Aussprache.
Oma Hilma Schlönzke: Anne-Katrin Fischer
Sie war eine herrlich verschrobene, einfach gestrickte Omma mit dem Herz am rechten Fleck. Schön.
Opa Hermann Schlönzke: Hans-Georg Pachmann
Seine trockene Art war ein schöner Gegensatz zu den quirligen Damen. Leider scheint der Gesang nicht seine Stärke zu sein. Bei seinem einzigen Lied durfte Omma Schlönzke die zweite Strophe mitsingen und seine Passagen muteten mehr wie Sprechgesang an.
Karin: Nora Lentner
Als Kaffeanreicherin war sie schön quirlig, für die anderen Rollen passend nervig - außer für Doris, für die sie die „Bremse“ war. Später als Fernsehmoderatorin war sie herrlich versnobt. Ihre Art, jede Frage mit „Hnhnhnhn“ zu unterbrechen, war manchmal aber schon zu viel des Guten.
Bertram: Andreas Rainer
Doris: Sabine Töpfer
Walter: Michael Raschle
Alle drei haben ihre teils desillusionierte, teils durchgedrehte, teils frustrierte Rolle sehr gut ausgelegt. Bei allen dreien waren alle Elemente zu finden, wobei immer klar war, wer welchen Schwerpunkt bei diesen Eigenschaften hat.
Ulla: Julia Waldmayer
Sie spielt den Fremdkörper in dem Stück, der optisch, von der Art her und musikalisch aus dem Rahmen fällt. Das bringt sie gut rüber, ohne den Bezug zum Stück zu verlieren. Schön.
Bettinas Mutter / Irmgard: Angela Mehling
Als Mutter hat sie echt ein feines Kabinettstückchen abgeliefert. Alleine ihre Art mit den X-Beinen zu stehen ist herrlich. Auch als Tante Irmgard wirkt sie herrlich verschroben.
Bettina: Mathilda Werner
Ihre Bockigkeit ist einfach toll. Wie ausdauernd verkniffen sie auf der Bühne stehen kann ist bewundernswert.
Frau Michowski: Martina Wugk-Kraft
Aufnahmeleiter: Georg Führer
Frau Becker (Jodlerin): Antonia Schneider
Nonne: Christa Paarsch
Goldfischmann: Samuel Hoppe
Operettentenor: Uwe Kronberg
Indianer: Roland Otto
Zu diesen Rollen lässt sich nicht viel sagen, außer dass sie ihre Sache gut gemacht haben. Da ihre Rollen teils nur einen wenige Sekunden dauernden Solo-Auftritt hatten und sie sonst irgendwo im Ensemble mit liefen, lässt sich nichts differenziertes über sie sagen. Aber es ist nett, dass sie im Programmheft namentlich aufgeführt werden.
Beim Aufheizen des Publikums meinte Bertram, man könne beim Ausrasten nichts falsch oder kaputt machen, da das Haus aktuell sowieso eine Baustelle sei. Möge die Tontechnik auch umgebaut werden! Sie kann einem den Spaß an dem Stück glatt verderben. Witzigkeit kennt hier doch seine Grenzen.