Da er nu endlich auch hier anläuft poste ich mal meine ausführliche Kritik-ACHTUNG SPOILER:
Es ist Hooper gelungen, Les Mis auf die Leinwand zu bringen, nicht als bloße Kopie der Bühnenversion. Bravo! Und ich finde den Film direkt mit dem Musical wie es in London aufgeführt wird zu vergleichen hinkt. Er basiert zu gleichen Teilen auf dem Roman und auf der Bühnenversion. Tom Hooper und das ganze Kreativteam haben eine eigene Adaption geschaffen. Das muss ich nochmal betonen. Boublil und Schönberg selbst mussten für die Originalfassung von 1980 Teile aus dem Roman weglassen, aus welchen Gründen auch immer. Die Fassung von 85 brachte dann Valjeans Vergangenheit, einen stärkeren Fokus auf die Hauptcharaktere und noch einiges von den Barrikaden zurück-auf Kosten anderer Aspekte der Vorlage. So gesehen gibt es mit dem Film die 2012er Variante der musikalischen Umsetzung von Les Miserables-mit einer Rückbesinnung auf den TITEL. Sich von der großartigen Bühnenshow frei zu machen, ihr trotzdem gerecht zu werden und dabei auch noch den Roman stärker einzubinden ist meiner Meinung nach eine Meisterleistung. Ein großes Lob gebührt hier ganz klar William Nicholsons Drehbuch, der wo er nur konnte den Erzählstrang des Musicals beibehalten, mit Elementen aus dem Roman gefüllt und für mich so klar verbessert hat.
Über die Umsetzung als Film hab ich mir über die Jahre immer mehr Gedanken gemacht als über die Cast. Bedingt auch durch die zig Filmvarianten des Romans, von denen mich visuell bisher keine wirklich hundertprozentig angesprochen hat, am ehesten noch die Fassung von 1958. Was hier allerdings auf die Leinwand gezaubert wurde war Les Mis. So wie es für mich sein musste. Hätte ich mir auch einige Einstellungen mehr von den Orten gewünscht (Montreuil, Montfermeil, Paris vor allem), denn die die letztlich im Film vorkamen waren einfach großartig. Toulon, Valjeans Weg durch die Ausläufer der Alpen nach Digne und Digne selber sahen auf den Punkt genial aus. Und was wir von Paris bei "Stars", "Look Down", den Barrikaden und dem Selbstmord zu sehen bekamen atemberaubend schön, mit dem kleinen Hauch von Bühne-den ich durchaus als Referenz und nicht als Schönheitsfehler ansehe. Die Szenenwechsel von Soliloquy zu Montreuil 1823 sowie von Stars zu Look Down waren überwältigend gut. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. So kam der Schnitt auf das ABC-Cafe z.B. für mich zu plötzlich und abgehackt. Der Film muss sich aber auch gefallen lassen, für meinen Geschmack zu sehr auf close-ups zu bauen. Gepaart mit einer teilweise wackligen Kameraführung hat mir das doch ein paar mal den Genuss getrübt. Ich konnte vor allem mit "Bring Him Home" nicht viel anfangen-Valjean spaziert ziellos durch das Musain und den Vorplatz der Barrikade? Das hatte was amateurhaftes. Der Schnitt und damit das Tempo ist auch meine größte Kritik am Gesamtfilm. Hooper hat den Film ja noch im letzten Moment von 2:50 auf 2:30 Laufzeit getrimmt, und das sieht man als Fan leider sehr. "Attack on Rue Plumet", "Beggars at the Feast" und natürlich auch die Kanalisation haben am meisten darunter gelitten. Die Schnitte gingen so auf Kosten vor allem der Thenardiers. Liest man das Drehbuch noch dazu wurde der Film wirklich auf das essentielle runtergetrimmt. Daher unterstütze ich die Bemühungen für eine spätere Langfassung fürs Heimkino mit ganzem Herzen!
Kommen wir zur Cast. Eine rundum gelungene Besetzung mit einigen Highlights. Richtig enttäuscht hat mich keiner. Und das soll was heißen.
Hugh Jackman - sein Makeup als älterer Valjean ist immer noch zu unauffällig und zu jung. Komisch dass man in dem Punkt so sehr vom Roman und von der Bühne abgewichen ist. Seine schauspielerische Leistung jedoch war grandios. Ich habe ihm den Werdegang von Valjean, seine Läuterung und seine späteren Konflikte in jeder Sekunde abgenommen. Stimmlich bin ich doch etwas verhalten gewesen. Das tiefe Register hat er super beherrscht, bei den Höhen hat es doch etwas gehakt, vor allem und ausgerechnet bei Bring him home. Verdammt! Da gerade er als Hollywood/Broadway-Star so gepriesen wurde muss er schon daran gemessen werden. Im Zusammenspiel mit Isabelle Allen, Anne Hathaway und Russell Crowe jedoch ist er vollkommen in der Rolle aufgegangen. Er hat einen Valjean mit viel Herz, Emotion und Aufopferung gespielt.
Russell Crowe - wohl nach Hardy Rudolz in der letzten Duisburgshow der einzige den ich kenne, der versucht hat Javert teilweise als Menschen darzustellen. Und der ebenfalls eine Entwicklung im Film durchmacht. Im Prolog der harte unbarmherzige Aufseher, in Paris dann schon mit einer gewissen Resignation gegenüber seiner Aufgabe, und dabei doch stets ihr verpflichtet. "Stars" als Gebet zu inszenieren und das Gesetz symbolisch als Gang am Abgrund zu begreifen (in den man dann unter anderen Umständen leicht fallen kann) war für mich ein absolutes Highlight des Films. Sein stärkster Moment war ganz klar die Confrontation, wo er sich vollkommen überlegen wähnte. Hammer. Ich hätte ihm das so nicht zugetraut. Er zerbricht letztlich zu gleichen Teilen an sich selbst und an der Welt um ihn herum. Ein grandioses Symbol für die autoritären Strukturen Frankreichs, die genau dies im 19. Jahrhundert immer wieder durchmachen mussten.
Anne Hathaway - wow. Wirklich nur wow. Dank der neuen Platzierung von IDAD und der damit verbundenen neuen Bedeutung des Songs konnte sie Fantine eine neue Dimension geben, die so auf der Bühne nicht möglich ist und dem Roman wesentlich gerechter wird. Ich hab mit ihr gelitten und sie hat mich am meisten berührt, und das bei der kurzen Zeit die sie auf der Leinwand hatte. Ein Oscar für diese Leistung wäre noch das mindeste.
Sasha Baron Cohen - wie ich erwähnt habe wurden die Thenardiers am meisten zurechtgeschnitten. So bleiben quasi nur noch MOTH, Waltz of Treachery und Teile von Javert's Intervention für ihn übrig. MOTH war lustig und mit gelungenen Einfällen. Hat auf der Leinwand absolut funktioniert. Rein vom Soundtrack her hatte ich mal wieder große Bedenken, einen reinen Clown-Thenardier zu erleben. Das war so nicht der Fall und von daher eine positive Überraschung. Ich bevorzuge immer noch abgrundtief böse Thenardiers, immerhin bin ich mit Barry James von der CSR und Tom Zahner in der Hinsicht verwöhnt worden. Auch Alun Armstrong hat Thenardier viel mehr Schichten gegeben als wie man ihn heute auf der Bühne erlebt. Im Kontext des Films jedoch hat es bestens funktioniert. Auch wenn Dog eats Dog wirklich schmerzlich von mir vermisst wird.
Helena Bonham-Carter - ja gut äh, ich sag mal so äh, MmeT war noch nie so mein Fall und man kann mit der Rolle auch nicht wirklich viel machen. Sie hat das vor allem im Waltz of Treachery sowie in Paris recht gut gemacht und war eine passende Ergänzung zu Cohen.
Samantha Barks - sah immer noch zu hübsch aus als Eponine, stach stimmlich natürlich hervor, hat aber auf jeglichen Popprinzessinenschnickschnack für die Rolle verzichtet und sie sehr bodenständig gespielt. Dank des Drehbuchs darf Eponine auch ihre wichtigste Rolle im Roman erfüllen: sich selber opfern, um Marius zu schützen. Hat mir gut gefallen.
Amanda Seyfried - hat Cosette routiniert gespielt(so schwer ist die Rolle auch nicht, seien wir mal ehrlich), hat aber leider keinerlei neuen Aspekte für die Rolle bekommen. Schade, ich hätte mir sehr "I saw him once" zurückgewünscht. Dank dem reprise von "Suddenly" hat sie zumindest noch etwas mehr für Cosette im zweiten Akt tun können, das würde auch auf der Bühne gut funktionieren. Im Epilog war sie herzzereißend beim Abschied von ihrem cher Papa.
Eddie Redmayne - wow. Die Rolle von Marius hat vom Drehbuch von allen Hauptcharakteren am meisten profitiert. Die neue Fassung des Dialogs zwischen Eponine und Marius sowie die stärkere Rückbesinnung auf Marius als Teil der Studenten im Musical haben Marius endlich befreit von diesem "hey ihr macht zwar Revolution und so und ich find das auch ganz toll aber ich hab mich nunmal verknallt..."-Gehabe mit dem er auf der Bühne angehaftet ist. Er ist Revolutionär mit ganzem Herzen und voller Leidenschaft. Die Pulvertonne ist zurück! Ein grandioser Einfall. Stimmlich auch gewaltig, und sein ECAET...wuah. Gänsehaut pur. Hier war ein Marius, der mit seinen Kameraden in den Tod gehen wollte, nicht aus Verzweiflung sondern aus Überzeugung für die Sache. Der als einziger überlebte. Und diese Schuld, dieses Andenken mit sich herumtragen muss. Toll. Wirklich toll.
Aaron Tveit - wow. Ein Enjolras wie er im Buche steht, im wahrsten Sinne des Wortes. Stimmlich herausragend, als Anführer immer überzeugend, mit diesem Feuer im Blick. Und er hat "Let others rise" gesungen. Und wie er das gesungen hat. Kein Zweifel: das war der beste Enjolras den ich je gesehen habe. Gänsehaut pur bei DYHTPS und natürlich der letzten Schlacht...
Daniel Huttlestone - JAWOHL! Endlich, endlich ist Hugos Lieblingscharakter Gerechtigkeit widerfahren. Aus Gavroche ist eine super Rolle geworden, ganz ganz nah am Roman, großartig gespielt. Er hat mehr zu tun, er hat mehr zu singen, und er bekommt auch on-screen die Anerkennung dafür. Allein schon für Gavroche würd ich mir den Film noch hundertmal ansehen. Das einzig bedauerliche ist, dass er immer noch "Little people" bei der Munitionssuche singt. Das Broadwayrevival hat es vorgemacht - "Ten little bullets" von Fenton wäre für den Film perfekt gewesen. Perfekt.
Isabelle Allen - eine der besten jungen Cosettes, die ich kenne. Ich vermisse zwar immer noch gewisse Aspekte aus dem Buch, die Cosette noch mehr als das bemitleidenste Kind das man sich vorstellen kann charakterisieren, aber ihre Leistung war absolut angemessen. Ich hab aber das blaue Auge vermisst...Make-Up Department, ich hab da mal ein Wörtchen mit euch zu reden...
Aus dem Ensemble stachen für mich vor allem Fra Fee als Courfeyrac und Hadley Fraser als Offizier hervor. Gerade Fraser muss ich nochmal lobendst erwähnen, wie man aus so einer kleinen Rolle so viel für den Barrikadenkampf herausholen kann. Klasse. George Blagden als R hatte auch tolle Momente, ich hätte mir die Rolle noch etwas betrunkener gewünscht - seine Interaktion mit Enjolras jedoch war vom ersten bis zum...letzten...Moment...*schnüff*...auf den Punkt richtig. So hab ich wen vergessen...ach jaaaa...

COLM WILKINSON - ein wirklich toller Bischof und genau das, was man sich als Fan nur wünschen konnte. Endlich ist er im Epilog und empfängt Valjean. Schade auch nur, dass sein Part geschnitten wurde und er die böseste Verunglimpfung des Films in den Mund gelegt bekam. "I have saved your soul for god" statt "I have b o u g h t your soul for god". WAARUUUUUUUM??? Das ist der ganze Punkt des Bischofs!! Der Kauf heißt aber eben nicht gleichzeitig dass Valjeans Seele damit gerettet ist. Er hat ihr so nur eine neue Chance gegeben und es ist an Valjean diese zu nutzen. Mann mann mann. Darüber bin ich seit dem ersten Mal hören wütend.
Absolute Highlights waren für mich ganz klar Confrontation, DYHTPS, Final Battle, Stars und Suicide.
Die neuen musikalischen Arrangements und die neue Struktur des Films waren genau richtig, gingen teilweise auf die Urfassung von 1980 und die Barbicanversion zurück. Die paar gesprochenen Dialogteile waren stets fließend eingebunden und sind mir nicht im geringsten negativ aufgefallen. Da hilft schon das das Stück an sich stark auf das Rezitativ baut und sich auch beim singen sehr natürlich wie Dialog anfühlt.
Fazit: Meine Erwartungen wurden übertroffen. Der Film ist musikalisch seinen Wurzeln treu geblieben und hat ihn inhaltlich noch näher an den Roman gebracht. Er ist radikaler und politischer und wird dadurch wie ich eingangs erwähnte seinem Titel noch mehr gerecht als das Bühnenstück. Und das ist für mich das beste, was Hooper machen konnte. Ich hab solange darauf warten müssen. Dieses Gefühl "du hast den Les Mis Musicalfilm gesehen"...ist einfach grandios.