Die Schöne und das Biest
Musical Dome Köln – Sonntag, 24.11.2019, 18.30 Uhr
Mein sechster Besuch bei dieser Tour brachte eine Überraschung mit sich. Ich wusste, dass einige Darsteller, die seit Jahren die Tour mitgemacht hatten, nicht mehr dabei sein würden. Ich wusste auch, dass es in Budapest eine neue ungarische Textfassung gibt. Ich wusste nicht, dass es auch hier in Deutschland eine neue Inszenierung geben würde!
Und wie so üblich, gibt es bei einer neuen Inszenierung Licht und Schatten, gute Ideen sowie Verschlimmbesserungen. Insgesamt ist diese Version immer noch sehr schön, aber: Sie leidet auch unter der aktuell heftig grasierenden „Krankheiten“ der Verkürzeritis und Streicheritis!!! Oh nein!!!
Wieder mal ist die Einleitung überarbeitet worden. Jetzt steht mitten auf der Bühne ein großes Buch, dessen Seiten erst leer sind. Die Vorgeschichte wird dann per „Chinesisches Schattentheater“ mit Scherenschnitt-artigen Figuren erzählt. Nur ganz am Ende wird hinter dem Buch einmal das Biest in seinem Schloss gezeigt, bevor es ins Dorf geht. Das sieht gut aus. Die Erzählstimme aus dem Off ist von der letzten Tourversion übernommen.
Im Dorf fallen gleich die ersten geänderten Kostüme auf. Bei den meisten Hauptrollen sind die Kostüme weitgehend geblieben, hier und da ist noch im Ensemble jemand anders angezogen. Zwei Damen im Dorf laufen nun klar erkennbar „feiner“ angezogen rum. Insbesondere Gaston und die albernen Mädchen haben völlig neue Klamotten an. Gaston trägt statt der gepolsterten gelben Weste nun ein schlichtes rotes Trikot mit Gürtel über der langen Hose. Das sieht erstmal ganz passend aus, hat aber einen Nachteil: Zu Beginn der Szene „Ich“ hebt Gaston den Arm und so einige Leute im Publikum kommentierten den Anblick des großen Schweißflecks unter der Achsel entsprechend. Tja...
Die albernen Mädchen haben nun Kleider an, die weniger zerlumpt wirken denn mehr chaotisch in der Farbzusammenstellung sind. Mit den neuen Lockenperücken wirken sie immer noch im Dorf wie aus dem Rahmen gefallen aber weniger albern. Ausgestattet sind sie zusätzlich mit Taschenspiegeln und Parfümfläschchen, mit denen sie ständig hantieren. Bei den dreien wurde nicht nur das Aussehen, sondern das ganze Rollenprofil überarbeitet. Die drei wirken nicht mehr albern, sondern arrogant! Sie kichern deutlich weniger, sind ständig um ihre „Schönheit“ bemüht, stolpern nicht mehr so oft über die Bühne, stehen eher mal einen Moment „unwissend“ rum. Nun gut. Für Gaston sind die drei übrigens auch mal nützlich, kann er sich doch vor dem Heiratsantrag noch im Spiegel des einen Mädchens bewundern.
Und schon sind wir bei der ersten gestrichenen Nummer: dem Duett zwischen Vater und Tochter. Statt des Liedes erzählt Maurice nun, wie er Belles Mutter kennen lernte und wusste, dass sie die Richtige sei. Im Hintergrund wird passenderweise die Melodie von Belles späterem Solo „Die Verwandlung“ gespielt. Maurice erklärt Belle, sie werde es eines Tages auch fühlen, was sie anzweifelt. Die Szene gefällt mir so sehr gut. Sie ist schlüssig, ernsthafter und eine gute Hinführung zu Belles späterer Entwicklung.
Und spätestens hier wird auch deutlich, wohin diese Inszenierung wohl führen will/soll: ins Ernsthaftere. Nicht nur die drei Mädels sind weniger albern, viele andere Witze sind auch raus genommen. So übergibt Gaston beim Heiratsantrag kein Medaillon mehr. Auch wird er am Endes des Liedes „Ich“ nicht mehr mit Wolle umwickelt, dessen Knäuel er in den Mund gesteckt bekommt. Er kniet einfach nieder, Belle findet sofort, sie verdiene ihn nicht, er singt weiter, sie geht einfach weg. So geht’s auch, nimmt aber viel vom Witz weg und wirkt doch sehr beliebig bis unspektakulär. Schade, denn vorher wirkte die Szene deutlich unterhaltsamer.
Auch bei Lefou gibt es eine klare Änderung zum Ernsthaften: er stolpert nicht mehr über die Bühne, bekommt von Gaston keine Prügel mehr auf den Kopf bzw. um die Ohren. Er ist halt der Kumpel von Gaston.
Im Wirtshaus gibt es die nächsten Änderungen. Neben einem neuen Bühnenelement (vorne rechts stehen nun 2 Bierfässer als Theke, unter deren Zapfhähnen der eine oder andere mal landet), einer etwas überarbeiteten Choreografie mit den Bänken (gefällt so auch), taucht eine neue „Alte“ Figur auf: D´Arque! Er hat auch gleich die Zwangsjacke in der Hand, als Maurice rein stürmt und vom Biest erzählt. Er darf dann auch als erstes vom „verrückten alten Maurice“ reden, was Gaston prompt auf seine Idee bringt, wie er Belle erobern kann. Und man ahnt, was das im zweiten Akt zur Folge hat: richtig, das Lied „ab ins Irrenhaus“ ist weg! Man wird ja ernsthafter... Apropos ernsthafter: Maurice wird nicht mehr ausgelacht und des Wirtshauses verwiesen. Gaston meint noch, man würde ihm helfen, aber dann bleiben alle stehen und schauen Maurice nur noch an, bis der wieder geht. Ah ja...
Zum Glück halten sich die Änderungen im Schloss im ersten Akt doch in Grenzen, wobei der eine oder andere Kalauer zwischen von Unruh und Lumiere auch der Ernsthaftigkeit zum Opfer fällt oder gekürzt präsentiert wird (z.B. Müsike versus Musik). Irgendwie schade.
Was ich mal anmerken möchte: wenn einige Witze nun unter gehen, liegt es nicht an den Darstellern. Diese spielen ihre Rollen weiterhin eindrucksvoll und überzeugend! Und auch die (viel bemängelte) Aussprache ist klar zu verstehen. (Meine Begleitung war zum ersten Mal mit und konnte den eigenen Angaben nach die Darsteller mühelos verstehen. Es liegt also nicht nur an meinen „geübteren“ Ohren, was den Akzent betrifft.)
Im zweiten Akt verläuft die Geschichte erstmal wie gewohnt, von einigen gekürzten Kalauern mal wieder abgesehen. Einen neuen „Witz“ gibt es dann doch: Wenn von Unruh und Lumiere nach vorne gehen, fährt hinter ihnen das Innere des Schlosses auch vor. Beide drehen sich mehrmals um und in dem Moment bleibt das Bühnenelement auch stehen. Welch Überraschung. (Achtung, das war Ironie!) Und natürlich kommt, was kommen muss: beide sehen das Kulissenteil vorfahren und versuchen, es zu stoppen. Liebe Regie, was sollte denn dieser Ebenenwechsel so plötzlich, mittendrin und einzeln??? Im ganzen Stück agieren die Rollen nie derart mit dem Bühnenbild, aber jetzt auf einmal? So etwas nennt sich nette Idee am falschen Platz! Sinn hat es jedenfalls nicht. Entsprechend verhalten war die Reaktion des Publikums (welche Reaktion?).
Und wie schon geahnt, fehlt die Szene vor dem Irrenhaus. Was nun deutlicher in Szene gesetzt wurde, ist die verzauberte Rose. Ihre Blütenblätter sieht man nun deutlicher fallen, zumal die Rollen auf der Bühne auch genauer darauf reagieren oder „zufällig“ dann gerade zur Rose schauen, wenn sich ein Blatt löst. Hier hat die neue Inszenierung mal Sinn.
Neben den inszenatorischen Aspekten schlägt nun auch die technische Seite zu: In der Bibliothek müssen sich das Biest und Belle nun anschnallen! (Für Neulinge: Die Bibliothek ist hier eher eine Hollywoodschaukel mit Regalen am Rand, die auch hoch gezogen wird.) Vernünftig ist es ja, mutet aber trotzdem merkwürdig an.
Und wieder trifft man das Thema „ernsthafter“: Maurice schläft nun nicht mehr während Belles Solo in ihren Armen ein. Statt dessen hört er ihr ungläubig zu, holt ihr Lieblingsbuch aus dem Korb und reicht es ihr. Die meiste Zeit steht er aber ziemlich dumm und ratlos auf der Bühne rum. Naja, eigentlich passt es zur Szene, aber es wirkt unfreiwillig und ungeschickt, eher wie von der Regie alleine gelassen.
Und dann kam das große Entsetzen meinerseits! Der Versuch, das Stück ernsthafter zu machen hatte eine ungeahnte Folge: Der Angriff auf das Schloss ist weg! Äh, bitte? Die Dorfbevölkerung singt noch „Tod dem Biest“, rennt von der Bühne, während das Innere des Schlosses rein fährt, Lumiere gleich zum Biest rennt und vom Angriff berichtet – und das war´s! Ja, aber welcher Angriff??? Man sieht nie einen Dorfbewohner das Schloss betreten! Statt dessen kommt es, kaum dass Lumiere dem Biest den Rücken zudreht, zum Kampf zwischen Gaston und dem Biest. Nee, Leute, nicht nur, dass hier alle Momente viel zu schnell ineinander greifen und teils die Wirkung verpufft, es fehlt hier wirklich der Spaß!
Eine Castliste fand sich nur auf den Monitoren über den Saaltüren. Hier wurden nichtmals mehr alle Rollen aufgeführt. Die drei albernen Mädchen wurden auf der Tour eh´ noch nie erwähnt, jetzt fällt D´Arque auch noch weg. Da stellt sich aber die Frage, wieso er in der Schlussapplaus-Ordnung immer noch an alter Stelle dran ist...
Lobenswert bleibt die schöne, klar gespielte Musik des 21-Mann-Orchesters, diesmal unter der Leitung von László Makláry. Letzterer durfte nach der Applausmusik auch auf die Bühne kommen und mit dem Orchester unten im Graben applaudieren.
Und dann kommen wir zur letzten Kürzung des Abends: Das war´s an Vorhängen! Nix mehr mit weiteren Verbeugungsrunden, nur diese eine Runde mit Musik und fertig! Nichtmals die Rausschmeiß-Musik gibt es. Nichts! Furchtbar! Wer auch immer diese Marotte eingeführt hat, dass man als Besucher nicht mehr den Künstlern applaudieren darf, er möge dies ganz schnell wieder abschaffen! Da fühlt man sich als Besucher richtig abgefertigt! So nach der Methode: „So, Stück ist zu Ende und jetzt raus mit dem lästigen Publikum“!! Schade, wenn man die Begeisterung des Publikums nicht mehr erleben will. Oder ist das zu wenig ernsthaft???
Also insgesamt ist die Produktion durchaus sehenswert und wer die vorherigen Tourversionen nicht gesehen hat, wird wahrscheinlich wenig vermissen. Gut unterhalten tut das Stück noch. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob man ein Disney-Familienstück unbedingt auf ernsthaft trimmen muss. Wenn es dann wenigstens in sich stimmig wäre, fände ich es sicher angenehmer. Es gibt viele schöne Ideen in dieser Inszenierung, aber manchmal dürfte doch gerne wieder etwas mehr Humor dabei sein!
Die Besetzung:
Das Biest: Norman Szentmártoni
Meine Premiere: Ihn habe ich glatt zum ersten Mal auf der Bühne gesehen. Und auch er spielt ein schön differenziertes Biest, überzeugend in allen Gefühlsregungen und dem Wandel vom innerlichen arroganten Prinzen zum liebenden jungen Mann. Dazu kommt eine schöne, passende Stimme. Toll.
Belle: Kitti Jenes
Gaston: Attila Németh
Lefou: Attila Sérban
Lumiére: Ádám Bálint
Herr von Unruh: Ottó Magócs
Madame Pottine: Nikolett Füredi
Tassilo: Krisztián Németh
Ui, ein munterer, aufgeweckter Tassilo, der seine Einsätze gut zu spielen weiß und auch sprachlich überzeugt. Super!
Madame de la Grande Bouche: Ildikó Sz. Nagy
Babette: Dóra Szabó
Hatte ich das letzte Mal geschrieben, sie nicht mehr so hibbelig zu finden, so kann ich diesmal eher das Gegenteil sagen. Leider ging durch ihr Rumhüpfen hier und da mal ein Wort unter (z.B. „Putzfimmel“).
Maurice: Attila Bardóczy