Schlosstheater Fulda – Donnerstag, 11.8.2011, 15.00 Uhr
Wie gesagt: Vorsicht, lang!
Das Stück beginnt mit einem Prolog, in dem Johanna als Mann zum Papst gekrönt wird. In einer Rückschau sieht sie unten den Moment nach ihrer Geburt, als ihr Vater, der Dorfpriester, sie in den Arm gelegt bekommt und er über sie enttäuscht ist: „Per mulieren culpa successit“ - Durch eine Frau begann die Sünde. Johanna versucht, die Szene unter ihr zu erreichen, woran sie dunkle Wesen hindern.
Die weiteren Szenen erzählen Johannas Geschichte in biografischer Reihenfolge, angefangen bei der Kindheit unter dem tyrannischen Vater und der unterdrückten Mutter, über die Zeit in der Domschule, dem Leben im Kloster, ihrer Flucht von dort und der Ankunft in Rom (Ende erster Akt), sowie ihren Aufstieg vom Leibarzt und Nomenklator des Papstes über ihre eigene Papstweihe bis zu ihrem baldigen Tod.
Um diese Geschichte zu erzählen, fungiert Aeskulapius, zunächst Lehrer der Domschule, später Haushofmeister des Papstes, an einigen Stellen als Erzähler. Innerhalb einer Szene in der Domschule erfolgt der Wechsel von Johanna als Kind zur jungen Frau Johanna, welche er erläutert. Dabei wird die kleine Johanna von der Bühne getragen, während die große Johanna durch einen anderen Eingang die Bühne betritt und sich beide einen Moment in die Augen schauen. Auch das Ende wird von Aeskulapius erklärt, indem er erzählt, was direkt nach Johannas Tod geschieht.
Neben den ganz normal mit Johanna agierenden Rollen gibt es 3 Figuren, die nur für Johanna erkennbar sind. Als Kind erfährt Johanna von ihrer Mutter von nordischen Gottheiten, darunter 2 Raben, von denen sie ihr Leben lang begleitet wird. In vielen gefährlichen Situationen beschützen sie beide Raben. Wenn Johanna zum Schluss stirbt, liegen auch beide Raben tot auf der Treppe.
Zudem taucht mehrfach die heilige Katharina auf. Meist bleibt das Vorbild Johannas im Hintergrund und beobachtet Johanna. Bei ihrem Wandel von einer Frau zu einem scheinbaren Mann greift sie ins Geschehen ein und hilft Johanna beim Anlegen der Mönchskutte.
Die Bühne wirkt im ersten Augenblick klein, hat aber mehr Tiefe als erwartet. Nur wird die Tiefe meist nicht genutzt, dafür die Höhe. Das Bühnenbild besteht aus einer großen Drehbühne, die sich recht laut und langsam bewegt. Sie zeigt die Behausung des Dorfpriesters auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist ein Holzgerüst, das mittels verschiedener Hintergrundbilder, einigen Möbeln und einer großen, zweiteiligen Treppe die verschiedensten Orte darstellen kann. Besonders die Treppe kommt häufig zum Einsatz. Auf ihr finden zahlreiche Aktionen statt. Manchmal dient bei geteilter Fläche der Zwischenraum als weitere Spielszene. So tummeln sich z.B. auf der Treppe die Bewohner Roms, während dazwischen das Krankenlager des Papstes Sergius zu sehen ist.
Zudem gibt es in 2 Szenen ein Transparent weit vorne, so dass die Tiefe des Raumes noch kleiner wird und das Geschehen direkt an der Rampe spielt. Das geht in den Szenen auch in Ordnung, zumal dahinter wieder umgebaut wird. Es zeigt allerdings eine Tendenz, die in einigen anderen Szenen auch deutlich wird: Die Tendenz nach vorne zur Rampe. Besonders fällt im ersten Akt das Lied „Zum Ruhme der Familie“ auf, bei der beide Protagonisten auf der Treppe stehen und brav ihren Text singen. Ansonsten ist von (Inter-)Aktion recht wenig zu sehen, zumal ihr Mitspieler gerade „tot“ auf der Treppe liegt.
Die Musik ist vorproduziert und per Playback eingespielt. Das ist schade, tut der Qualität dank guten Timings auf der Bühne und sehr guter Tontechnik und Akustik wenig Abbruch. Immerhin bekommt man so ein hervorragendes Orchester zu hören, das alle Stile der Musik klar heraus spielt.
Die Musik umfasst eine große Bandbreite von choralem Mönchsgesang über mittelalterliche Klänge eingebunden in Popmusik bis zu rockigem Sound für den tyrannischen Vater. Bedingt durch die Geschichte sind die meisten Lieder ruhig, bedrückt oder kämpferisch. Sehr viel positive Stimmung beinhalten Geschichte und Musik nicht. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Bewohner Roms sehr fröhlich zu flotter Musik über die Treppe tanzen und im ersten Teil des Liedes „Ewiges Rom“ gut gelaunt die ganzen Missstände samt Untergang der Stadt besingen. Etwas gute Laune musste halt mal sein.
Nichtsdestotrotz geht das Lied ins Ohr, wie so einige andere Nummern auch. Nicht jedes Lied ist gleich ein Ohrwurm, einige Zeilen bleiben sofort haften oder prägen sich bei den Reprisen nach und nach ein. Dabei halten sich die Reprisen im akzeptablen Rahmen und sind dramaturgisch sinnvoll platziert. Ein paar Lieder dürften es ohne visuellen Eindruck allerdings schwerer haben.
Zur Aufheiterung sorgt auch ein Spruch des Papstes Sergius, der voller spontaner Bewunderung: „Oh Fulda...“ ausruft und die Stadt als wunderbaren Ort bezeichnet. Entsprechend groß war das Gelächter unter den anwesenden Einwohnern der Stadt im Publikum!
Die Besetzung:
Päpstin Johanna: Sabrina Weckerlin
Sie beginnt, abgesehen vom Prolog, in der Mitte des ersten Aktes. Dass Sabrina eine eindrucksvolle, kräftige Stimme hat, dürfte nichts neues sein. Ihr Spiel ist ebenfalls sehr ausdrucksvoll und lässt Johannas Einsamkeit, Verzweiflung und Versteckspiel auf der einen, ihre Sehnsucht zu Gerald und der Wunsch nach Anerkennung auf der anderen Seite klar und nachvollziehbar wirken. Sie ist stets deutlich präsent auf der Bühne, ohne ihre Kollegen in den Schatten zu stellen. „Lustig“ war ihr Schreiben in der Domschule, da sie mit rechts schrieb, ihre kleine „Vorgängerin“ allerdings mit links. Was ich mich nur frage, ist, wo unter der Perücke ihre eigene Lockenpracht versteckt bleibt?!
Gerold: Mathias Edenborn
Er spielt er seine Rolle sehr liebenswürdig und warmherzig. Als Unterstützer und Freund von Johanna ist er durchweg überzeugend. Eigentlich ist klar, dass er an Johannas Versteckspiel verzweifelt, dennoch kommt sein erneuter (versuchter) Bruch mit ihr am Ende des Stücks etwas unerwartet. Das dürfte allerdings eher am Buch liegen, das ihn im zweiten Akt sehr lange aus den Augen verliert. Sehr schön ist seine passend warm klingende Gesangsstimme mit exzellent klarer Aussprache.
Anastasius: Niklas Gertl (2. Besetzung)
Nach anfänglicher Zurückhaltung und Unsicherheit auf „höherem Parkett“ wandelt er sich in der Rolle zum Bösewicht und Fiesling schlechthin, der im Laufe der Zeit immer schlimmer wird. Fantastisch, wie er diese Entwicklung sowohl körperlich als auch stimmlich darstellt.
Mutter/Marioza Isabel Dörfler
Als Mutter von Johanna ist sie eine gebrochene, verzweifelte Frau, die selber stets „Kind“ zu ihrer Tochter sagt, innerhalb ihrer gewohnten Religion auftaut und ihre warme, liebevolle Seite zeigt. Als Marioza zeigt sie das genaue Gegenteil: Selbstbewusst, verführerisch, berechnend. Beide Seiten beherrscht sie so glaubwürdig, dass man sie ohne Castliste für 2 verschiedene Personen halten könnte! Klasse!
Fulgentius/Rabanus: Dietmar Ziegler
Als feierfreudiger Bischof Fulgentius hat er gerade mal eine Szene zu spielen. Diese gelingt ihn durchweg eindrucksvoll. Sein Solo als Abt Rabanus bringt ihm spontan Szenenapplaus ein, da er das Lied mit großer Stimme eindrucksvoll präsentiert. Schön!
Vater/Papst Sergius: Norbert Conrads
Bei ihm hat die Maske ganze Arbeit geleistet, obwohl sich die Unterschiede zwischen seinen Rollen der Bart (Vater ja, Papst nein), die Frisur und den Körperumfang beschränken. Dennoch erkennt man den selben Darsteller nur schwer wieder. Das wird von seiner Spielweise deutlichst unterstützt. Sein Vater und Dorfpriester ist laut, tyrannisch, kraftvoll. Sein Papst ein weicher, teilweise hilfloser Mann, der nur mit Unterstützung Herrschaft demonstrieren kann. Zudem gehören ihm mit dem Fulda-Ausspruch und seiner Reaktion auf Johannas Medizin („Blüäh!“) die Lacher des Abends.
Aeskulapius: Daniele Nonnins
Der zweite Mann, dem die Sympathien so zufliegen dürften. Sein Aeskulapius ist gelehrt, fürsorglich, mit warmer Stimme, starker Präsenz. Einfach großartig! Dass in ihm auch ein Spaßvogel steckt, wurde nach der eigentlichen Vorstellung klar... Er scheint seit der Foto-Session für das Programmheft eine neue Perücke bekommen zu haben. Im Programmheft hat er in der Domschule sehr lange Haare, auf der Büne habe ich ihn stets mit kurzen Haaren gesehen. Letzteres sieht deutlich besser aus. Die langen Haare erinnern doch sehr an den Magier aus „Tabaluga“...
Arsenius: Jogi Kaiser
Schöne Stimme, gute Bühnenpräsenz. Leider fehlt seiner Rolle etwas Entscheidendes: Entwicklung. Am Anfang präsentiert er sich mit großem Machtanspruch, am Ende bezeichnet ihn sein Sohn Anastasius als Feigling. Wie es dazu kommt, bleibt auf Seiten Arsenius´ unklar. Bis auf ein paar Auftritte mit seinem Sohn hat diese Rolle nichts zu tun, so dass dem Darsteller buchbedingt nicht viel Platz für Entwicklung bleibt. Schade.
Richild: Tabea Grün (2. Besetzung)
Diese Rolle (Geralds Frau) hat ein paar Szenen in der Mitte des ersten Aktes zu spielen, in denen sie ihre Abneigung gegenüber Johanna deutlich macht. Davor/danach erscheint diese Rolle nicht mehr. Die wenigen Momente nutzt sie bestens, um mit Fiesheit und berechneten Strategien schauspielerisch Eindruck zu hinterlassen. Zu singen hat sie in dieser Rolle nichts.
Lothar: Marcus G. Kulp
Der Kaiser und eigentlich Gegenspieler des Papstes Sergius ist selber eine politische Niete und präsentiert sich dadurch als „Spiegel“ der anderen Rolle. Die Hilflosigkeit und das Desinteresse an politischen Dingen außer der eigenen Macht bringt er deutlich rüber.
Johannes: Matthias Bollwerk
Sein Part umfasst fast genau so wenig, wie die der Richild. Er sing nichts alleine, er agiert nur wenige Szenen im ersten Akt und hat keine Chance, seine Rolle zu entwickeln. Allerdings sieht er dem jungen Johannes verblüffend ähnlich.
Kleine Johanna: ??? laut Castliste Fabiola Kaminski, laut Bildschirm am Souvenierstand Pia Heidrich, ich denke vom Gesicht her war es Pia.
Wer auch immer es war, sie hatte die erste Hälfte des ersten Aktes viele Szenen zu spielen und dies sehr gut gemacht. Sie wirkte sehr sicher auf der Bühne, besonders in den Szenen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder agierte sie locker. Textlich sicher wirkten diese manchmal noch etwas aufgesagt.
Kleiner Johannes: Johannes Uth
Deutlich größer und stabiler als seine kleine Schwester wirkte er in der Rolle passend unbeholfen. Die Lernschwierigkeiten seiner Rolle konnte er sehr glaubhaft darstellen. Schön, wie sicher er sich auf der Bühne auch sprachlich bewegte.
Soweit die Angaben der Castliste.
Das Ensemble wurde nur auf dem Bildschirm angegeben, aber leider so klein und schnell, dass ich es weder mitschreiben noch auswendig lernen konnte. Folgende Besetzungen des Ensembles konnte ich noch herausfinden: Dennis Henschel und Sascha Kurth, sowie als heilige Katharina: Evita Komp.
Die Raben: Yasuko Kayamori und ich nehme an Wolfgang Schwingler (er steht als einzige Zweitbesetzung Rabe im Programmheft und die Erstbesetzung spielte Anastasius)
Die Namen der Amateur-Darsteller waren quasi nicht lesbar, die Namen der weiteren Kinder wurden erst gar nicht angegeben. Schade, auch wenn die 6 Kinder nur in einer Szene in der Domschule mitwirken und einige Zeilen des Liedes „Wechselbalg“ singen.
Die übliche Ansage bezüglich der Handys führte im halben Saal zu aufgeregtem „Ach ja“ und „Oh!“ -Gemurmel und jede Menge Gewühle in den Taschen. Für Erheiterung sorgte die Aussage, man wünsche uns einen schönen Abend im Theater. Abend – bei der 15 Uhr-Vorstellung! Aber es erwartet nicht ernsthaft jemand eine eigene Ansage für eine zusätzliche Nachmittagsvorstellung!? Bildaufnahmen wurden natürlich auch untersagt und mit dem Hinweis versehen, dass es genug Erinnerungsfotos im Programmheft gäbe!
Das Programmheft ist ein große Hochglanz-Magazin größer als Din-A4 mit einigen Infos zum Stück, der Synopsis, der Szenenübersicht und Doppelseiten-weise tollen Fotos. Und das für gerade mal 8€. (Liebe SE, bitte mal nachmachen!) Innenliegend gibt es ein Extraheft mit der gesamten Cast (schön: einige Kinder stellen sich selber vor, nicht schön: bei 2 Kindern steht der selbe Text), einem doppelseitigem Poster in Din-A3 von Sabrina Weckerlin einmal als Päpstin und einmal als Johanna im Hochzeitsgewand, inklusive aufgedruckter Unterschriften.
Am Ende der Vorstellung hielt „Aeskulapius“ Daniele Nonnins eine Rede und bat um Spenden für die deutsche Palliativstiftung. Die „Rede“ war sehr unterhaltsam! Sie begann damit, dass er sich eine Sonnenbrille von einer Frau aus der ersten Reihe geben lies und sie aufsetzte: „Mann waren wir heute wieder gut!“. Er gab sie der Frau zurück mit dem Kommentar, auch so eine Brille haben zu wollen.
Dann bedankte er sich für den Applaus und fragte das Publikum: „Oder wollt ihr noch weiter machen?“ Nach anfänglicher Verwunderung wurde doch nochmal kurz weiter geklatscht. Dies wurde von ihm beendet: „Ich höre gerade, unsere Päpstin hat Hunger. - Bist du nicht tot? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr!“
Bis kommenden Sonntag noch, dann sei nach gefühlten 2 Millionen Vorstellungen (Gelächter der Kollegen) die letzte Vorstellung (Oh-Rufe des Publikums), sammelt das Ensemble noch Spenden für die Palliativstiftung mit Sitz in Fulda (!). Wer etwas Geld geben möchte dürfe das tun, wer nicht – auch gut. Zumindest auf meiner Seite wurde gut Geld gegeben. Das dürfte neben der „Rede“ allerdings auch daran gelegen haben, dass dort beide Kinderdarsteller standen!
Insgesamt war es eine klasse Vorstellung mit wenigen Kritikpunkten, die zum Teil dem Budget der Produktion geschuldet sein dürften. Wären die Vorstellungen nicht restlos ausverkauft, ich hätte mir spontan eine weitere Karte für die Abendvorstellung gekauft. Andererseits ist das Stück keine leichte Kost und nicht zur lockeren Unterhaltung nebenbei geeignet. Von daher wären 2 Vorstellungen hintereinander vielleicht etwas heftig geworden...
Für alle, die das Stück in Fulda nicht sehen konnten: Die CD beinhaltet 18 der 24 Lieder (einige Reprisen fehlen) und gibt, dank der Synopsis samt aller Liedtexte (!) inklusive der Dialoge, die manchmal mitten im Lied vorkommen, einen guten Einblick ins Musical.
Außerdem soll das Musical 2012 laut Programmheft in Brünn (Brno) aufgeführt werden. Also falls jemand Interesse an einer Reise ans östliche Ende Tschechiens hat...
Ergänzung: Laut musicalzentrale wird "Die Päpstin" 2012 wieder in Fulda aufgeführt.
So, danke an alle, die´s bis hierhin geschafft haben! Ich habe euch gewarnt.
