Der Graf von Monte Christo
Tecklenburg – Sonntag, 28.7.2013, 19.00 Uhr
Ok, die Geschichte ist eigentlich sehr komplex und verwirrend, und auf der Bühne im Original schlicht nicht umsetzbar. Also mussten deutliche Vereinfachungen her, indem man Personen weg lässt, andere Beziehungen aufbaut und einge Handlungen zusammenfasst. (Wer die Original-Geschichte nicht kennt, findet auf Wikipedia eine gute Zusammenfassung samt Beziehungs-Schaubild.)
Aber, was schuldet man nicht alles der Dramaturgie und der vermeintlichen Erwartungshaltung des Publikums. Eine Grundannahme scheint zu sein, dass man dem Publikum ein „Happy End“ präsentieren muss. Ok, so musste man eine weibliche Figur „nur“ erscheinen lasen, ohne sie näher zu bezeichnen und ihre Herkunft/Beziehung zur Titelfigur zu erklären, was die Wirrungen der Geschichte für die Bühne etwas vereinfacht. Dafür wurde die Rolle des Grafen-Freundes Jacopo aufgewertet.
Und so konnten sich die beiden Hauptrollen am Ende doch wieder glücklich in die Arme schließen. Denn dass sich Edmond Dantès und Mercédès am Ende wiederfinden, stimmt eigentlich nicht. Auch die Anmerkung auf der Bühne, dass Albert in Wahrheit der Sohn von Edmond sei, wird im Original nicht erwähnt.
Die Rache an den einstigen Widersachern wird in einem Lied zusammengefasst. Optisch scheint allen dreien nacheinander das gleiche Vorgehen zu treffen. Das Ergebnis (ein Selbstmord, einmal Knast, einmal späterer Rache mit Todesfolge) ist korrekt dargestellt.
Die Änderungen tun der Geschichte insofern gut, als dass sie nun auf der Bühne problemlos nachzuvollziehen ist und alle Geschehnisse logisch wirken. Der Handlungsverlauf ist stets gut zu verfolgen, ohne sehr vorhersehbar zu wirken. Ein paar Szenen, wie das Solo von Valentine im zweiten Akt, kommen doch etwas unerwartet. Also ist wenigstens etwas von den zahlreichen Wirrungen und Wendungen des Originals übrig geblieben.
Der Musik hört man an, wer sie komponiert hat. Frank Wildhorn hat halt seinen eigenen Stil, der hier auch gerne in opulenten Orchesterklängen schwelgt. Zu Art und Zeit der Geschichte passt sie hervorragend.
Über die Darbietung der Musik lässt sich nichts Negatives sagen, vom Playback am Anfang des zweiten Aktes mal abgesehen. Als der Dirigent sichtlich ruhig und mit gesenktem Blick auf seinem Posten stand, ging ein hörbares Raunen durch das Publikum, ob das gerade Playback sei. Spätestens beim abwinken des Dirigenten in Richtung Technik wurde das leider bestätigt. Unklar bleibt, warum dieser muntere Reigen nicht live gespielt wurde. Ansonsten war es klasse, ein 25-köpfiges Orchester live spielen zu hören. Ein Standard in Tecklenburg, das sich andere insbesondere Großproduktionen mal abgucken sollten...
Leider kann ich über den Ton nicht das gleiche sagen. Der war schlicht unsauber abgemischt und die Texte damit nur zur Hälfte verständlich. Möge sich das in den nächsten Vorstellungen dringend bessern. Dann dürfte sich auch dieser „Einheits“-Rachefeldzug des Grafen differenzierter darstellen.
Optisch sehr ansprechend wirkte die Choreografie, die je nach Situation fetzig bis elegant wirkte. Der Tanz der Piratinnen insbesondere sorgte für Schwung und Szenenapplaus. Die Duelle waren elegant und zugleich energiegeladen, egal ob mit Messern oder Degen gekämpft wurde, und es „echte“ oder Schein-Kämpfe waren. Beeindruckend!
Die Besetzung:
Edmond Dantès / Der Graf von Monte Christo: Marc Clear
Diese Figur hat die größte Entwicklung in der Geschichte: junger, ahnungsloser Naivling, frisch Verliebter, verzweifelter Häftling kurz vor dem Wahsinn, Freund und Helfer, rachesuchender, wütender Mann, der anfängt zu kalkulieren, bis zum wieder liebenden, ehrlichen Mann, der bescheiden leben kann. Ein ständiger Wandel, der immer konsequent, nachfühlbar und logisch wirkt, nie übertrieben oder aufgesetzt. Stimmlich wie körperlich ein absolut überzeugendes Rollenportrait!
Mercédès: Anna Thorén
Von glücklich verliebt über hoffnunsvoll bis hin zu verbittert, enttäuscht, verzweifelt und wieder zuversichtlich reicht das Gefühlsleben ihrer Rolle. Neben der Titelfigur hat sie die meiste Entwicklung darzustellen. Und das schafft sie souverän, nie aufgesetzt und immer so, dass sie einem sympathisch bleibt.
Mondego: Carsten Lepper
Anfangs eher eine seriöse Nebenfigur, die Mercédès anbaggert, bekommt seine Rolle im zweiten Akt mehr Raum. Dann allerdings als Trunkenbold und Frauen-“Held“, also dem Gegenteil vom erten Akt. Beide Seiten stellt er gleich gut überzeugend dar. Wie´s zu der Entwicklung kam, geht aufgrund des Musical-Buches schlicht unter.
Danglars, Spekulant: Frank Winkels
Nach dem Rachezug des Grafen hat sich für ihn das Stück erledigt. Im ersten Akt hattte er auch nicht gerade viel zu tun, so dass ich auch nicht viel über ihn sagen kann. Das Scheinheilige gegenüber Edmond hat er schön herausgespielt.
Villefort, Oberstaatsanwalt / Abbé Faria, Gefangener: Reinhard Brussmann
Als Gefangener in Robinson Crusoe-Optik (wie einige Damen im Publikum anmerkten) wirkte er zunächst herrlich irre, um dann fast unmerklich zum guten Freund Dantes und (wieder zum) intelligenten, ruhigen Gelehrten zu werden und die Sympathien des Publikums zu sammeln. Die hatte er als Oberstaatsanwalt rollengemäß schnell verspielt. Zwei völlig unterschiedliche Charktere, beide hervorragend dargestellt. Und zur Freude des Publikums erschien er zum Schlussapplaus wieder als Gefangener...
Luisa Vampa, Piratenanführerin: Femke Soetenga
Der knallharten Emanze, die mit ihrem fetzigen Auftritt für Szenenapplaus sorgte, möchte man nicht im Dunleln begegnen. Und trotz aller Härte, Abgebrühtheit und Kälte war sie irgendwie sympthisch. Das dürfte besonders an dem kurzen Moment von Zärtlichkeit und Verletzlichkeit liegen, den sie langsam entwickelt (schön ist hier besonders die Reaktion ihrer Piratenbande) und in einer Sekunde wieder weg wischt.
Albert Mondego: Thomas Hohler
Der wohlerzogene, ehrenhafte Mustersohn, dem sein Familienname samt Ehre mehr wert ist, als sein Leben. Bei dem Vater bleibt es ein Rätsel, wie er sich zu diesem ordentlichen jungen Mann entwickeln konnte. Das muss der Einfluss der Mutter sein. Das gewissenhafte und gleichzeitig junge, fast noch jugendliche der Figur stellt er durchweg überzeugend dar.
Valentine de Villefort: Karoline Goebel
In Erscheinung trat sie erst spät im zweiten Akt und platzte gleich mit einem Solo in die Szenerie, den man dort gar nicht erwartet hat. Aber er passt dorthin (nicht, dass jemand dies falsch versteht). Die Rollenentwicklung geschieht fast komplett in diesem Lied, welches sie stimmlich sehr klar umsetzt.
Jacopo, Edmonds Vertrauter: Hakan T. Aslan
Aus dem knallharten, gewandten Piraten und gefürchteten Messerkämpfer wird ein ehrlicher Helfer und Freund des Grafen. Als Piratenkämpfer beeindruckt er durch Gewandtheit. Mit der freundlichen Art weiß er zu berühren und wirkt auch in Szenen ohne Text überzeugend.
Morrel, Reeder: Alexander Bellinkx
Die Randfigur schlechthin wurde im zweiten Akt immerhin nochmal erwähnt. Ansonsten waren seine Auftritte so klein, dass ich nichts dazu sagen kann.
Ensemble:
Sophie Blümel, Milena Hagedorn, Anke Merz, Daniela Römer, Marthe Römer, Silja Schenk, Stéphanie Signer, Elena Zvirbulis,
Jan Altenbockum, Alexander Bellinkx, Sebastian Brandmeir, Marius Hatt, Andrew Hill, Stefan Lehmann, Siegmar Tonk, Benjamin Witthoff
Chor und Statisterie der Freilichtspiele Tecklenburg
Insgesamt ist es eine Produktion, mit der Tecklenburg wieder einmal ein Kandidat für diverse Auszeichnungen und Publikumspreise sein dürfte. Zu Recht!